Biographie

Böhm, Johann

Herkunft: Siebenbürgen
Beruf: Schriftsteller
* 25. September 1929 in Botsch/Nordsiebenbürgen

Johann Böhms Autobiographie Hakenkreuz und rote Fahne – Erinnerung eines Siebenbürger Deutschen aus zwei Diktaturen ist einmalig im rumäniendeutschen Schrifttum, weil es die Teilung Siebenbürgens durch den 2. Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940 behandelt. Nordsiebenbürgen mit seinen Siebenbürger Sachsen aus dem Nösnerland ging an Ungarn, der größere Rest der Siebenbürger Sachsen blieb bei Rumänien.

Johann Böhm, der von 1948 bis 1952 die Lehrerbildungsanstalt in Schässburg/ Sighisoara (Siebenbürgen/ Rumänien) besuchte und von 1960 bis 1965 an der Universität Klausenburg/ Cluj Deutsch, Rumänisch und Geschichte studierte, betrieb nach seiner Umsiedlung nach Deutschland im Jahre 1969 von 1971 bis 1975 das Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Pädagogik an der Universität Bochum. Die Promotion zum Dr. phil. erfolgte an der Universität Köln.

Seit 1989 Herausgeber der Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik, ist er auch Verfasser der Standardwerke zur Geschichte der Rumäniendeutschen Die Deutschen in Rumänien und die Weimarer Republik 1919-1933, Die Deutschen in Rumänien und das Dritte Reich 1933-1940, Die Gleichschaltung der Deutschen in Rumänien 1941-1944 sowie Die deutsche Volksgruppe in Jugoslawien 1918-1941.

Besonders verdienstvoll ist seine Herausgabe der Tagebücher des von 1932 bis 1941 amtierenden Bischofs der Evangelischen Landeskirche in Rumänien, Viktor Glondys (1882-1949), der ein ausgesprochener Gegner des Dritten Reiches war und deshalb auf Druck aus Berlin 1941 zurücktreten musste.Chronologisch schließen sich die Erinnerungen des autobiographischen Erzählbandes Hakenkreuz und rote Fahne diesen drei rumänischen Standardbüchern an, da sie überwiegend die Jahre 1944 und 1945 mit einer Vielzahl von veranschaulichenden Einzelheiten behandeln.

Literarisch sind sie Johann Böhms wichtigstes Werk. Zunächst werden viele persönliche und familiäre Erfahrungen geschildert aus der Zeit vor dem Zusammenstellen im September 1944 des Flüchtlingstrecks seiner Heimatgemeinde, dem nordsiebenbürgischen Botsch/ Batos. Bis zu diesem Zeitpunkt wird als Ursache geschildert die unheilvolle Verwirklichung einer nach puritanischer Arbeitsmoral in einer lebendigen evangelisch-lutherischen Gemeinschaft mit 800-jähriger Tradition lebenden siebenbürgisch-sächsischen Dorfgemeinschaft in die Gleichschaltungsmaschinerie der nationalsozialistischen Ideologie. Eine Hauptrolle dabei spielte auch die raffinierte Verführung durch vollmundige Versprechungen aus dem Dritten Reich, die vorgaben, Schluss zu machen mit dem ständigen politischen und wirtschaftlichen Druck, unter dem die deutsche Minderheit der Zwischenkriegszeit im neuen Großrumänien stand.

Obwohl alle deutschen Siedlungsgruppen sich 1919 für das neue Großrumänien ausgesprochen hatten und als loyal galten, vermochten sie nur zum Teil, ihrem alten Vorkriegsstand zu bewahren und erkannten nicht die Absicht des Dritten Reiches, sie mit völkischer Ideologie als Kanonenfutter für den Eroberungskrieg im Osten zu benutzen.

Hier liegt der Schwerpunkt des Buches in der Beschreibung, wie die natürlich über Jahrhunderte gewachsene evangelische Identität dieser Siedlergemeinschaft, zu der selbstverständlich die Sprache Luthers und der demokratische Kirchenaufbau gehörte, wie aucheine erstaunlich demokratisch konzipierte Gemeinschaftsstruktur, gegliedert nicht nach Stand und Besitz, sondern nach Nachbarschaften und christlichen Brüder- und Schwesternschaften, von der nationalsozialistischen Volkgruppenführung an der Spitze mit dem von Berlin eingesetzten Fanatiker Andreas Schmidt ausgehöhlt wurde. Dies geschah durch die nationalsozialistische Gleichschaltung ihrer Organisationen oder sogar durch deren Verbot, wie dies mit den kirchlichen Brüderschaften und Schwesternschaften geschah.

Zum Schluss sahen diese auch in Botsch Verführten keinen anderen Ausweg mehr, als nach dem Frontwechsel Rumäniens am 23. August 1944 sich mit einem 7 km langen Treck auf den Weg nach Westen zu begeben.Im Falle der Nordsiebenbürgener Sachsen war dies doppelt tragisch, weil sie den 2. Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940, demzufolge das 43.492 km große Nordsiebenbürgen (größer als Dänemark mit seinen43.031 qkm) von Hitler und Mussolini Horthy-Ungarn zugeschlagen wurde, ablehnten, um so mehr als sie zusammen mit der rumänischen Bevölkerung Nordsiebenbürgens die von den beiden Diktatoren vergewaltigte Mehrheit bildeten.

Die besondere Tragik der Nordsiebenbürger Sachsen bestand auch darin, dass viele von ihnen 1945 nach dem Kriegsende in die alte Heimat zurückkehrten, wo in ihre Häuser und Höfen nun neue Besitzer eingewiesen worden waren: Rumänen, aber auch Ungarn, darunter nicht wenige die den Wiener Schiedsspruch 1940 frenetisch begrüßt hatten. Die Absurdität der Stalinistischen Kritik der bestraften Völker feierte hier „Triumphe“, wo die Gegner eines faschistischen Diktators den Befürwortern desselben Haus und Hof überlassen mussten und oft sogar noch von diesen schlecht bezahlt auf eigenem Grund und Boden dienen mussten nach der Rückkehr aus dem Westen.

Ungewöhnlich für eine Autobiographie mutet neben den dramatischen Erlebnissen des 15-jährigen Haupthelden innerhalb seiner Familie auf dem Treck die Liebesgeschichte zwischen einer Siebengürger Sächsin Marie und einem ungarischen Militärangehörigen an, eine wahrhafte Treck-Romeo und Juliageschichte. In ihrer herzzerreißenden Dramatik ist sie sicherlich ein typisches Schicksal jener Zeit der Tragödien auf der Landstraße, sprengt aber mit zitierten Liebesbriefen und dem Kriegselend abgerungenen romantischen Abend- und Nachtliebesstunden, Trennung und Wiederfindungen in ihrer kontrastierenden Romantik den Rahmen einer Autobiographie und eröffnet eine neue Dimension ins allgemeine Erzählen.

Nach den Wirren und neuen Gefährdungen der letzten Kriegswochen und -tage kommen die Flüchtlinge in ein amerikanisches Sammellager, wo sie entgegen ihrer ideologischen Vorurteile unerwartet menschlich behandelt werden.Dennoch entschließen sich einige zur Rückkehr in die „russisch besetzte Zone“ und erleben nun auf ihrer Heimkehr Albtraumhaftes. Rotarmisten aus dem Tross plündern und vergewaltigen Frauen und Mädchen, ohne dass die Offiziere eingreifen. Sie werden in Lager mit SS-Verbrechern und auch „einfachen“ SS-Männern gesteckt und wie diese hart angefasst.

Als sie dann endlich wieder in ihren Heimatorten sind, finden sie wie schon erwähnt ihre Häuser und Höfe besetzt und sind den neuen Besitzern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert als Arbeitnehmer ohne Rechte. Viele müssen auch Zwangsaufbauarbeit in den nahegelegenen zerstörten Städten verrichten.

Ein Sonderschicksal der Rumäniendeutschen aus dem ehemaligen ungarischen Nordsiebenbürgen wird hier beschrieben, da die in Rumänien verbliebenen Deutschen keine Flüchtlingstrecks zusammenstellen mussten und diese zunächst West- und dann wieder Ostfahrt ihnen erspart geblieben war.

Neu in diesem Buch ist auch, wie dankbar der Autor den rumänischen befreundeten Familien ein literarisches Denkmal setzt, indem er ihre warme Menschlichkeit und großzügige Hilfsbereitschaft in den für die Siebenbürger Sachsen schwerste Zeit in ihrer über 800-jährigen Geschichte am Beispiel der eigenen Familie schildert.

Zum Schluss gibt es einen etwas summarischen Ausblick auf die Entwicklung Rumäniens ab 1948, als die deutsche Minderheit wieder ihre Rechte in den Bedingungen des rumänischen Stalinismus erhielt. Nun konnte sie wieder gleichberechtigt in den rumänischen Kolchosen arbeiten und erhielt in den 1950er Jahren auch ihre Häuser und Höfe zurück.

Dank ihres Fleißes, ihrer Zuverlässigkeit und ihrer Gesetzestreue (mitunter auch interpretierbar als Obrigkeitshörigkeit) schafften sie eine unglaubliche Fortführung ihrer jahrhundertealten Geschichte, ohne ihre Identität selbst in den Zeiten des rumänischen Stalinismus einzubüßen, der ihnen immerhin gewisse sprachliche und kulturelle Möglichkeiten in den Bedingungen Rumäniens zugestand. Auch dem Autor gelingt es ab 1948 – allerdings nicht ganz ungefährdet – ein Lehrerstudium zu absolvieren und bis zu seiner mühevollen Ausreise 1969 diesen Beruf erfolgreich auszuüben.

Heute (2014) lebt Johann Böhm in Dinklage bei Vechta. Neben dem Hauptpreis der Kulturstiftung Gemeinschaft aller Donauschwaben, mit dem er 1994 ausgezeichnet, erhielt er 1998 den Hauptpreis der Nikolaus Lenau Kulturstiftung und 2006 die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Weblink: https://www.dr-johannboehm.de

Ingmar Brantsch