Georg Beer gehört, gleichwohl in seiner Zeit einer der bedeutendsten Vertreter seines Faches, nicht zu den Theologen von einem breiteren Bekanntheitsgrad. Im Jahre 1934 emeritiert, vertrat er mit der alttestamentlichen Exegese ein Fach, das in dem neuen Deutschland des Dritten Reiches kein hohes Renommee besaß, zumal wenn den Gelehrten ausgesprochen judaistische Themen interessierten. Dem Emeritus war so keine große Nachwirkung beschieden, und er verstummte nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Sein Tod im Februar 1946 blieb fast unbemerkt, denn keine der Fachzeitschriften, zu denen er Kontakte hatte und in denen ein Nachruf aus Gelehrtenkreisen hätte veröffentlicht werden können, erschien in jenen Jahren. Doch einige seiner Arbeiten wirkten auch noch nach dem Krieg in der Lehre wie in der Wissenschaftsgeschichte weiter.
Beer stammt aus einer Offiziersfamilie. Der Vater, Leutnant in der schlesischen Garnisonstadt Schweidnitz, starb bereits in Beers Geburtsjahr 1865. Seit dem Wintersemester 1884/85 studierte Georg Beer in Berlin Theologie und Philosophie. 1887 wurde er mit einer arabistischen Dissertation in Leipzig zum Dr. phil. promoviert. Von 1888 bis 1890 war er als Lehrer an der Nassauischen Realschule und als Predigtamtskandidat in Erbach tätig; es folgte die Lizentiatenprüfung in Bonn 1890. Im Mai 1891 konnte er sich bei Rudolf Kittel in Breslau habilitieren. Seine Laufbahn als Universitätslehrer begann im Winter 1895/96 als Privatdozent für Altes Testament in Halle/S. Zum Wintersemester 1900/1901 wurde er als etatmäßiger außerordentlicher Professor und Gymnasiallehrer nach Straßburg berufen. Diese Stellung erlaubte ihm die Familiengründung. Am 27. Dezember 1900 verehelichte er sich mit Emma Berta Müller (1867-1943). Von 1910 bis zur Emeritierung 1934 war Beer schließlich ordentlicher Professor für Alttestamentliche Exegese an der Universität Heidelberg. Unter sein Rektorat 1921/22 fiel der Skandal um den Physiker Philipp Lenard. Insgesamt fünf Mal war er Dekan der Theologischen Fakultät, zuletzt 1932/33.
Das wissenschaftliche Werk Georg Beers ist von Anfang an durch eine Reihe philologischer Studien geprägt. Ein zweiter Schwerpunkt, der auch wissenschaftsgeschichtlich von Bedeutung war, lag in der Gestalt des Mose, ein dritter in der jüdischen Kultur und Kultustradition des Altertums. Der philologische Ansatz ist eine Folge des wissenschaftlichen Werdegangs Beers. Der arabistischen Dissertation, der Edition, Übersetzung und Kommentierung einer Handschrift, folgten Arbeiten über den Text des Buches Hiob (1897), textkritische Studien zum Buch Hiob (1896-1898), Pseudepigraphen des Alten Testamentes (1900-1905), die Herausgabe der Proverbien und des Hiob in KittelsBiblia Hebraica (1. Auflage 1906, 3. Auflage 1932) und die Herausgabe, Übersetzung und Kommentierung mehrerer Mischnatraktate (1908-1912, 1927-1929). Seit 1912 war Beer Mitherausgeber der Gießener Mischna. Generationen von Studierenden griffen auf Beers Hebräische Grammatik zurück, die in zwei Bänden mit Übungsbuch 1915/16 erschien und 1928 noch einmal als Neudruck herauskam. In der Nachkriegszeit wurde diese Grammatik noch einmal in der Sammlung Göschen neu aufgelegt (1952, 2. Auflage 1955).
Das Mose-Thema schlug Beer erstmals 1912 in einer eigenen Publikation Mose und sein Werk an. Noch einmal beschäftigte ihn diese Fragestellung in seinem letzten Werk, das als Summe seiner theologischen Arbeit gelten kann, dem Exodus aus dem Jahr 1939, der als Beitrag zu dem von Eißfeldt herausgegebenen Handbuch zum Alten Testament verfaßt wurde. Beer fordert und praktiziert hier eine strenge Quellenkritik in der Mose-Forschung und wendet sich gegen die Mythisierung Moses, vor allem im Werk des Althistorikers Ed. Meyer. Mose zeigte sich ihm „als der mit einem Sendebefehl an das in Ägypten geknechtete Israel ausgestattete Gottesmann in der volkstümlichen Hülle des Zauberers“, dessen Bild im Laufe der Geschichte immer mehr durch groteske und phantastische Züge verfälscht wurde. Die Erscheinung des „Zauberers“ ist durch die volkstümliche Überlieferung in Sagen und Mythen bestimmt; gegen dieses verfälschende Mosebild setzte Beer ausdrücklich das des Religionsstifters, der eine neue Gotteserkenntnis vermittelt. Beer begegnete hierin den Positionen H. Ewalds und W. Eichrodts, die von der heutigen Forschung wegen ihres zum Teil spekulativen Charakters abgelehnt werden. Vielfältig waren die Arbeiten Beers zur jüdischen Kultur- und Kultusgeschichte. Erwähnt seien hier die Arbeiten über den Schabbath (1908), Pascha oder das jüdische Osterfest (1911) und Pesachim (1912). Andere Arbeiten beschäftigen sich mit der sozialen und religiösen Stellung der Frau im israelitischen Altertum (1919) und Juda und Israel (1916).
Besondere Aufmerksamkeit erregten zwei Arbeiten Beers über die Beziehung von Ariertum und Judentum: Die Bedeutung des Ariertums für die israelitisch-jüdische Kultur (1922), seine Heidelberger Rektoratsrede aus dem Jahr 1921, sowie Der Einfluß des Ariertums auf Geschichte und Kultur Israels (1934). Es handelt sich hierbei keineswegs um nationalsozialistisch indoktrinierte Vorträge. In der Rektoratsrede versuchte Beer mit sprach-, religions- und kulturgeschichtlichen Vergleichen den Einfluß anderer Völker auf Israel zu entschlüsseln. Beer hat den Arierbegriff, den er hier für Perser, Hethiter und Philister verwandte, nicht im rassistischen Sinne benutzt, ebensowenig wie er sich von dem grassierenden Antisemitismus vereinnahmen ließ. Ende der 20er Jahre gehörte er zu den Mitbegründern der „Gesellschaft zur Förderung des Wissens vom Judentum“ in Heidelberg. Für ihn war das Judentum nicht eine Religion minderen Ranges im Vergleich zum Christentum. Er anerkannte es nicht nur als Grundlage des Christentums, sondern durch die Schaffung eines „universalen sittlichen Monotheismus“ als umfassenden Wert für die Menschheit schlechthin. Die Juden waren ihm das „bibelschöpferische Volk“. Teilte er gleichwohl die verbreiteten Vorurteile gegen das Ostjudentum und die Vorbehalte gegen einen zukünftigen Zionsstaat (die Zukunft Palestinas sah er im Lessingschen Sinne in einem friedlichen Miteinander von Moslems, Juden und Christen, wobei das Deutsche Reich als Garant und Vermittler von religiöser und geistiger Freiheit in Erscheinung treten sollte), so nahm er doch grundsätzlich eine positive Stellung zum biblischen und modernen Judentum westlicher Prägung ein. Wenn er auch die geistige Überlegenheit des deutschen Volkes und seine Führungsrolle für die christlichen Völker postulierte, so anerkannte er doch die universale Bedeutung der jüdischen Religion. Für ihn stand Luther in einer (aufsteigenden) Linie mit Jesaja und Paulus. Auch während der nationalsozialistischen Zeit hat er die Zusammenarbeit mit jüdischen Kollegen nicht abgebrochen.
Die wissenschaftliche Bedeutung Beers, der von Zeitgenossen als Vertreter der älteren Wellhausen-Schule eingeordnet wurde, läßt sich an zwei Erscheinungen dokumentieren. Beer war regelmäßiger Mitarbeiter aller bedeutenden Reihen und Zeitschriften seines weiteren Fachbereiches, so der Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft, der Theologischen Rundschau und der Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft sowie der Realencyklopädie der klassischen Altertumswissenschaften und der Religion in Geschichte und Gegenwart (2. Auflage). Bereits seit ihrer Gründung 1907 war Beer Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Straßburg, 1925 folgte seine Wahl zum außerordentlichen Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, zu seiner Zeit der einzige Vertreter der alttestamentlichen Wissenschaft in dieser bedeutenden Wissenschaftsinstitution. 1908 erhielt er die theologische Ehrendoktorwürde der Universität Marburg.
Politisch war Beer bis zum Ersten Weltkrieg dem deutschnationalen Flügel zuzurechnen, der einen alldeutschen, annexionistischen Kurs unterstützte. Seine Sympathien für die Deutsche Vaterlandspartei gab er deutlich zu erkennen. In der Weimarer Republik repräsentierte er eine nationalistisch-konservative Geisteshaltung. Er war überzeugt, daß das Deutsche Reich trotz seiner äußeren Schwäche eine Sendung für die Menschheit wahrzunehmen habe: Durch die Not erlange das deutsche Volk die Würde zur Selbsterneuerung, die es zur Rettung und Erlösung der Welt prädestiniere. Durch die deutsche Kultur sollte der Völkerfrieden befördert werden, andere Kulturen durch „das deutsche Wesen veredelt“ werden. Im Skandal um Lenard trat er im Sinne kollegialer Loyalität für ein mildes Urteil ein. Den aus amerikanischen Spenden errichteten Schurman-Bau der Neuen Universität lehnte er aus nationalen Bedenken ab.
Die Sympathien für die Idee der Volksgemeinschaft und des Dienstes für das „Volksganze“ ließen auch ihn die Gefährlichkeit der nationalsozialistischen Bewegung verkennen, deren rassistische Prämissen er jedoch nicht teilte. Gleichwohl erklärte er im Jahre 1939 seine Mitarbeit am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben.
Werke: Ein Werkverzeichnis befindet sich in der Festschrift Georg Beer zum 70. Geburtstage. Stuttgart 1935.
Lit.: Religion in Geschichte und Gegenwart Bd. 1, 2. Aufl. 1927, Sp. 849. – Dagmar Drüll: Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803-1932. Heidelberg 1986, S. 15. – Karl-Heinz Fix: Universitätstheologie und Politik. Die Heidelberger Theologische Fakultät in der Weimarer Republik. Heidelberg 1994, S. 80-84.
Bild: Universitätsarchiv Heidelberg.
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Beer_%28Theologe%29