Biographie

Bonhoeffer, Dietrich

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Theologe
* 4. Februar 1906 in Breslau
† 9. April 1945 in KZ Flossenbürg, Kr. Neustadt an der Waldnaab/Oberpfalz

Dietrich Bonhoeffer stammt aus einer großbürgerlichen Familie, die zur Bildungselite des Wilhelminischen Deutschen Reiches gehörte. Der Vater Karl Bonhoeffer war Professor der Psychiatrie und Klinikchef in Breslau, später an der Charité in Berlin, die Mutter, eine geborene von Hase, kam aus einem preußisch-baltischen Geschlecht. Die Familie, in der Dietrich als sechstes von acht Geschwistern aufwuchs, und vor allem die Autorität des Vater prägten den Knaben: Verantwortungsgefühl, Selbstbeherrschung, Distanz zur Umgebung, Bewältigung der Wirklichkeit durch den Intellekt wurden Grundlagen seiner Persönlichkeit. 1912 zog die Familie nach Berlin. Das Elternhaus war offen für vielfältigste Anregungen und Begegnungen, von denen auch Dietrich profitierte. Der Zusammenbruch der alten intakten Ordnungen am Ende des Ersten Weltkrieges machte besonders dem konservativen, an feste Ordnungsvorstellungen gewöhnten Dietrich zu schaffen, aber er war bereit, das neue demokratische System zu respektieren.

Überrascht war die Familie von der Entscheidung des Sohnes, auf eine glänzende Karriere zu verzichten und Theologie zu studieren. Dietrich war gewiß nicht in der Welt der Kirche zu Hause; es fehlte ihm aufgrund seiner Herkunft und Erziehung „die kirchliche Sozialisation“ (Wild). Sein Theologiestudium, das er in Tübingen im Winter 1923/24 trotz einer stark gefühlsbetonten Religiosität mit großem Ehrgeiz in streng wissenschaftlichem Sinne anging, führte zur physischen und psychischen Erschöpfung. Da wurde eine Erholungs- und Studienreise nach Rom im April und Mai 1924 für ihn zur Offenbarung. Unter dem Eindruck der dort erlebten tiefen Frömmigkeit wuchsen bei ihm Kirche und Glaube, Lehre und Leben zu einer Einheit zusammen. Er entdeckte das „Phänomen“ Kirche und die Bedeutung der Gemeinde als soziale Einheit und als Ort der Begegnung mit Christus.

Zurückgekehrt nach Berlin, machte Bonhoeffer sich mit der „dialektischen Theologie“ Karl Barths vertraut. Er suchte für sich die damit aufgeworfenen Probleme mit dem Entwurf eines sogenannten dritten Weges zu lösen. In seiner DissertationSanctorum Communio – eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche (1927) plädierte er für die Distanz der christlichen Gemeinde zur Welt und zugleich für die Verantwortung des Christen für die und in der Welt. Das ist Theologie als Bewältigung der persönlichen Lebenspraxis oder „Theologie im Vollzug“, um eine spätere Formulierung aufzugreifen.

Nach seinem Vikarsdienst bei der deutschen Gemeinde in Barcelona (1928/29) widmete Bonhoeffer sich in Berlin wieder ganz seiner wissenschaftlichen Arbeit. Er legte sein zweites theologisches Examen ab und fertigte seine Habilitationsschrift an über Akt und Sein – Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie (1930): Der ferne, unnahbare Gott kann nur durch Glauben Teil der menschlichen Existenz und der Geschichte werden.

Da Bonhoeffer für eine Ordination noch zu jung war, nahm er ein Stipendium für das Union Theological Seminary in New York an (1930/31). Vor allem zwei Eindrücke sollten seinen weiteren Werdegang entscheidend beeinflussen. Zum einen ist es das Bewußtsein der Ökumene der christlichen Kirche. (Im September 1931 wurde er auf der World Alliance-Konferenz in Cambridge einer der drei Sekretäre für ökumenische Jugendarbeit.) In der Begegnung mit Jean Lasserre wurde Bonhoeffer zum Pazifisten und Antinationalisten. Mit einem Male gewann die Bergpredigt für ihn unbedingte Gültigkeit und Verpflichtung: für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Zum anderen begegnete Bonhoeffer hier der sozialen Gestalt des Evangeliums mit all seiner Sprengkraft in den Baptistengemeinden von Harlem: Die Bibel als Evangelium der Armen rückte in sein Bewußtsein. Die Kirche zeigte durch soziales und politisches Engagement als „Kirche von unten“ ein neues Antlitz.

Dietrich Bonhoeffer übernahm im Juni 1931, wieder in Berlin, das Studentenpfarramt an der Technischen Hochschule und eine Assistentenstelle für Systematik. Er beschäftigte sich viel mit dem „Wesen der Kirche“. Mit seiner verwilderten Konfirmandenklasse im Wedding erprobte er eine neue – unkirchliche und unreligiöse – Art des Gemeinde-Seins aus dem Gedanken gelebter Solidarität. In seinem „Bonhoeffer-Kreis“ fragte er nach der Glaubwürdigkeit der Kirche, der er eine Verfälschung der Lutherschen Theologie der Gnade vorwarf, und neuen christlichen Lebensformen. Für Bonhoeffer war das Wesentliche die Gestalt der Kirche im Hier und Jetzt. In diesem Sinne war für ihn auch die Trennung von Evangelium und Politik aufgehoben.

Das Verhältnis von Kirche und Staat wurde nach der Machtergreifung und der kampflosen Kapitulation des Protestantismus vor der braunen Revolution für Bonhoeffer zur Bekenntnisfrage. Es ging um die Rechtmäßigkeit von staatlicher Gewalt und die Grenzen der „Führer-Autorität“. Die Kirche dürfe sich nicht aus der Politik heraushalten und müsse dort, wo der Staat die grundlegenden Menschenrechte verletze, notfalls auch zum Widerstand bereit sein. Die Freundschaft mit F. Hildebrandt und seinem Schwager G. Leibholz verwickelte ihn zudem immer tiefer in die „Judenfrage“; sie wurde für ihn zum Katalysator seiner entschiedenen Gegnerschaft zum Naziregime von Anfang an.

Das Paktieren der Kirche mit Deutschen Christen und dem Regime (besonders durch die Übernahme des Arierparagraphen) empfand Bonhoeffer als Verrat. Er zog es daraufhin vor, die deutschen Gemeinden in London zu betreuen (Oktober 1933 bis April 1935). Auf der ökumenischen Jugendkonferenz in Fanö im August 1934 mahnte er, daß Hitler Krieg bedeute und daß ein ökumenisches Konzil den Krieg verbieten müsse. Er selbst war zum gewaltfreien Widerstand bereit, auch notfalls dafür zu leiden und Verfolgung auf sich zu nehmen. Die Verbindlichkeit der Gebote der Bergpredigt rückte für ihn immer mehr in den Vordergrund, er bereitete sich zur „Nachfolge“, wie er es in seiner 1937 veröffentlichten Schrift ausführen sollte.

Im April 1935 übernahm Bonhoeffer die Leitung des Predigerseminars der Bekennenden Kirche (BK) in Finkenwalde bei Stettin, um selbst aktiv am Aufbau der Gegenkirche mitzuwirken. Die Verbindung von Leben und Lehre gewann in dieser existentiellen Ausnahmesituation mit dem Verzicht auf persönliche Sicherheit eine ganz neue Qualität. Mit der Bereitschaft der BK zur Zusammenarbeit mit den Kirchenausschüssen und der Auflösung des Seminars gingen die Vikare mit ihrem Dozenten in die Illegalität. Bonhoeffer beharrte auf der strikten Trennung von der „Unkirche“ und gab damit den letzten Rest bürgerlicher Sicherheit auf. Durch die Gründung eines „Bruderhauses“ verpflichtete man sich ganz zum Einsatz für die Sache Christi. Bonhoeffer wurde als Pazifist und Staatsfeind denunziert und verlor die Lehrerlaubnis. In dieser Situation forderte er den unbedingten, kompromißlosen Gehorsam gegen das Gebot Christi und keine „billige Gnade“; er wollte eine Kirche, die der Welt widersteht und in ihrem Widerstand Dienst tut am anderen, Kirche war für andere. Dies meinte gerade auch Eintreten für die Verfolgten und Diskriminierten, doch die Bekennende Kirche schreckte vor den Konsequenzen zurück.

Seit August 1937 arbeitete Bonhoeffer an einem Konzept für eine Vikarsausbildung im Untergrund. Man traf sich auf dem Sigurdshof, wohl wissend, daß die Kirche ohne Opfer nicht zu retten war. Im Juni 1939 ging Bonhoeffer zur Wahrnehmung einer Gastdozentur am Union Theological Seminary in die USA. Doch er begriff rasch, daß er dort hingehörte, wo um die rechte Kirche gestritten werden mußte. So kehrte er nach Deutschland zurück. Durch Vermittlung seines Schwagers Hans von Dohnanyi wurde er als Kurier der Abwehr beim Oberkommando der Wehrmacht tätig. Er hatte die Aufgabe, das Ausland über Pläne und Ziele der deutschen Widerstandsbewegung zu informieren; das war Hoch- und Landesverrat!

Bonhoeffer entwickelte eine neue christliche Ethik, die von einem Christen verlangt, im Konfliktfall aus Nächstenliebe schuldig zu werden. Jede Gewaltanwendung war und blieb für ihn Schuld, doch lag für ihn in der Beseitigung der Nazidiktatur, mithin in einem Anschlag auf Hitler, weit geringere Schuld als in deren Duldung. Doch alle Attentatsversuche scheiterten. Im April 1943 wurden Dietrich Bonhoeffer und sein Schwager verhaftet und im Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel verhört. In der Gefangenschaft entwickelte Bonhoeffer in Texten und Briefen, die an der Zensur vorbei aus der Zelle geschmuggelt werden konnten, eine neue, freilich nur in Ansätzen erkennbare Theologie der Befreiung und eines „religionslosen Christentums“ (vgl. Widerstand und Ergebung). Die Solidarität der Leidenden eröffnet die Teilnahme am Leiden Gottes, und ohne Menschen, die leben und handeln, muß Gott unsichtbar bleiben. Nicht Religiosität, sondern Menschlichkeit führt zum Glauben und zu Gott. „Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen“ (Widerstand und Ergebung, S. 328). Der Mensch ist zum Handeln aufgerufen, will er der göttlichen Gnade, die menschlicher Verfügungsgewalt entzogen ist, teilhaftig werden.

Als auch das Attentat vom 20. Juli 1944 gescheitert war und die „Zossener Akten“ gefunden wurden, lag Dietrich Bonhoeffers Anteil an der Verschwörung zutage. Am 8. Oktober wurde er in die Terrorzentrale in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße überführt; er war bereit zum Tode. Nach Zwischenaufenthalten im KZ Buchenwald und in einem Häftlingslager im Bayerischen Wald wurde Dietrich Bonhoeffer am Morgen des 9. April 1945 im KZ Flossenbürg erhängt, kurz vor Eintreffen der Amerikaner.

Werke:Gesammelte Schriften; 6 Bde. München 1958-1974. – Sanctorum communio (Werke, Bd. 1). – Akt und Sein (Werke; Bd. 2). – Schöpfung und Fall (Werke; Bd. 3). – Nachfolge (Werke; Bd. 4). – Gemeinsames Leben. Das Gebetbuch der Bibel (Werke; Bd. 5). – Ethik (München 1949). – Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft (München 1952). – Auf dem Wege zur Freiheit. Gedichte (Berlin 1946). – Brautbriefe Zelle 92. Dietrich Bonhoeffer – Maria von Wedemeyer 1943-1945 (München 1992).

Lit.: Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie. München, 7. A. 1989. – E. Bethge zus. mit Renate Bethge u. Christian Gremmels (Hgg.): Dietrich Bonhoeffer – Bilder aus seinem Leben. München 1986. – E. Bethge: Dietrich Bonhoeffer mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek b. Hamburg 1976. – Renate Wind: Dem Rad in die Speichen fallen. Die Lebensgeschichte des Dietrich Bonhoeffer. Weinheim/Basel 1990.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Bonhoeffer

Udo Wennemuth