Biographie

Behrend, Felix Wilhelm

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Reformpädagoge, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes
* 22. August 1880 in Königsberg i.Pr.
† 16. November 1957 in Melbourne/Australien

Nach dem Abitur am Domgymnasium in Kolberg (Ostern 1898) studierte Felix Wilhelm Behrend im Hauptfach Bauingenieurwesen an der Technischen Hochschule in Berlin. Nach acht Semestern wechselte er im Sommer 1902 an die Universität Halle-Wittenberg, wo er seine Ausbildung mit der Promotion zum Dr. phil. aufgrund der Dissertation Psychologie und Begründung der Erkenntnislehre am 29. Oktober 1904 abschloss. Im Studium hatte ihn besonders der Philosoph Paul Natorp (1854-1924), ein Hauptvertreter des Neukantianismus, beeinflusst. Später fühlte er sich ihm und dem Pädagogen Friedrich Paulsen (1846-1908) besonders verbunden. Nach den Ausbildungsjahren wurde er Oberlehrer in Berlin-Charlottenburg, nahm aber auch am gesamten Ersten Weltkrieg teil, zuletzt als Leutnant.

Danach suchte Behrend als Lehrer seine pädagogischen Ideen zu verwirklichen. Während des Studiums war er einer der Führer der freien Studentenschaft gewesen, die sich in Freiheit und Selbstverantwortung als akademische Bürger der gesamten Gemeinschaft der Universität verpflichtet fühlten. Die Vorstellungen dieses Kreises stellte er in Der freistudentische Ideenkreis (1907) vor. Nach dem Ersten Weltkrieg begann er, außerhalb der Schule aktiv an der Verwirklichung seiner Vorstellungen zu arbeiten. Seit 1919 war er Mitglied im geschäftsführenden Ausschuss des Deutschen und Preußischen Philologenverbandes und wirkte auf dem Philologentag in Kassel im Jahre 1919 entscheidend an der Neuorganisation dieses Verbandes mit, dessen 2. Vorsitzender er wurde. Vor 1918 war der Verband mehr eine Vertretung von Berufs- und Standesinteressen gewesen; nach 1918 standen jedoch schulpolitische Fragen im Mittelpunkt, die mit Hilfe persönlicher Verbindungen und der Presse an vielen Stellen in der Öffentlichkeit erörtert wurden. So gelang es Behrend und dem Philologenverband, radikale Umstürzler abzuwehren und zugleich den Ideen einer notwendigen Reform zum Durchbruch zu verhelfen. Auf der Reichsschulkonferenz von 1920 erreichte man es, dass die vierjährige Grundschule und die neunjährige höhere Schule bestehen blieben, wobei der Unterricht der Oberstufe der höheren Schule ganz im Sinne von Behrend aufgelockert gestaltet werden sollte. Später wandte er sich scharf gegen Teile der Reformen des preußischen Kultusministers Hans Richert (1869-1940), der alle Schultypen auf eine einheitliche nationale Bildung auszurichten suchte. Behrend setzte sich dagegen für die Beibehaltung mehrerer Reformtypen der höheren Schule ein, die seiner Meinung nach ihren besonderen Beitrag in der Bildung leisteten. Da der Philologenverband eng mit den zuständigen Ministerien des Deutschen Reiches und der Länder zusammenarbeitete, wurde Behrend 1922 für ein Jahr zur Beratung in das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung berufen. Hier konnte er erreichen, dass die von ihm erarbeiteten Erlasse mit Richtlinien für die Schülerselbstverwaltung und die Konferenzordnung für Schulen in Kraft traten, Richtlinien, die nach 1945 zum Teil übernommen wurden.

Seit 1925 war Behrend als Oberstudiendirektor Leiter des Kaiser-Wilhelm-Realgymnasiums in Berlin-Neukölln und konnte hier die Ideen der Schülerselbstverwaltung und auch die freie Gestaltung der Oberstufe im Sinne der Arbeitsschule Georg Kerschensteiners (1854-1932) verwirklichen. Um den drohenden Sparmaßnahmen an Schulen entgegenwirken zu können, erarbeitete Behrend für die Verbandstagung des Philologenverbandes im Jahre 1927 in Schülerzahlen und Klassenzahlen an den höheren Knabenschulen Preußens von 1896 bis 1927 Unterlagen, durch die nachgewiesen wurde, dass zwar die Zahl der Schüler nicht wesentlich zugenommen hatte, dass aufgrund der schlechten Lage am Arbeitsmarkt aber mehr Schüler bis zum Abitur blieben, nicht wegen gesunkener Abituranforderungen, sondern um nicht frühzeitig arbeitslos zu werden.

Im Jahre 1929 wurde Behrend auf der Verbandstagung in Wien zum 1. Vorsitzenden des Deutschen Philologenverbandes gewählt. Dieses Amt musste er unter dem Druck der neuen Machthaber schon am 25. März 1933 niederlegen, da er zwar evangelisch war, aber aus einer jüdischen Familie stammte und außerdem der Deutschen Demokratischen Partei angehörte. Auch wurde er noch im selben Jahr als Studienrat an eine andere Schule in Berlin versetzt und 1935 zwangsweise in den Ruhestand geschickt. Im Herbst 1938 gelang Behrend die Flucht in die Niederlande, und mit Hilfe niederländischer Kollegen konnte er Mitte 1939 nach Großbritannien fliehen, wohin seine Frau und seine Kinder schon vorher gelangt waren. Nach zeitweiliger Internierung zu Beginn des Zweiten Weltkriegs arbeitete Behrend ab 1942 als Lehrer an verschiedenen englischen Grammar Schools. Anfang 1949 folgte er seinem Sohn nach Australien, wo Behrend auch starb, nachdem er noch einmal Deutschland besucht hatte. Als eine Art Gutmachung hatte ihn der Deutsche Philologenverband am 25. Oktober 1952 zum Ehrenmitglied ernannt.

Behrend war wohl der wirkungsvollste Schulpolitiker im Preußischen und Deutschen Philologenverband in der Weimarer Republik. Zudem konnte er als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Prüfungsamtes für Berlin und Brandenburg die Auswahl des Lehrernachwuchses beeinflussen. Er sorgte auch dafür, dass das Zentralinstitut für Erziehung und Wissenschaft in Berlin nach 1918 erneut tätig werden konnte. Da es seiner Initiative gelang, auf allen Ebenen durch Lehrer die Anliegen der höheren Schule zu erörtern, konnte er sie vor radikalen Veränderungswünschen schützen, an ihnen aber auch notwendige Reformen durchsetzen. In zahlreichen Schriften vertrat Behrend seine Anliegen, so in Die Stellung der höheren Schule im System der Einheitsschule (1919), Die Entwicklung des höheren Schulwesens in Deutschland (1923), Gegenstand und Umfang der Pädagogik (1925), Die Zukunft des deutschen höheren Schulwesens (1924 und 1925), Arbeitsschule und Arbeitsunterricht (1925, 3. Auflage 1931) und Reformanstalten und Oberrealschule (1928). Nach 1945 legte er in Grundlagen der Erziehungs- und Bildungstheorie (1949) die Summe seiner pädagogischen und schulpolitischen Überzeugungen dar.

Lit.: Nachweise bei: Klaus Bürger, Behrend, Felix Wilhelm, in: Altpreußische Biographie, Bd. V, 1. Lieferung, Marburg/Lahn 2000, S. 1548-1549.

Bild: Bernhard Fluck, Gymnasium Auftrag Fortschritt. Deutscher Philologenverband und Gymnasium im 19. und 20. Jahrhundert. Düsseldorf 2003, S. 418.

Klaus Bürger