Biographie

Bierschenk, Theodor

Herkunft: Zentralpolen (Weichsel-Warthe)
Beruf: Magister, Lehrer, Publizist und Führungspersönlichkeit der Vertriebenen
* 16. August 1908 in Sompolno/Mittelpolen
† 18. März 1996 in Lensahn/Schleswig-Holstein

Theodor Bierschenk wurde am 16. August 1908 in Sompolno in Mittelpolen (Russisch-Polen) als Sohn des Pastors und Schulleiters Alexander Bierschenk (1875-1975) geboren. Nach dem Schulbesuch in Sompolno und dem Abitur im Lodzer Deutschen Gymnasium (1926) studierte er Geschichte an der Jagiellonischen Universität in Krakau, wobei sein berufliches Ziel der Dienst im deutschen Schulwesen in Polen war. Am Schluss seines zügig absolvierten Studiums stand im Jahre 1932 das Magisterexamen mit einer sehr gut bewerteten Arbeit bei Prof. Jan Dąbrowski über Die Genesis des polnisch-brandenburgischen Bündnisses von 1421. Bierschenk erteilte als Lehrer Unterricht in Laurahütte/Oberschlesien und in Bromberg (1932 -1935), zuerst am deutschen Lyzeum, dann am deutschen Gymnasium.

Die restriktive Minderheitenpolitik der Zweiten Polnischen Republik und die damalige Situation der deutschen Volksgruppe in Polen empfand Bierschenk – wie viele seiner Altersgefährten – als Herausforderung, sich politisch zu engagieren. Deshalb beendete er mit dem ausgehenden Schuljahr 1934/35 seinen Schuldienstund schloss sich der Jungdeutschen Partei in Bromberg an, die von Bielitz und Oberschlesien her eine Erneuerung und organisatorische Einigung des gesamten Deutschtums in Polen begonnen hatte. Nach kurzer Tätigkeit in Lodz war Bierschenk von Sompolno aus um die Aktivierung des Deutschtums auf der Kujawischen Seenplatte, im Warthebruch sowie im Kalischer und Dobriner Land bemüht.„Dabei fand er auch mit Dr. Kurt Lück und dem Kreis um die ‚Deutschen Monatshefte in Polen‘ den Zugang zu historisch-wissenschaftlicher Tätigkeit, die ihn sein Leben lang fesselte“ (Dr. Richard Breyer, Sprecher der Landsmannschaft Weichsel-Warthe 1981-1993).

Das Schicksal von Flucht und Vertreibung, das ihn und seine über Pommern nach Hessen gelangte Familie traf, bestimmte sein weiteres Leben und Wirken. Im Rahmen derDokumentation der Vertreibung und in Zusammenarbeit mit dem Göttinger Arbeitskreis verfasste er das bedeutsame Buch Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-1939 (Holzner-Verlag Würzburg 1954).

Nachdem im Jahre 1953 zum Vollzug des Lastenausgleichs 34 Heimatauskunftsstellen eingerichtet wurden, wurde Bierschenk wegen seiner fundierten Kenntnisse und seiner Herkunft die Leitung der Heimatauskunftsstelle Polen II mit Sitz in Hannover übertragen. Diese Dienststelle war für das seinerzeitige Generalgouvernement mit ganz Galizien (Warschau, Radom, Lublin, Krakau, Lemberg), für Wolhynien, Polesien, den Bezirk Białystok und das Wilnaer Gebiet zuständig. Da sich die Feststellung und Bewertung der Vermögensschäden der Geschädigten oft als sehr schwierig erwies, wurde bald bestimmt, dass sämtliche Feststellungsanträge, die landwirtschaftliches Vermögen und die Grundvermögen betrafen, von allen Ausgleichsämtern im Bundesgebiet den betreffenden Heimatauskunftsstellen zur Begutachtung zuzuschicken seien. Dazu waren noch viele Anträge auf Betriebsvermögen zu bearbeiten, wenn die besonderen Verhältnisse dies erforderten. Bierschenk leitete die Dienststelle bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze.

Bierschenk konnte durch seine berufliche Tätigkeit seine Kenntnisseim Vertriebenen- und Lastenausgleichsrecht, die er sich bereits in seiner vielseitigen landsmannschaftlichen Tätigkeit zuvor angeeignet hatte, erweitern. Er gehörte 1949 zu den Gründern der Landsmannschaft Weichsel-Warthe auf Bundesebene, in der sich vor allem die Deutschen aus der früheren preußischen Provinz Posen, aus Mittelpolen mit dem Schwerpunkt Lodz, aus Wolhynien und aus Galizien zusammengefunden hatten.

So übernahm Bierschenk im Jahre 1950 den Vorsitz im Landesverband Niedersachsen der LWW, den er bis 1994 innehatte, und führte die beiden großen Bundestreffen der Landsmannschaft in Hannover in den Jahren 1958 und 1970 durch. Gleichzeitig engagierte sich Bierschenk im Bundesverband der Landsmannschaft: von 1953 bis 1989 als Bundespressereferent und als Schriftleiter des monatlich erscheinenden MitteilungsblattesWeichsel-Warthe, einer Beilage zu den Zeitschriften der drei Hilfskomitees (Posener Stimmen,Weg und Ziel undDas heilige Band – Der Galiziendeutsche), sowie von 1955 bis 1990 als Schriftleiter des Jahrbuchs Weichsel-Warthe, in dem er stets mit eigenen Beiträgen vertreten war.

Viele Landsleute aus dem Zwischenkriegspolen verdanken ihm wertvolle Informationen und Ratschläge in Fragen des Vertriebenenrechts, des Lastenausgleichs, des Fremdrentenrechts und in Spezialfragen der Spätaussiedler. In zahlreichen regionalen Tagungen hat er die ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durch Vorträge und Fallbesprechungen sachkundig informiert.

Ein weiteres Anliegen war für Bierschenk die Zusammenführung und der Zusammenhalt seiner Landsleute, Freunde und Weggefährten, insbesondere der ehemaligen Lehrer und Studenten. Viele Jahre betreute er die früheren Vereine Deutscher Hochschüler in Polen, die sich nach 1945 in einem eigenen Verein zusammen fanden. Er sorgte in seiner umsichtigen Arbeit dafür, dass Berichte über das Wirken der fünf deutschen Hochschulgruppen verfasst wurden, die er gemeinsam mit einem eigenen Überblick im Eigenverlag unter dem Titel Die Vereine Deutscher Hochschüler in Polen 1922-1939 herausgab.

Sein unermüdliches Wirken galt auch der Förderung des kulturellen Erbes der Deutschen aus Polen. So war Bierschenk aktives Mitglied der Historisch-Landeskundlichen Kommission für Posen und das Deutschtum in Polen, viele Jahre Vorstandsmitglied der Stiftung Kulturwerk Wartheland und Mitglied im Stiftungsrat Nordostdeutsches Kulturwerk (Lüneburg).

Unschätzbare Verdienste hat sich Bierschenk auch als Geschäftsführendes Vorstandsmitglied im Bundesvorstand der Landsmannschaft Weichsel-Warthe und als ehrenamtlicher Leiter der Bundesgeschäftsstelle in Hannover (1970-1990) erworben. Für sein Engagement ehrte ihn der Bund der Vertriebenen 1972 mit der Goldenen Ehrennadel und die Landsmannschaft Weichsel-Warthe mit dem Dr. Kurt-Lück-Preis, dem Kulturpreis der Landsmannschaft Weichsel-Warthe.

Mit ausgeprägter Zielstrebigkeit, großer Ausdauer, unbeirrbarer Beharrlichkeit und beispielhaftem Idealismus hat sich Bierschenk jahrzehntelang ehrenamtlich in die landsmannschaftliche Arbeit eingebracht und für seine Landsleute aus dem Zwischenkriegspolen eingesetzt.

Bierschenk war – wie der langjährige Bundessprecher und Osteuropahistoriker Dr. Richard Breyer (1917-1999) in einem Nachruf für ihn feststellte – ein Mann, „der wie kaum ein anderer in konsequenter Linie aus der Volksgruppe von einst in die jetzige Landsmannschaft hineinragte und stets aus freiem Willen sein Bestes für beide geleistet hat. Es geschah aus einer Grundhaltung heraus, die man heute weithin nur noch mit einer gewissen Wehmut als ‚glühenden Idealismus‘ bezeichnen kann.“

Lit.: Außer den bereits genannten Veröffentlichungen verfasste Bierschenk zahlreiche Beiträge in den Jahrbüchern Weichsel-Warthe und in den 213 Folgen der Vierteljahreszeitschrift Kulturwart: Beiträge zur deutsch-polnischen Nachbarschaft.

Bild: Privatarchiv des Autors.

Karl Bauer