Biographie

Bierbaum, Otto Julius (Ps. Martin Möbius)

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Dichter, Schriftsteller
* 28. Juni 1865 in Grünberg/Schlesien
† 1. Februar 1910 in Kötzschenbroda/Dresden

„Er war dick und rund, aber beweglich, ja, sehr ästhetisch in seiner Fülle: seine Kleidung war bequem und dabei gewählt, sein breites fleischiges Gesicht endigte in einem Doppelkinn, aber unter einer hohen gewölbten Stirn saßen hinter blanken Zwickergläsern tiefblaue, kluge und warmherzige Kinderaugen“. So ist Otto Julius Bierbaum von Hans Brandenburg, dem ihm verehrend zugetanen späteren Herausgeber der auf zehn Bände angelegten Bierbaum-Gesamtausgabe (von denen dann nur sieben Bände erschienen sind) gezeichnet worden. Andernorts wird über seine „rundliche, wohlgenährte Rosigkeit“ berichtet. In einer Skizze zum Porträt eines Bekannten von mir, geschrieben nachdem Otto Julius Bierbaum noch nicht 45 Jahre alt nach schwerer Nieren- und Herzerkrankung gestorben war, lesen wir: „Otto Julius Bierbaum erblickte das Licht der Welt am 25. Juni 1865 zu Grünberg in Niederschlesien als Sohn eines eingeborenen Konditors und einer sächsischen Bergmannstochter“. Aufgewachsen ist der Schlesier Bierbaum in Leipzig, wohin der Vater bald nach der Geburt des Sohnes, der eines von vielen Kindern gewesen ist, gezogen war und wo er eine Wirtschaft, die zugleich auch eine Studentenkneipe war, unterhielt. Nach dem Schulbesuch in Dresden und Wurzen studierte er in Leipzig, Berlin und Zürich Jura, Geschichte und Chinesisch, doch mußte er das Studium aus finanziellen Gründen abbrechen. Jetzt begann ein Leben zuerst journalistischer Kunstkritik und dann der Schriftstellerei.

Um die Jahrhundertwende war Bierbaum einer der am häufigsten gelesenen Lyriker. Aber auch zwei Romane und Reiseschilderungen machten ihn bekannt und berühmt. Thomas Mann schrieb, als Bierbaum, mit dem er München als Ort des Wohnens, Arbeitens und vor allem Wohlbefindens teilte, gestorben war: „Es könnte sein, daß manch sangbares Lied seines Mundes noch lebt, wenn vieles, was heute gewichtiger dünkt, vergessen ist“. Der GedichtbandIrrgarten der Liebe erreichte die für Lyrik auch heute noch als sensationell geltende Auflage von über 100.000, die sich mit der von Heinrich Heines Buch der Lieder messen lassen dürfte. Das Gedicht „Traum durch die Dämmerung“ gehört in der Vertonung von Richard Strauss (nicht der einzigen von Bierbaum) bis in unsere Tage zum Repertoire der berühmtesten Sänger, wie früher Richard Taubers so später Dietrich Fischer-Dieskaus.

Es ist die Lyrik Bierbaums, die sein Werk über die Zeitgebundenheit heraushebt, auch wenn immer wieder angemerkt werden muß, daß man es am besten als Zeugnis der Zeit und ihrer damaligen Atmosphäre begreift. Das Zeitbedingte ist zugleich das Überzeitliche, auch wenn man nicht gleich so schwärmerisch wie der Zeitgenosse Ernst von Wolzogen urteilen muß: „Es war ihm nicht vergönnt, ein ganz Großer zu werden, aber er war ein ganz reicher, und wir haben alle unten im Hofe seiner märchenhaften Luftschlösser stehen dürfen, wenn er sein Geld zum Fenster hinauswarf“. Er war zu seiner Zeit und ist es auch noch heute in unserer deutschen Literatur: ein Epikureer, ein Leben frivol und frech Genießender, der auch seine Mitmenschen, die Leser seiner Verse zu Genuß und heiterer Lebensweisheit anstimmen wollte. Gewiß, der Reim, und an diesen hielt er sich streng, wurde ihm leicht, vielleicht sogar zu leicht, und zu schnell ist er in einem „Reimkarussell“, wie der Titel seines Gedichtes und einer 1961 erschienenen knappen Auswahl seiner Gedichte lautet, wiederzufinden. Manches ist ob seiner Leichtigkeit zum gängigen Schlager der Zeit geworden (übrigens sei der Begriff des „Schlagers“ eine Wortschöpfung Bierbaums, wie behauptet wird); man denke an „Ringelringelrosenkranz“ (in der Vertonung von Oskar Straus) oder „Laridah“. Gerade mit diesem Lied hat Bierbaum seine eigene betrübliche Liebeserfahrung in Verse umgesetzt, denn seine Frau, mit der zusammen er ein Schloß in Südtirol bewohnte, war ihm mit einem befreundeten, daselbst einquartierten Opernkomponisten durchgebrannt.

Erst wenn man Bierbaum an anderen Zeitgefährten mißt, etwa an Richard Dehmel, dem von ihm Geförderten, der zugleich auch ein Förderer Bierbaums gewesen ist, wird man des eigenen und einmaligen Tonfalls gewahr. Dehmels Dichtung ist düster und ernst, triebhaft und grübelnd, Bierbaums Dichtung hingegen ist heiter und verspielt, sinnentrunken und tanzfroh gelaunt. Selbstverständlich kann man ihn dafür schelten, daß Liebe nichts anderes denn bloße Verliebtheit, Schönheit oft genug nur vergoldeter Schein sei, das stimmungsselige Lied lediglich als eine zeitgemäße Melodie erklingt. Man wird dem Urteil Ernst von Wolzogens zustimmen: „Er war ein reicher Verschwender, ein frommer Heide“. Der Lyriker Bierbaum, von dem wir heute nur noch selten Gedichte in Anthologien jüngeren Datums wiederfinden, war ein reger und persönlich engagierter Promotor und Umsetzer seiner vielen eigenen Einfälle. So ist es ihm zu danken, daß es, wenn auch nur für kurze Zeit, die ZeitschriftenPan und Die Insel gegeben hat. Er begründete einen Goethe-Kalender, in München einen „Verein für modernes Leben“, und auch in Berlin gab er ein Gastspiel, wie es überhaupt zu bewundern gilt, an wie vielen Orten und Projekten Bierbaum, ein wahrer Vagant, beteiligt war. All dies war kein bloßer Aktionismus, dahinter steckte eine feste Überzeugung, nämlich die des Liberalismus, zugleich antiklerikal und die kaiserliche Oberhoheit im oppositionellen Visier. Hier wäre zu erwähnen, daß aus derInsel der berühmte Insel-Verlag hervorgegangen ist und daß Bierbaum ein Wegbereiter der Druck- und Buchkunst war, durch die sich in seinen frühen Jahren gerade der Insel-Verlag ausgezeichnet hat.

Mit den beiden Romanen Stilpe (1897) undPrinz Kuckuck (1906f.) erschrieb sich Bierbaum nicht nur freudige Leser, sondern erregten auch großes Aufsehen. Nannte er Stilpe einen „Roman aus der Froschperspektive“, so wurde Prinz Kuckuck zum erregenden Schlüsselroman, denn sein früherer Freund und Gönner, Alfred Walter Heymel, mit dem zusammen er seit 1903 die ZeitschriftDie Insel herausgegeben hatte, und Rudolf Alexander Schröder, der gleichfalls an der Zeitschrift beteiligt war, mußten sich in diesem dreibändigen Werk wiedererkennen. Bierbaum, der gern spottete und über den auch gern gespottet wurde, hatte sich jetzt Protest, Feindschaft und Prozesse eingehandelt.

Dieser Allerweltskerl Bierbaum hat übrigens auch das Auto in die Literatur eingeführt, denn er verfaßte Eine empfindsame Reise im Automobil von Berlin nach Sorrent und zurück an den Rhein, geschrieben als eine Folge von Briefen von einer abenteuerlichen Autofahrt über die Alpen an Freunde im Jahre 1902. Das Auto fuhr nicht schneller als 30 bis 35 Kilometer pro Stunde, ein Fahrzeug der Adler-Werke. Ein bis heute gültiges Wort „Reisen sage ich, nicht rasen“, wurde von Bierbaum damals geprägt. 1909 erschien noch ein weiteres Reisebuch Yankeedoodlefahrt.

Die Reise nach Italien hatte Bierbaum mit seiner zweiten Frau Gemma, einer Italienerin aus Florenz, von ihm selbst und allen, die sie kannten, als große Schönheit gepriesen, unternommen, und es wurde von den zeitgenössischen Literaten vermerkt: „Die schönen Frauen muß man den phantasielosen Männern überlassen. Dieser Bierbaum, der Schurke, hat immer Glück mit Häusern und Weibern“. Wer Bierbaum schildern und erklären will, muß gerade diese Art des Lebensstils als Ausdruck der Persönlichkeit und der Zeit begreifen. Es ist die Zeit, da das Kabarett erfunden wurde, das „Überbrettl“ 1901 mit Hilfe von Bierbaum in Berlin; später kamen die „Elf Scharfrichter“ in München dazu. Man lebte ein leichtes, ein unbeschwertes Leben, jedenfalls tat man so, und das war dann die Freude am dichterischen Ausdruck angesichts dieses leichten Lebens.

Es ist leider an dem, daß Otto Julius Bierbaum heute in der Literaturgeschichte eingesargt ist. Er gehört aber zum Charakteristikum einer Zeit, die eigentlich nur in ihren Gegensätzen zu verstehen ist, ohne daß das vielfältige Nebeneinander gleich auch als Gegensatz verstanden werden wollte, von den fast gleichaltrigen Stefan George und Gerhart Hauptmann bis zu Detlev von Liliencron, Frank Wedekind und diesem Otto Julius Bierbaum. Hier ist das Einmalige dieses Dichters festzuhalten. Er nennt sich selbst einen „Adoranten der Schönheit“ und preist diese: „Schönheit ist der Sinn der Welt. – Schönheit genießen heißt die Welt verstehen“. Es ist eine bewußt in Kauf genommene Portion Oberflächlichkeit in diesem Berauschen an der Schönheit, eine Art Selbstgefälligkeit ohne Zeit zum Verweilen: „So will ich an der Oberfläche nur/ Vom Quell des Schönen schöpfen./ Griff ich tiefer, ach,/ Es käme wieder Schlamm mir in das Glück“. Die kritische Gegenantwort lautet: Selbsttäuschung, Oberflächlichkeit, dem Augenblick vertrauen, der Schwere und dem Ernst ausweichen. Aber mit solcher Kritik wird man Otto Julius Bierbaum und seiner mit leichter Hand betriebenen Kunst des Dichtens nicht gerecht. Es gilt vor allem für den Lyriker sein Wort: „Und lasse Verse steigen, wie die Kinder bunte Drachen steigen lassen“, denn des Dichters Handwerk ist es, „Einsam sein und Verse fangen“.

Es waren gerade 25 Jahre, da Otto Julius Bierbaum dieses Handwerk des Dichters um die Jahrhundertwende vor allem in München, der von ihm innig geliebten Stadt, betrieben hat.

Lit.: Alfred von Klement: Bierbaum-Bibliographie, Wien [u.a.] 1957. – Julius Bab: Berliner Boheme, Berlin 1904. – Dushan Stankovich: Bierbaum – eine Werkmonographie, Bern und Frankfurt a.M. 1971.

 Herbert Hupka