Biographie

Birnbaum, Hans

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Industriemanager, Beamter
* 14. Februar 1912 in Schwetz/Weichsel
† 18. November 1980 in Salzgitter

Als einer der Nachfolger des Westpreußen Konrad Ende übernahm 1968 der Westpreuße Hans Birnbaum den Vorstandssitz des Bundeskonzerns Salzgitter. Vier Jahre später nannten die Frankfurter Allgemeine den Arztsohn eine Persönlichkeit, die nicht zu den „kühldistanzierten Organisationstechnokraten“ gehöre und auch nicht zu den „alerten, quicken Dynamikern“. Sie beschrieb Hans Birnbaum damals treffend, daß er eher einer „Eiche“ als einem „Birnbaum“ ähnlich sei, mit seinem zupackenden Griff eines Ruder-Schlagmannes. „Kohlrabi im Garten – Stahl in der Hand“, das war die Überschrift der Welt am Sonntag am Reformationstag 1976. Mit „Kohlrabi“ war seine Naturverbundenheit und sein Garten hinter dem Haus nahe der Zonengrenze gemeint und mit „Stahl“ die Aufgabe des ehemaligen Beamten, der sich zu einem bedeutenden Industriemanager entwickelt hatte.

Ihm gelang eine außergewöhnliche und von Erfolg gekrönte Karriere. Als er 1980 verstorben war, nannte die Salzgitter AG ihren ehemaligen Chef einen Mann, „dessen Name identisch war mit dem von Salzgitter“. Die Stadt hatte Hans Birnbaum zum Ehrenbürger ernannt und der Bundespräsident ihm das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband verliehen. In sein Arbeitszimmer hatte er an die Wand eine Kupferstichkarte des Preußenlandes aus dem 18. Jh. gehängt.

Gerne zeigte er Gästen, wo er geboren war: In der Stadt Heinrich von Plauens, in Schwetz an der Weichsel in Westpreußen. Sein Vater war Obermedizinalrat, der Sohn wollte ebenfalls Beamter werden. In Landsberg/Warthe besuchte er die Schule. An den Universitäten Freiburg i. Br., Leipzig und Königsberg/Pr. studierte er Rechtswissenschaft, war danach kurze Zeit beim Amtsgericht Brandenburg tätig und von 1939 bis 1945 im Reichswirtschaftsministerium. Nach dem Kriege beschäftigte ihn die Britische Militärregierung, danach der Niedersächsische Finanzminister und ab 1950 zunächst der Bundesfinanzminister und anschließend der Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz.

In jenen Jahren wurden zahlreiche der Bundesrepublik Deutschland gehörende Unternehmen privatisiert wie z. B. Schichau, Preussag und VW. Dieses war eine der Aufgaben des damaligen Ministerialdirigenten Hans Birnbaum. Als der bundeseigene Salzgitterkonzern in einer schweren Krise steckte, wechselte 1961 der Jurist Birnbaum aus dem Ministerium in Bonn zum Salzgitter-Vorstand und übernahm dort sieben Jahre später den Vorstandsvorsitz. Das „Faß Salzgitter“ sollte wieder „einen Boden bekommen“. Aus dem angeschlagenen und zu groß gewordenen Gebilde Salzgitter formte der Schwetzer Arztsohn einen rentablen Konzern. In der Wirtschaft war man sich einig, Hans Birnbaum war etwas gelungen, was viele nicht für möglich gehalten hatten und dies ohne jede Hilfe des Staates. Er war ein strenger Vertreter seiner Überzeugung, daß wirtschaftliche Schwierigkeiten nur privatwirtschaftlich zu lösen sind. Und auch in der großen Stahlkrise 1977 wich er von dieser Überzeugung nicht ab. Im November 1974 steckte der Automobilkonzern Volkswagenwerk ebenfalls in einer schweren Krise. Hans Birnbaum wurde gerufen und übernahm den Vorsitz des Aufsichtsrates. Der ehemalige Bonner Beamte zeigte erneut, daß Beamte auch unternehmerisch denken und handeln können. Zeitweise war er auch für Büssing und den dortigen Lastwagenbau zuständig, tauschte ihn aber gegen die Mehrheit bei Howaldwerke/Deutsche Werft (HDW) ein.

Er war Mitglied der CDU und des CDU-Wirtschaftsrates, kämpfte gegen die damals aus seiner Sicht weitgefaßten Mitbestimmungspläne seiner Partei, denn nach seiner Meinung mußte „Mitbestimmung erst gelernt werden“. Er scheute nicht den Kontakt zu den kommunistischen Ostblockstaaten, sondern im Gegenteil, er suchte auch dort das Geschäft zusammen mit Krupp, Demag, Korff und Siemens. Unter seiner Leitung wurde Salzgitter zum größten Osthändler Westeuropas. Die Comecon-Länder nannten Birnbaum „Mister Salzgitter“. Birnbaum gehörte u. a. dem Aufsichtsrat der Energiekonzerne VEBA und Ruhrkohle AG an, der Preußischen Elektrizitäts-AG, der Dresdener Bank, der Dornier GmbH und der Preussag. Im Jahre 1979 trat er in den Ruhestand, behielt aber viele Aufgaben und Verpflichtungen bei. Jungen Menschen gegenüber änderte er gerne ein Wort Moltkes ab und sagte, wenn er nach den Voraussetzungen für eine Karriere gefragt wurde: 99% sind Fleiß und 1% Glück. Ohne dieses Quäntchen Glück, schrieb er einmal, „wird sich kein dauerhafter Erfolg einstellen“. Und von allen Führungseigenschaften stellte er oben an die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen. Birnbaum von der Weichsel war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, der auch noch Interesse und Zeit fand als es darum ging, 1973 den 500. Geburtstag des großen Astronomen Nicolaus Copernicus aus Thorn in der Bundesrepublik Deutschland würdig zu begehen. Er wurde Mitglied im Kuratorium der „Gesellschaft zur Vorbereitung des Nicolaus-Copernicus-Jahres 1973″ in Westdeutschland und engagierte sich dabei sehr.

Hans-Jürgen Schuch