Biographie

Boleslaus I.

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Herzog von Schlesien
* 1. Januar 1127
† 8. Dezember 1201

Boleslaus war der älteste Sohn Herzog Wladislaus’ I. von Krakau-Schlesien (reg. 1138–1146, † 1159) aus dem polnischen Herrschergeschlecht der Piasten und dessen Gemahlin Agnes von Babenberg, Tochter Markgraf Leopolds III. von Österreich und Halbschwester des römisch-deutschen Königs Konrad III. Boleslaus heiratete in erster Ehe 1142 oder 1141 Svinislava († zwischen 1155 und 1160), die Tochter des Fürsten Vsevolod Olegovič von Kiew, in zweiter Ehe Christina (á wohl 1150, † 23. Februar zwischen 1204 und 1208) aus einem sächsisch-thüringischen Grafengeschlecht. Den Ehen entsprangen wohl neun Kinder, darunter Jaroslaus  (á um 1142, † 22. März 1201), Herzog von Oppeln (vor 1198–1201) und Bischof von Breslau (1198–1201), und sein Nachfolger als Herzog von Schlesien Heinrich I. (á 1165/70, † 1238), der die spätere Landesheilige Hedwig aus dem Haus der Andechs-Meranier heiratete.

Boleslaus’ Leben bewegte sich zwischen Deutschland und Polen mit Schlesien im Zentrum. Im Konflikt um das Seniorat, die Vorherrschaft in Polen, zwischen seinem Vater Wladislaus als Senior und dessen Bruder Boleslaw IV. von Masowien (reg. 1146–1173) vermittelte Boleslaus die Hilfe des Fürsten von Kiew, die mit der Eheschließung zwischen ihm und Svinizlava abgesichert wurde. Dennoch unterlag Wladislaus und mußte 1146 mit seiner Familie nach Deutschland flüchten. Sein Schwager, König Konrad III. (reg. 1138–1152), wies der Familie das thüringische Altenburg als Aufenthaltsort zu, nahm Boleslaus jedoch auf seinem Kreuzzug in das Heilige Land 1147 mit. Boleslaus begleitete auch Kaiser Friedrich I. Barbarossa (reg. 1152–1190) auf seinen Italienzügen 1154/55 und 1158–1162. Um diese Zeit heiratete er eine nicht näher bekannte Gräfin Christina, eine Eheverbindung aus der Situation des Exils heraus. Nach dem Tod seines Vaters 1159 konnten Boleslaus und seine Brüder auf kaiserlichen Druck ihr schlesisches Erbe 1163 wieder in Besitz nehmen. Mit der Zeit kam es jedoch zu Streitigkeiten zwischen Boleslaus, seinem Bruder Mieszko (reg. 1163–1211) und seinem ältesten Sohn Jaroslaus, die mit Unterstützung Boleslaus IV. 1172 zur Verbannung Boleslaus’ führten. Im Folgejahr kehrte er jedoch mit Hilfe des Kaisers zurück, dem Boleslaus tributpflichtig wurde; das Gebiet von Ratibor mußte er an Mieszko, jenes von Oppeln an seinen Sohn abtreten. Als Oberhaupt der älteren Piastenlinie wollte Boleslaus das eigentlich ihm zustehende Seniorat übernehmen, weshalb er sich 1177 an einer Verschwörung gegen den Senior Mieszko III. von Großpolen (reg. 1138–1202) beteiligte, in deren Folge er jedoch abermals von seinem Bruder und seinem Sohn vertrieben wurde. Mit Hilfe des neuen Seniors, Herzog Kasimir des Gerechten von Krakau (reg. 1177–1194), konnte Boleslaus noch im selben Jahr und nun endgültig nach Schlesien zurückkehren. Seine gesamtpolnischen Pläne gab er auf, fortan ging es ihm um die Sicherung seines Besitzes. Ins Heilige Land und nach Italien gereist, zwischen Deutschland und Polen stehend, mußte Boleslaus – durch die Machtumstände bedingt – seine politischen Ziele von der Herrschaft über Gesamtpolen auf jene über Schlesien beschränken.

Mit Italien und Deutschland hatte Boleslaus weiter entwickelte Länder kennengelernt. Vom Zisterzienserkloster Pforta, wo seine Eltern, seine erste Frau und sein Sohn Johann bestattet waren, gingen beispielhafte kolonisatorische und wirtschaftliche Fortschritte aus, die Boleslaus ebenfalls Anregungen zur Entwicklung seines Herrschaftsbereichs gegeben haben werden. In Schlesien förderte er den Bergbau, ließ Edelmetalle wie Gold und Silber sowie Erze abbauen. Als sichtbares Zeichen seiner Herrschaft ließ er Münzen schlagen. Den Handel förderte er des weiteren, indem er offensichtlich die Handelsstraße von Halle über Magdeburg, Meißen und Pforta über die Stationen Bunzlau, Gröditzburg, Liegnitz (die beiden letzten Orte waren seine bevorzugten Aufenthaltsorte) und Leubus in Richtung Breslau ausweitete. Am wichtigsten war jedoch der von ihm eingeleitete Landesausbau: unbebautes Herzogsland verlieh er an die eingesessene Bevölkerung zur Vergrößerung der Anbauflächen, im oberen Ohletal – im Bereich des späteren Klosters Heinrichau – förderte er die Ansiedlung von Böhmen, und er ließ auch deutsche Siedler ins Land kommen. Auskunft über den letzten Vorgang gibt die einzige von Boleslaus erhaltene Urkunde, die Stiftungsurkunde für das Kloster Leubus aus dem Jahre 1175. Darin heißt es: „Alle Deutschen, die künftig die Güter des Klosters bebauen oder, durch den Abt auf ihnen angesiedelt, dort Wohnung nehmen werden, sollen für alle Zeit von allem polnischen Recht ausnahmslos frei sein.“ Damit wird – zunächst noch auf den Bereich des Klosters Leubus beschränkt – eine Grundvoraussetzung für die folgende deutsche Besiedlung Schlesiens gewährt, nämlich die Befreiung vom polnischen Recht und damit die Beibehaltung des den künftigen Siedlern geläufigen deutschen Rechts. Diese Urkunde Herzog Boleslaus’ I. steht damit am Anfang einer das ganze Land erfassenden grundlegenden Veränderung im Zuge der deutschen Ostsiedlung; sie ist der erste Hiweis auf deutsche Siedler in Schlesien. Zugleich informiert die Urkunde darüber, daß Boleslaus ein Kloster – Leubus am Lauf der Oder – gründete und dieses mit Zisterziensermönchen aus Pforta besetzte. Mit seiner Zustimmung zur Ersetzung der Benediktiner des Vinzenzklosters auf dem Elbing in Breslau durch Prämonstratenser öffnete Boleslaus Schlesien einem weiteren modernen Mönchsorden. Seine Vorliebe gehörte jedoch seiner Gründung Leubus, in der er begraben ist und die zu einer ersten Grablege der schlesischen Piasten wurde.

Herzog Boleslaus I. von Schlesien, der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts den Beinamen „der Lange“ erhielt, steht somit mit Leben und Werk zwischen Deutschland und Polen. Sein bleibendes historisches Verdienst ist die durch ihn eingeleitete deutsche Besiedlung Schlesiens, die das Land grundlegend verändern sollte.

Lit.: Neue Deutsche Biographie 2, S. 430 – Polski Słownik Biograficzny 2, S. 262f. – Lexikon des Mittelalters 2, Sp. 368f. – Colmar Grünhagen: Boleslaus der Lange, Herzog von Schlesien, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 11, 1871, S. 399–415 – Erich Randt: Politische Geschichte bis zum Jahre 1327, in: Geschichte Schlesiens. Bd. 1. 5. Aufl., Sigmaringen 1988, S. 83–90 – Kazimierz Jasiński: Rodowód Piastów śląskich [Genealogie der schlesischen Piasten]. Bd. 1.Wrocław 1973, S. 45–49 – Benedykt Zientara: Bolesław Wysoki – tułacz, repatriant, malkontent.Przyczynek do dziejów politycznych Polski XII w. [Boleslaus der Lange – Wanderer, Rückkehrer und Nörgler. Ein Beitrag zur politischen Geschichte Polens im 12. Jh.], in: Przegląd Historyczny 62, 1971, S. 367–396 – Ders.: Heinrich der Bärtige und seine Zeit. Politik und Gesellschaft im mittelalterlichen Schlesien (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Bd. 17) München 2002, S. 93–106, 110f., 117–124 – Schlesisches Urkundenbuch. Bd. 1, Nr. 45 (Abb. der Urkunde bei Norbert Conrads (Hg.): Schlesien. Deutsche Geschichte im Osten Europas. Berlin 1994, S. 116).

Bild: Grabplatte Herzog Boleslaus’ I. von Schlesien im Kloster Leubus. Aus: Hermann Luchs: Schlesische Fürstenbilder des Mittelalters. Breslau 1872, Tafel 6.

Ulrich Schmilewski