Biographie

Bernhardi, Friedrich von

Herkunft: Rußland (Wolga- u. Schwarzmeer), Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: preußischer General, Militärschriftsteller
* 22. November 1849 in St. Petersburg
† 11. Juli 1930 in Kunnersdorf, Hirschberg/Schlesien

Männer machten Geschichte und haben Geschichte geschrieben. Der Historiker Sebastian Haffner hat einmal die Einsicht formuliert, “daß Geschichtsschreibung politische Literatur ist und daß jeder Art, Geschichte zu sehen ein politisches Programm impliziert– wie gewissenhaft immer man bei der Materialerforschung zuwege geht”. Ein treffliches Beispiel für diese Verquickung von Vergangenheit und Gegenwart gibt Friedrich von Bernhardi ab, einstmals von erheblicher Bedeutung und heute weitgehend vergessen.

Friedrich von Bernhardi entstammte einer gelehrten Familie: Die Urgroßmutter Anna Sophie war eine Schwester von Ludwig und Friedrich Tieck, verheiratet mit dem Schriftsteller und Philologen August Ferdinand Bernhardi, lange Zeit Rektor des Werderschen Gymnasiums in Berlin. In zweiter Ehe heiratete die Großmutter ins Baltikum. Der Vater Theodor (1803-1887) war Historiker und Diplomat.

Der Sohn wuchs auf dem neuerworbenen kleinen Gute Kunnersdorf am Riesengebirge auf. “Mein Herz hängt daran”, schrieb er 1926 als General der Kavallerie a.D. in seinen Lebenserinnerungen. Dort, “wo ich zuerst zum bewußten Leben erwachte”, ist weiter zu lesen, “habe ich meine erste glückliche Kindheit” verlebt. In Hirschberg ging Friedrich von Bernhardi bis 1867 zum Gymnasium, doch die diplomatische Mission des Vaters nach Italien führte zum Abbruch. Im Sommer 1869 weilte er kurz wieder in Kunnersdorf, dann trat er beim 2. Kurhessischen Husaren-Regiment Nr. 14 in Kassel ein. Eine lebenslange Laufbahn war eingeschlagen. Erster Höhepunkt war die Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg. Es folgten der Besuch der Berliner Kriegsakademie, Truppen- und Stabsverwendungen sowie ein dreijähriger Aufenthalt als Militärattaché in Bern. Zwischen diesen Stationen gab es eine Zeit als Major in der Kriegsgeschichtlichen Abteilung des Großen Generalstabs.

Bernhardi trat in die Fußstapfen des Vaters Theodor, der die umstrittene zweibändige MonographieFriedrich der Große als Feldherr (Berlin 1881) verfaßt hatte. Der Historiker sah in der Kriegskunst von Friedrich II. die Vernichtungsstrategie besonders akzentuiert und hatte ihn als genialen Vorgänger napoleonischer Kriegsführung gewertet. Das war eine Linie, die dem “politisierenden Generalstab” gefiel, aber bei anderen Historikern Widerspruch erfuhr. Mit dem bekannten Historiker Hans Delbrück (siehe über diesen OGT 1998, S. 247-254), der beim König eine Ermattungsstrategie vorherrschen sah, trug Friedrich von Bernhardi öffentlich einen publizistischen Strategiestreit aus. Von Amts wegen hatte dieser einen Teilband der Geschichte des Ersten Schlesischen Krieges 1740-1742 erarbeitet. Seitdem sah er die Offensivstrategie und beim Kampf an zwei Fronten die Konzentration auf einen Gegner zu seiner Vernichtung nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für Deutschlands Zukunft als erfolgversprechend an.

So begab sich Friedrich von Bernhardi, 1898 bis 1901 Chef der einflußreichen Kriegsgeschichtlichen Abteilung I, in aktuelle Diskussionen. Schon 1892 hatte er sich im Sinne Schlieffenscher Strategie dafür ausgesprochen, “ein entschlossenes va banque auf derjenigen Seite, von welcher die hauptsächlichste Gefahr droht” zu riskieren. Sein Buch Deutschland und der nächste Krieg, das 1912 erschien und bis 1914 auf sechs Auflagen kam, erregte international großes Aufsehen. Noch die sozialistische Militärgeschichtsschreibung weidete sich an Bernhardis Ansichten. Man sah in ihm den “ausgesprochenen Propagandisten imperialistischer Macht- und Eroberungspolitik” (Förster u.a.). Er sei “ohne Zweifel der führende Kriegsideologe des deutschen Imperialismus” gewesen, der in seinem Buch von 1912 “die aggressive Kriegspolitik des Reiches mit ihren Expansionszielen und die barbarische Ideologie des Militarismus” (Brühl) zum Ausdruck gebracht habe.

Doch diese Position ist überzogen, denn Bernhardi war bereits 1909 um seinen Abschied als Kommandierender General eingekommen, und seine offensichtlich politischen Ansichten hatten durchaus im Gegensatz zu den Vorstellungen des Generalstabes gestanden. Im Ersten Weltkrieg kommandierte Bernhardi eine Armeegruppe. Zurückgezogen und kränklich lebte er nach der als “tiefe Schmach” empfundenen Niederlage, wie er 1927 schrieb, als “Anhänger einer beschränkten Monarchie” und “ausgesprochener Gegner des gleichen Wahlrechtes” bis zu seinem Ende auf dem Familiengute, wo auch einst (1887) sein Vater verstorben war.

Werke: Das Studium des Fridericianischen Kriege in seiner Bedeutung für die moderne Kriegskunst. Berlin 1892. – Die Kriege Friedrich des Großen. Der Erste Schlesische Krieg 1740-1742, Bd. I.2 Von Mollwitz bis zum Beginn des Mährischen Feldzuges. Berlin 1893.– Die Elemente des modernen Krieges. In: Beihefte zum Militär-Wochenblatt 4, 1898. – Unsere Kavallerie im nächsten Kriege. Berlin 1899.–Deutschland und der nächste Krieg. Stuttgart, Berlin 1912. – Vom heutigen Kriege. 2 Bde. Berlin 1912. – Deutschlands Heldenkampf 1914-1918. München 1922. – Denkwürdigkeiten aus meinem Leben. Nach gleichzeitigen Aufzeichnungen und im Lichte der Erinnerung. Berlin 1927

Lit.: Förster, Gerhard u.a.: Der preußisch-deutsche Generalstab 1640-1965. Zu seiner politischen Rolle in der Politik. [Ost-]Berlin21966. – Brühl, Reinhard: Militärgeschichte und Kriegspolitik. Zur Militärgeschichtsschreibung des preußisch-deutschen Generalstabes 1816-1945. [Ost-]Berlin 1972. – Raschke, Martin: Der politisierende Generalstab. Die friederizianischen Kriege in der amtlichen deutschen Militärgeschichtsschreibung 1890-1914. Freiburg i.Br. 1993 (Einzelschriften zur Militärgeschichte, 36). – Lange, Sven: Hans Delbrück und der “Strategiestreit”. Kriegführung und Kriegsgeschichte in der Kontroverse 1879-1914. Freiburg i. Br. 1995 (Einzelschriften zur Militärgeschichte. 40).

Bild: Porträt, um 1914, aus: Festschrift des E.S.Mittler-Verlages zum 125jährigen Bestehen, Berlin 1914.

Stephan Kaiser