Johannes Blaskowitz wurde als Sohn eines ostpreußischen Pfarrers geboren. Im dritten Lebensjahr verlor er seine Mutter, wuchs dann in Walterkehmen, Kreis Gumbinnen, auf, um im Alter von zehn Jahren den Soldatenrock anzuziehen. Drei Jahre verbrachte er als Kadett in Köslin und vier weitere Jahre auf der Hauptkadettenanstalt Lichterfelde bei Berlin, von wo er am 2. März 1901 als Fähnrich dem Infanterieregiment von Grolman (1. Posenschen) Nr. 18 überwiesen wurde. Diesem Regiment – 1815 errichtet, 1889 nach dem bekannten Reformer und Weggenossen Scharnhorsts und Gneisenaus, Karl von Grolman, benannt und 1890 von Gleiwitz und Beuthen nach Osterode in Ostpreußen verlegt – gehörte Blaskowitz über elf Jahre lang an. Von Osterode aus besuchte er die Kriegsschule Engers am Rhein, absolvierte sie als Zweitbester und wurde am 27. Januar 1902 mit einem Patent vom 10. Juli 1900 – seinem 17. Geburtstag – zum Leutnant befördert. Zum Regiment zurückgekehrt, erwies sich Blaskowitz nicht nur als ein tüchtiger Truppenoffizier, sondern auch als ein guter Turner. Nach der Teilnahme an einem Lehrgang der Militär-Turnanstalt in Berlin war er eineinhalb Jahre als Hilfslehrer an dieser Anstalt tätig. Von 1908 bis 1911 zur Kriegsakademie in Berlin kommandiert, legte er dort die Dolmetscherprüfung in Französisch ab und ließ sich anschließend aus gesundheitlichen Gründen zu einem Regiment in Baden versetzen.
Von Offenburg am 1. April 1914 in das Infanterieregiment Markgraf Ludwig Wilhelm (3. Badensches) Nr. 111 in Rastatt versetzt, rückte Blaskowitz als Kompaniechef ins Feld, erhielt bei Mülhausen die Feuertaufe, um später in Lothringen, bei Nancy und Arras sowie in Flandern eingesetzt zu werden. Als Bataillonsführer in einem Jägerregiment nahm Blaskowitz an den Kämpfen in Südtirol und am Feldzug in Serbien teil. Ab April 1916 wurde er im Generalstab verwendet, zunächst an der Aisne, später an der Ostfront. Im September 1916 erhielt er die silbernen Spiegel und war ab Oktober 1916 Generalstabsoffizier der 75. Reserve-Division, von der Teile einer von ihm generalstabsmäßig betreuten Übungs- bzw. Lehr-Division unterstellt wurden, die deutschen und österreichischen Verbandsführern, Militärattachés und ausländischen Generalstabsoffizieren neue Großkampfmethoden zu demonstrieren hatte. 1917 an der Abwehr der Kerenski-Offensive mitwirkend, nahm er anschließend an der Schlacht um Riga teil und machte – nach dem Westen verlegt – während der Großen Schlacht in Frankreich im Frühjahr 1918 die bittere Erfahrung, daß die eigenen Kräfte nicht ausreichten, um die durch unverbrauchte amerikanische Divisionen verstärkten alliierten Streitkräfte niederwerfen zu können. Das Kriegsende erlebte Blaskowitz bei einer ungarischen Honved-Division, die in Lothringen und in den Vogesen eingesetzt war.
Nach der Verwendung als Generalstabsoffizier im Übergangsheer wurde Blaskowitz am 1. Januar 1921 in das 100.000-Mann-Heer übernommen und fand bis Anfang 1933 ausschließlich innerhalb des im Südwesten Deutschlands gelegenen Wehrkreises V als Generalstabsoffizier, Bataillonskommandeur, Chef des Stabes des Wehrkreiskommandos V und Kommandeur des 14. (Badischen) Infanterieregiments in Konstanz Verwendung. Als solcher war er zugleich Landeskommandant in Baden, dessen Territorium größtenteils zur entmilitarisierten Zone gehörte. Aus Briefen des späteren Generalmajors Helmuth Stieff geht hervor, daß Blaskowitz 1932 nicht nur die Parteien als Unglück Deutschlands ansah, sondern besonders die NSDAP wegen ihrer Forderungen nach der ganzen Macht als „Parteiübel“ behandelt wissen wollte.
Am Tag der Regierungsübernahme Hitlers verließ Blaskowitz sein ihm lieb gewordenes badisches Regiment, um als Inspekteur der Waffenschulen von Berlin aus die Ausbildung des Offiziernachwuchses zu überwachen. Seine vornehmsten Aufgaben lagen darin, einerseits in kürzester Zeit eine neue Organisation der Ausbildungsstätten für den in den nächsten Jahren zahlenmäßig stark ansteigenden Bedarf an Offizieranwärtern zu schaffen und andererseits die Ausbildungszeit entsprechend diesem Bedarf so zu kürzen, daß die jungen Offiziere nach Abschluß ihrer Ausbildung dennoch ihren Aufgaben als Kompanieoffiziere bzw. Zugführer gewachsen waren – auch in den bisher verbotenen Waffengattungen (schwere Artillerie, Panzer- und Panzerabwehrtruppen, Flugabwehr- und Nebeltruppen).
Am 1. April 1935 übernahm Blaskowitz den Befehl über den Wehrkreis II, dessen Truppen ab 21. Juni 1935 das II. Armeekorps bildeten. Unter seiner Führung vollzog sich in Pommern und Mecklenburg der Übergang vom Berufsheer zum Heer der allgemeinen Wehrpflicht. In Pommern lag der Truppenübungsplatz Groß Born, auf dem sich im August 1938 zwei für die deutsche Militärgeschichte nicht unwichtige Ereignisse abspielten: die Übergabe des Artillerie-Regiments 12 (Schwerin) an den am 4. Februar 1938 gestürzten Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Freiherr von Fritsch, durch seinen Nachfolger von Brauchitsch und die wenige Tage später vor Hitler abgehaltene Übung mit Panzerverbänden, bei der die gegensätzlichen Ansichten von Hitler und Blaskowitz über den Einsatz von Panzertruppen aufeinanderstießen, so daß Hitler entrüstet nach Berlin zurückkehrte. Wie dessen Luftwaffenadjutant von Below später in seinen Erinnerungen schrieb, habe Hitler darüber geklagt, daß Blaskowitz die konventionelle Ansicht vertrete, der zufolge Panzer lediglich eine schwere Waffe der Infanterie waren.
Dennoch übernahm Blaskowitz am 10. November 1938 die Führung des Heeresgruppenkommandos 3 in Dresden, dem das IV., VII. und XIII. Armeekorps mit den in Bayern und Sachsen in Garnison befindlichen Truppen des Heeres unterstanden. Nach der Besetzung Prags am 15. März 1939 übertrug der Oberbefehlshaber des Heeres Blaskowitz die vollziehende Gewalt in Böhmen, bis Freiherr von Neurath sein Amt als Reichsprotektor von Böhmen und Mähren antrat. Wenige Monate später hatte Blaskowitz als Oberbefehlshaber der 8. Armee an der Bzura gegenüber einer starken polnischen Kräftegruppe schwere Kämpfe zu überstehen. Seine Armee wurde mit dem Endkampf um Warschau beauftragt, dessen 118.000 Mann starke Besatzung nach der Einsicht, daß jeder weitere Widerstand nutzlos war, kapitulierte. Seine ritterliche Haltung gegenüber dem geschlagenen tapferen Gegner brachte Blaskowitz dadurch zum Ausdruck, „daß er die Gefühle seines Gegner soldatisch durchaus verstände und würdige, daß aber der Krieg nur ganze Lösungen gestatte“. Der polnische General Rommel beendete seinen in polnischer Sprache gehaltenen Dank mit dem seherischen Hinweis: „Das militärische Schicksal ist veränderlich!“
Mit seinem Armeestab kaum im Westen eingetroffen, erhielt Blaskowitz den Befehl, Generaloberst von Rundstedt als Oberbefehlshaber Ost abzulösen. Mit seiner Befehlsübernahme trat in den besetzten Ostgebieten zugleich eine Neuordnung ein, indem Reichsminister Dr. Frank die Regierungsgewalt im neu gebildeten „Generalgouvernement“ übernahm, während dem Oberbefehlshaber Ost lediglich die im Generalgouvernement und in Ostpreußen stationierten Truppen zum Schutz der Ostgrenze unterstanden. Zwischen Frank und Blaskowitz bestand laufend ein gespanntes Verhältnis, da ersterer glaubte, Blaskowitz als seinen Untergebenen behandeln zu können, während sich der Generaloberst lediglich an die Befehle des Oberbefehlshabers des Heeres gebunden fühlte. Ihm sandte er daher mehrfach Denkschriften über die Lage im besetzten Polen und Berichte über die Greuel, die die SS und die Polizei im Generalgouvernement verübten, in einer Deutlichkeit, wie es von seiten verantwortlicher Militärs wohl als einmalig bezeichnet werden kann. Als Brauchitsch Hitler Ende November 1939 eine entsprechende Denkschrift vorlegen ließ, nahm dieser nach dem Zeugnis seines Heeresadjutanten Major Engel den Inhalt „zunächst ruhig zur Kenntnis, begann dann aber mit schweren Vorwürfen gegen ‘kindliche Einstellungen’ in der Führung des Heeres. Mit Heilsarmee-Methoden führe man keinen Krieg. Er habe General Blaskowitz niemals das Vertrauen geschenkt, … sei auch gegen die Beauftragung mit der Führung einer Armee gewesen“ und „halte es für richtig, Blaskowitz von diesem Posten, da ungeeignet, zu entfernen.“ Doch die Heeresführung trennte sich nicht von dem tüchtigen General, sondern übertrug ihm im Frühjahr 1940 die Führung einer für den Westfeldzug bestimmten, neu aufgestellten Armee und beauftragte ihn, nachdem Hitler seine sofortige Ablösung verlangt hatte, mit territorialen Aufgaben im besetzten Frankreich sowie schließlich mit der Führung der 1. Armee, die zunächst die Ausbildung von Divisionen des Heeres und der Waffen-SS zu überwachen hatte.
Im November 1942 nahm Blaskowitz’ Armee am Einmarsch in das unbesetzte Frankreich teil und traf Vorbereitungen für einen Einsatz in Spanien und Portugal sowie ab 1943 zur Abwehr einer immer wahrscheinlicher werdenden Invasion an der Atlantikfront. Seit Mai 1944 Oberbefehlshaber der Armeegruppe G, unterstanden Blaskowitz die zur Verteidigung der südfranzösischen Atlantikküste, der Pyrenäenfront und der französischen Mittelmeerküste eingesetzten Armeen und Verbände, die nach der am 6. Juni 1944 begonnenen Invasion durch Abgaben an die Normandiefront laufend geschwächt wurden. Der Kampf gegen die im Hinterland anwachsende Terroristenbewegung erforderte harte Gegenmaßnahmen. Eindringlich ermahnte Blaskowitz jedoch seine Soldaten, „diesen Krieg sauber zu führen“. Es dürfe „nicht vorkommen, daß Frauen oder Kinder von diesem Kampf in Mitleidenschaft gezogen werden, Gehöfte angesteckt werden, in denen nie ein Terrorist gewesen ist, oder Männer, die nie etwas mit den Terroristen zu tun gehabt haben, der Kugel zum Opfer fallen“.
Die Ereignisse des 20. Juli 1944 trafen Blaskowitz schwer. An der südwestlichen Peripherie des Kampfgeschehens stehend, wurde er durch sie wohl völlig überrascht und schrieb dem Feldmarschall von Mackensen: „Die düsteren Ereignisse des 20. Juli mußten außerhalb meiner Gedankenwelt liegen. Sie können uns an der Front nur in dem Vorhaben bestärken, unsere Treue zu Führer, Volk und Vaterland bis zum Letzten zu halten. …“
Eine erfolgreiche Abwehr der am 15. August 1944 erfolgten Invasion an der Mittelmeerküste, die im Zusammenhang mit dem Entstehen einer organisierten französischen Armee gesehen werden muß, war nicht mehr möglich. Doch gelang es Blaskowitz, seine Truppen ohne allzu empfindliche Verluste in die Vogesenfront zurückzuführen, um nach Meinungsverschiedenheiten mit Hitler über einen Einsatz bei Nancy in die Führerreserve versetzt zu werden.
Ab Ende Dezember mit der Führung verschiedener Heeresgruppen im Westen, zuletzt der „Festung Holland“ beauftragt, bemühte sich Blaskowitz, den Zusammenhalt der Front zu wahren. Am 5. Mai 1945 bewahrheitete sich der seherische Hinweis des polnischen Generals Rommel: Blaskowitz kapitulierte mit etwa gleich starken Truppen wie dieser 1939 gegenüber dem kanadischen Generalleutnant Charles Foulkes. Als Kriegsgefangener war Blaskowitz Zeuge im Nürnberger Prozeß, Mitarbeiter Halders als Autor kriegsgeschichtlicher Studien, deutscher Lagerführer des amerikanischen Kriegsgefangenenlagers Allendorf und schließlich Angeklagter im OKW-Prozeß. Als solcher stürzte er sich am in das Treppenhaus des Nürnberger Gefängnisses, bevor sein „Fall“ verhandelt wurde. Blaskowitz’ treuer Bursche aus dem Ersten Weltkrieg, Johannes Koepcke, überführte seinen toten Hauptmann von Nürnberg nach Bommelsen in der Lüneburger Heide und begrub ihn dicht neben dem Ehrenmal für die Toten des Ersten Weltkrieges, das Blaskowitz am Heldengedenktag 1935 eingeweiht hatte.
Quellen: Generallandesarchiv Karlsruhe: Abt. 233, Nr. 12362; Abt. 456, Bd. 13, Nr. 17. – Bundesarchiv-Militärarchiv: Pers 6/20; RH 19 XII; RH 19 XIII; RH 20 – 1; RH 20 – 8; RH 20 – 9; RH 53 – 23; MSg 1/1814; N 39.
Lit.: Fritz v. Siegler: Blaskowitz, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. II, S. 290 f. – Gerd Brausch: Blaskowitz, in: Altpreußische Biographie, Bd. III Marburg 1975. – Friedrich-Christian Stahl: Blaskowitz, in: Badische Biographien, Neue Folge, Bd. II Stuttgart 1987, S. 41-45. – Christopher Clark: Der christliche General, in: Die Militärelite des Dritten Reiches, hrsg. v. Ronald Smelser u. Enrico Syring. Berlin 1995, S. 28-43. – Joachim Ludewig: Generaloberst Johannes Blaskowitz im Zweiten Weltkrieg, in: MilitärGeschichte, 5.Jg. (1995), H.1. – Richard Giziowski: The Enigma of General Blaskowitz. London/New York 1997. – Th. Zahn: Das Infanterie-Regiment Markgraf Ludwig Wilhelm (1. Badensches) Nr. 111 im Weltkriege 1914-1918. Wiesbaden 1936. – Ausgewählte Briefe von Generalmajor Helmuth Stieff (mit einer Vorbemerkung von Hans Rothfels), in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2. Jg. (1954). – Hans Umbreit: Deutsche Militärverwaltungen 1938/39. Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei und Polens. Stuttgart 1977. – Nicolaus von Below: Als Hitlers Adjutant 1937-1945. Mainz 1980. – Rolf Elble: Die Schlacht an der Bzura im September 1939 aus deutscher und polnischer Sicht. Freiburg 1975. – Heeresadjutant bei Hitler 1938-1943. Aufzeichnungen des Majors Engel, hg. u. kommentiert v. Hildegard von Kotze. Stuttgart 1974. – Helmuth Groscurth: Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938-1940. Stuttgart 1970. – Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1945. Stuttgart 1961. – Charles Burdick: Planungen für das Einrücken deutscher Kräfte in Spanien in den Jahren 1942-1943. Die Unternehmen „Ilona“ und „Gisela“, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau, 13. Jg. (1963), S. 164-178. – Joachim Ludewig: Der deutsche Rückzug aus Frankreich 1944. Freiburg 1994. – Jörg Staiger: Rückzug durchs Rhônetal. Neckargemünd 1965. – Walter Warlimont: Im Hauptquartier der deutschen Wehrmacht 1939-1945. Frankfurt a.M. 1962. – Albert Kesselring: Soldat bis zum letzten Tag. Bonn 1953. – Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht 1944-1945, Teilband 7 und 8. Herrsching 1982. – Robert M.W. Kempner: Ankläger einer Epoche. Lebenserinnerungen. Frankfurt a.M. 1983. – Christopher Clark: Johannes Blaskowitz – Der christliche General. In: Ronald Smelser, Enrico Syring (Hrsg.): Die Militärelite des Dritten Reiches. Ullstein, Berlin 1995, S. 28–49.
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Blaskowitz
Bild: Bilderarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin.
Friedrich-Christian Stahl