Biographie

Bellmer, Hans

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Zeichner, Maler, Plastiker, Photograph
* 13. März 1902 in Kattowitz/Oberschlesien
† 23. Februar 1975 in Paris

Leben und Werk Bellmers bilden ein Phänomen besonderer Art. Der Sohn eines Ingenieurs wird von seinem Vater, um ihn – wie es heißt – von seinem Hang zur Träumerei abzubringen, auf die Realität des Lebens hingewiesen. Er arbeitet in einem Kohlenbergwerk und in einer Stahlhütte und beginnt 1924 an der Technischen Hochschule in Berlin ein Ingenieur-Studium. Hier lernt er 1924 George Grosz und Otto Dix kennen, bricht sein Studium ab und arbeitet als Graphiker für den Malik-Verlag. Damit gerät er in ganz unmittelbaren Kontakt zu den Dadaisten. Das verhängnisvolle Jahr 1933 bringt eine neue Wende. Aus Protest gegen den aufkommenden Faschismus konstruiert Bellmer im Herbst dieses Jahres sein erstes „Provokationsobjekt“, die „Puppe“. Anknüpfend an die Mechanomanequins der Dadaisten und Surrealisten (Duchamp, Die Braut, 1912) findet Bellmer zu seiner ganz persönlichen Thematik und zu seinem spezifischen Stil. Eine Veröffentlichung der Bilddokumente zur „Puppe“, eigene Photographien des Künstlers nach phantastischen Arrangements mit der zerlegbaren Puppe, druckte Th. Eckstein in Carlsruhe/ Oberschlesien 1934. Nach einer zweiten Variante der „Puppe“ konstruiert Bellmer 1937 in Carlsruhe sein zweites dadaistisches Provokationsobjekt, das „Maschinengewehr im Gnadenstand“. Die „Puppe“ wurde im Kreise der Pariser Surrealisten mit großer Begeisterung aufgenommen, Publikationen darüber 1935 und 1936 in Paris veröffentlicht, zu den „Spielen der Puppe“ schrieb Paul Eluard 1938/3914 Prosagedichte. Als „entarteter“ Künstler wie viele der besten deutschen Künstler diffamiert, emigriert Bellmer 1939 nach Frankreich, wird schließlich in Paris zeitlebens ansässig. Doch nicht der Plastiker oder Konstrukteur der „Puppe“ mit dem irritierenden Flair des Kind-Weibes, die Bellmers internationalen Ruf begründet, bestimmt in der Folgezeit das Oeuvre des Künstlers, sondern in erster Linie der Zeichner Bellmer.

Mit brillanter Meisterschaft handhabt der Künstler das Lineament der Zeichnung, so wie er souverän mit der Anatomiespielt, realistisch in präzis erfaßten Porträts wie in Details, surrealistisch in den figürlichen Kompositionen. Das verführerische Raffinement des Zeichners Klimt wie die erotomanische Besessenheit eines Felicien Rops finden in den surrealistischen Zeichnungen Bellmers mit ihren schockierenden Details ihre Fortsetzung. Die fast ausschließlich einem ausschweifenden surreal-phantastischen Eros verhaftete Thematik bildet das Signum von Bellmers Kunst. In keinem Werk über erotische Kunst fehlt sein Name. Ein wahres Labyrinth des Eros tut sich in seinen Zeichnungen auf. Freud’sche Ideen offenbaren sich, „Kleine Anatomie des Körperlichen Unbewußten“ („Petite Anatomie de l’Inconscient physique“) heißt eine der aufschlußreichen theoretischen Schriften Bellmers. In hemmungsloser Phantasie umreißt Bellmer eine Physiologie und Anatomie des Erotischen, zeigt die „subkutanen konstruktiven Elemente“, stimuliert mit dem „Salz der Deformationen“ , verwirrt durch simultane Überlagerungen verführerischer Posen, verschmilzt in verrückter Anatomie Körperteile zu neuen befremdlich-faszinierenden organischen Gebilden, die in ihrer Konzeption an die Phantastik eines Bosch gemahnen. Eine transparente Darstellungsweise läßt oft das Skelett erkennen, nicht unbedingt als Beschwörung des Vergänglichen, doch klingt die alte Weise von Eros und Tod verschiedentlich an, z.B. bei der Gouache „Die drei Mädchen und der Tod“. Bei einigen der selteneren Gouachen lassen sich in den Bildstrukturen stilistische Parallelen zu Max Ernst beobachten, den er in Berlin kennenlernte und mit dem er die Haft im Internierungslager in Südfrankreich teilte. Doch seine besten Arbeiten sind auf die schwingende Linie gestellt. Radierung, Kaltnadel und Kupferstich bilden dazu die druckgraphische Entsprechung. Baudelaires „Künstliche Paradiese“, die Werke von de Sade und Georges Bataille regen ihn zu Illustrationen an, ganz bezeichnend auch diese Wahl, sie bestätigt den in sich geschlossenen Erkenntnisbereich, um den sich Bellmer analytisch sezierend wie um komplexe Darstellung zeitlebens bemüht. 1953 findet in der Galerie Springer in Berlin die erste Ausstellung seiner Arbeiten in Deutschland statt. Dort lernt er die Zeichnerin Unica Zürn kennen, die ihm nach Paris folgt. Die umfänglichste Retrospektive wurde 1967 von der Kestner-Gesellschaft in Hannover veranstaltet. Es folgte 1971-72 die große Ausstellung im Centre National d‘ Art Contemporain Paris.

Lit.: Hans Bellmer: Die Puppe. Berlin 1962; Kat. Hans Bellmer, Kestner-Gesellschaft Hannover 1967; Sarane Alexandrian: Hans Bellmer, Berlin 1972; Hans Bellmer. Das graphische Werk. Vorwort A.P. de Mandiairgues. Frankfurt/M., Berlin, Wien 1973. Andr Pieyre de Mandiargues: Le Tresor cruel de Hans Bellmer, Paris 1979; Michael Semff/Anthony Spira (Hrsg.): Hans Bellmer. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006; Peter Webb, Robert Short: Death, Desire and the Doll: The Life and Art of Hans Bellmer. Solar Books, 2006.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Bellmer

Werner Timm