„Es springt vom Berge silberhell,
zu ewiger Erneuerung,
ein Zauberborn, ein Wunderquell,
und dieses Land bleibt ewig jung.“
Anna Bernard, aus „Unsere Heimat“
Anna, geb. Scheer, wurde in Breslau geboren und kam als 5-jährige mit den Eltern in die Stadt Neisse. Ihr Vater, ein einfacher, hochbegabter Holzbildhauer, erhoffte sich hier in einem Tischlereibetrieb bessere Arbeitsmöglichkeiten. Er besaß noch andere künstlerische Talente. So wird berichtet, dass er auf einer selbstgebauten Orgel musizierte, und von ihm lernte die Tochter Sprüche und Gedichte, die er alle auswendig hersagen konnte. In Neisse wuchs sie auf und besuchte die Volksschule.
Ihr Vater gehörte ursprünglich zur altkatholischen Glaubensrichtung, war aber in jener Zeit Freidenker und religiös ungebunden. Die Mutter war evangelisch, Anna blieb ungetauft und musste dem Religionsunterricht fernbleiben. Mitschülerinnen beschimpften sie deshalb als „Heidenkind“ und grenzten sie aus, bis sie mit 13 Jahren die evangelische Taufe durchsetzte. Im katholischen Neisse genügte das nicht und so konvertierte sie nach dem Tod des Vaters, mit 15 Jahren, zum Katholizismus. Von nun an waren katholisch-christliche Überzeugungen, verbunden mit tiefer Heimatliebe, bestimmend für ihre weitere Entwicklung. Der Stadt Neisse, dem „Schlesischen Rom“ blieb sie lebenslang zugetan. Nach der Schulzeit erlernte Anna das Schneiderhandwerk. Mit der vom Vater ererbten Kreativität, erwies sie sich im Beruf als sehr geschickt und eröffnete bald ein eigenes Damenschneidergeschäft.
Schon als ganz junges Mädchen schrieb sie Gedanken und Stimmungen auf. Erste Veröffentlichungen in der Lokalpresse waren ermutigend und besonders die Neisser Zeitung förderte sie. Das nötige Hintergrundwissen für die literarischen Themen wurde im Selbststudium erworben.
Die Formensprache ihrer Kunst ist etwa vergleichbar mit naiver Malerei. Unverkennbar ist das Talent, sich im einfachen Erzählstil, ohne besondere Raffinessen und Effekte, verständlich und volksnah auszudrücken und eine eigene, christliche Weltsicht überzeugend darzulegen. Ihre Werke handeln, meist romantisch verklärt, von Ereignissen und Figuren der schlesischen Heimat.
Den Ehemann, Robert Bernard, einen 10 Jahre jüngeren Schneidermeister, lernte sie erst spät kennen. Das Paar heiratete 1902 und kaufte 1905 in Bad Kudowa mit finanziellen Opfern ein Haus, das den Namen „Heimathaus“ erhielt. Dort wollte Anna sich ganz der Schriftstellerei widmen und der Ehemann sollte Platz finden, dem Beruf nachzugehen. Diese Rechnung ging nicht auf, da mit schriftstellerischer Arbeit nur mühsam Geld zu verdienen war und die Schneiderei auch nicht genug einbrachte. So mussten im Haus einzelne Zimmer an Kurgäste vermietet werden. Einige Kur-Ärzte sahen vermutlich nicht gern, wenn Patienten in einem Künstlerhaus Quartier bezogen und die Bernards fanden nur Künstler und wenige andere Gäste als Mieter.
Während des Ersten Weltkrieges war der Ehemann Soldat und Anna kümmerte sich in Bad Kudowa um die Lebensmittelversorgung im Ort. Nach dem Krieg übernahm sie die Leitung der Gemeindebibliothek.
Ein literarischer Durchbruch gelang 1925 bei einem Wettbewerb des Verlages Herder aus Freiburg i.Br. Der Publizist und Jesuit Friedrich Muckermann (1983-1946) saß mit in der Jury und war bei einer Schlesienreise in Bad Kudowa der Bernard bereits begegnet. Der realistische Schreibstil vom Roman Am Landestor überraschte und begeisterte ihn und so unterstützte er die Dichterin.
Die Einstellung im feinen Bad Kudowa zu den Bernards wandelte sich. Jetzt war man stolz, eine bekannte Künstlerin im Ort zu haben und das Heimathaus wurde zur Attraktion.
Gesundheitliche Probleme überschatteten Annas schriftstellerische Erfolge. Erst eine Operation 1926 in Breslau rettete ihr Leben. Häufig kamen jetzt Besucher ins Heimathaus, darunter auch namhafte Persönlichkeiten, wie der tschecho-slowakische Minister und Theologe Jan Šrámek (1870-1956). Er überbrachte 1929 der Dichterin eine Einladung nach Prag für die Jahrtausendfeier zum Todestag des heiligen Wenzels. Später kam er nochmals nach Bad Kudowa. Der später von den Nazis nach Litauen deportierte und umgebrachte jüdische Historiker und Lehrer aus Breslau, Dr. Willy Cohn (1888-1941), schrieb als einer der ersten über ihr Werk. Anlass war sicherlich ihr Roman zum Judenhasser Capistranus (1386-1456), dem er im Zusammenhang mit dem Breslauer Pogrom von 1453 ebenfalls nachspürte. Weitere Kontakte bestanden mit Schriftstellerkollegen und lokalen Persönlichkeiten. Ein Briefwechsel mit dem Schriftsteller Max Hermann Neisse (1886-1941) kam nicht recht in Fluss.
Die politischen Zeitumstände nach 1933 beeinträchtigten ihr Schaffen erheblich. Der Ehemann und dessen Bruder mussten als sozialdemokratische Reichsbannerleute überstürzt nach Prag flüchten. Auch nach der Rückkehr waren sie weiter mit Verhaftung bedroht. Die christliche Dichtung der Bernard mit vielen mittelalterlichen Themen passte nicht in das Getöse der völkischen Propaganda der Nazis. So wurde der Roman Joseph Ernst Bergmann nicht mehr vom Verlag angenommen. Düstere Kriegsahnungen plagten die Dichterin in den letzten Lebenswochen.
Als sie nach dem 73. Geburtstag unerwartet die Augen schloss, erfolgte die Beisetzung bei strömenden Regen auf dem Friedhof von Deutsch Tscherbeney, (1937-1945: Grenzeck/ heute poln.: Czermna) mit einer schlichten Trauerfeier. Das Grab blieb bis heute erhalten. Im Jahre 2009 ist in Kúdowa Zdrój, am Heimathaus, in der ul. 1. Maja 45, eine Gedenktafel in polnischer Sprache enthüllt worden.
Die Lebensleistung dieser schlesischen Volksdichterin ist noch heute bemerkenswert. Ihre einfache, ungeschnörkelte Erzählweise gehört sicherlich nicht zur großen dramatischen Dichtkunst, ist aber unverwechselbar mit dem Lebensgefühl der Schlesier verbunden.
Das Erbe von Anna Bernard hat deshalb weiter einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte.
Werke (Auswahl): Ihr Schaffen umfasste mindstens 12 Hauptwerke, u.a.: Die Seinigen nahmen ihn nicht auf, 1913. – Am Landestor, 1925, preisgekrönt. – Im Zeichen des Saturn, Schauspiel, 1925. – Liebe Vergangenheit, Erinnerungen an Neisse, 1926. – Der Mönch von Capistrano, 1927. – Andreas Faulhabers Tod, Trauerspiel, 1935. – Die Töchter der Soldatenstadt, 2005 erst als Buch aufgelegt. – Weiter mindestens 60 Kurzgeschichten sowie einige Gedichte.
Lit.: Josef Fischer-Bernard, Das Leben der Anna Bernard. Beitrag zur literarischen Sitzung am 06.09.2008 in Bad Kudowa, online: Homepage Fischer-Bernard, URL: https://www.fischer-bernard.de/ Familie_FB/AnnaBernard/annabernard.htm, (abgerufen: 13.4.2017). – Karl Schindler, Von zwei Polen oberschlesischer Dichtung, in: Der Oberschlesier, 6. Heft, 1929, S. 363-367. – Ders., Volksdichterin Anna Bernard, in: ebd, 7. Heft, 1935, S. 414-416. – Ders., Der Dichterin Anna Bernard zum Gedenken, in: ebd, 12. Heft, 1938, S. 718-721. – Suzanna Wycisk-Müller, Bernard, Anna, in: Schöpferisches Schlesien, Engelsdorfer Verlag Leipzig, 2014. – Anna Bernard – Zum Gedenken an ihren 130. Geburtstag, Marx-Verlag Leimen/Heidelberg, (Hrsg), 1995.
Bild: Anna Bernard – Zum Gedenken an ihren 130. Geburtstag, s.o.
Helmut Steinhoff, 2017