Biographie

Bosse, Ernst Gotthilf

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Maler
* 4. August 1785 in Riga
† 15. November 1862 in Florenz

Ernst Gotthilf Bosse war der Sohn des Rigaer städtischen Wagenmeisters und Kaufmanns Joachim Gotthilf Bosse und der Anna Barbara geb. Ebel. Dem Wunsch des Vaters entsprechend hatte er zunächst eine kaufmännische Laufbahn eingeschlagen. Er gründete eine Handlung und heiratete 1809 Wilhelmine Dänemark. Ein erster künstlerischer Erfolg war sein Entwurf zur Jubiläumsmedaille, die 1810 zur Erinnerung an die „Vereinigung der baltischen Provinzen mit Russland vor hundert Jahren“ geprägt wurde. Dieser Erfolg wird zu seinem Entschluss beigetragen haben, sich ganz der Kunst zuzuwenden, obwohl er schon Familienvater war – sein erster Sohn Eduard war 1810 in Riga geboren worden. 1811 wandte er sich nach Dorpat, wo er für ein Jahr Schüler des Universitätszeichenlehrers Professor Karl August Senff wurde, der damaligen Autorität der künstlerischen Ausbildung in den baltischen Landen. Ihm folgte sein ebenfalls künstlerisch begabter Bruder Anton (1792-1860), der neben seinem Theologiestudium auch Unterricht bei K. A. Senff nahm. Nach zweijährigem Studium an der Akademie in St. Petersburg, wo sein zweiter Sohn Harald 1812 geboren wurde, ging Bosse 1814 nach Dresden. Dort wurde er Schüler von Josef Grassi. Seine 1817 in Dresden entstandene Kopie einer Madonna von C.? (wohl Giovanni) Matta, kam nach Riga in den Besitz der Familie Hollander. Als Grassi zum Studiendirektor der sächsischen Pensionäre in Rom ernannt worden war, begleitete Bosse seinen Lehrer nach Italien. Eine wohl 1817 oder 1818 in Rom entstandene Zeichnung des Carl Philipp Fohr, der mit Anton Koch das Atelier teilte, zeigt Bosse mit zwei deutschbaltischen Malern, mit August Pezold und Leberecht Eggink sowie dem Schriftsteller Carl Raupach (Kurpfälzisches Museum Heidelberg). Von Fohr, der 1818 mit 23 Jahren beim Baden im Tiber ertrank, ist aus derselben Zeit eine weitere Zeichnung mit baltischen Malern bekannt, die neben Pezold noch Otto Ignatius und Gustav Hippius zeigt. Bosse verkehrte außer mit den Genannten und weiteren baltischen Landsleuten auch unter den Deutschrömern der Kochschen Richtung sowie mit den Nazarenern. Hinzu kam wohl noch mancher St. Petersburger Romreisende. Eine Porträtzeichnung von Carl Vogel v. Vogelstein, einem Vertreter der nazare­ni­schen Richtung, bezeichnet „Ernst Gotthilf Bosze von Riga Rom den 16ten Mai 1820“, befand sich bis 1945 im Kupferstichkabinett Dresden.

Auf Bestellung der Administration des Rigaer Doms entstand 1819 die „Verklärung Christi“ nach Raffael, die 1821 als Altar im Rigaer Dom aufgestellt wurde. Von 1819 ist ein Porträt der Fürstin Pauline Borghese genannt und im selben Jahr hat er im Palazzo Caffarelli Miniaturkopien nach Raffael und Tizian ausgestellt. Als Bosse über Florenz 1820 nach Riga zurück kehrte, stand er dort im Ruf eines anerkannten Künstlers. Er erhielt mehrere Porträtaufträge, vor allem aus der Kaufmannschaft, so des Ältermanns der Schwarzhäupter Renny Kniest, des Kaufmanns Krüger, des Daniel Kleeberg, der Frau Anna Wöhrmann (1821), aus der Stifterfamilie des Wöhrmannschen Parks sowie des Mineralogen E. M. Ulprecht. Auch ein Selbstbildnis entstand in dieser Zeit sowie eines seiner Gemahlin Wilhelmine (1824). Er wandte sich nach St. Petersburg, wo ihm die Akademie der Künste den Professorentitel verlieh. Eine Zusammenarbeit mit dem Petersburger Bildnismaler Michael Terebeneff ist durch 145 Karikaturen auf Napoleon und den Rückzug seiner Armee aus Russland nachzuweisen, welche in die Sammlung der Rigaer Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde kamen. Es wurde ihm ein großer Auftrag erteilt, Kopien nach den berühmtesten italienischen Meistern für die kaiserlichen Sammlungen anzufertigen und so wurde er als Hofmaler nach Italien entsandt. Auch als Porträtist des Zarenhauses hatte er reüssiert, wie Porträts von Nikolaus I. sowie der Kaiserin Elisabeth (1822, Baden-Baden Zähringer Museum) belegen. Zur Ausführung der Kopieraufträge reiste er 1822 zunächst nach Dresden, wo er in der Dresdner Galerie arbeitete und dann nach Italien. Er hatte einen gewissen Ruf als „Wie­der­verjünger italienischer Kunst“ (Lenz). Durch sein erfolgreiches Wirken in Italien wurde er Ehrenmitglied der Academie St. Lukas in Rom und der Akademie in Parma sowie Mitglied der Akademie in Florenz, die ihn auch zum Professor ernannte. Selbständiges hat Bosse in dieser Zeit weniges geschaffen, er hat „sich vielmehr auf die Wiedergabe von Werken der italienischen Renaissancemeister beschränkt, die er meistens en miniature kopierte“ (Neumann), welche zur damaligen Zeit besonders von Reisenden gefragt waren.

1832 schickte er fünf Kopien nach St. Petersburg, die allerdings von Professoren der St. Petersburger Akademie „eine vernichtende Kritik erhielten“ (Neumann), so dass die Aufträge für weitere Kopien zurückgezogen wurden. Seine geschäftlichen Verbindungen in die baltischen Lande und nach St. Petersburg scheinen wohl in Folge dieses Vorfalls zurückgegangen sein. So sind nach 1832 auch keine Erwähnungen in den Rigaer Stadtblättern in der Literatur mehr genannt. Vielleicht hat Ernst Bosse deshalb auch keine Aufnahme in das Standardwerk Malerwerke des Neunzehnten Jahrhunderts (Dresden 1891/1901) seines Landsmannes Friedrich von Böt-ticher gefunden, da er später in den baltischen Landen und in Deutschland wenig bekannt, ja vergessen gewesen war, wozu sein ent­fernter Wohnort Florenz beitrug. Ausstellungsmäßig ist er 1839 bis 1841 beim Kunst-Verein München nachzuweisen.

Hans Geller erwähnt noch ein Werkverzeichnis aus des Künstlers Hand und führt daraus acht Selbstbildnisse auf, von denen damals sechs als verschollen galten. Die zwei letzten Selbstbildnisse „als 40jähriges Mitglied der Academie San Marco“ und „mit Portefeuille“ waren für die Uffizien bestimmt. Im Visali Corridor, dem Durchgang mit den Selbstbildnissen, sind die Porträts nicht zu finden, vielleicht fanden sie den Weg in die Magazine der Uffizien? Es ist anzunehmen, dass sich manches Werk in Italien erhalten hat, vielleicht auch aus der starken englischen Kolonie, die es zu jener Zeit in Florenz gegeben hat. Sein ältester Sohn Eduard, der als vielbeschäftigter Maler in London gelebt hat, siedelte 1858 auch nach Florenz über, wo er jedoch bereits 1859 verstarb. Ernst Gotthilf Bosse fand seine letzte Ruhe auf dem Englischen Friedhof in Florenz, wo mancher deutschbaltische Namen zu lesen ist, da die katholischen Friedhöfe Andersgläubigen verwehrt waren.

Belege seines zeichnerischen Talents tauchen gelegentlich im Kunsthandel auf, italienischen Landschaftszeichnungen, die eher an den flüssigen Stil Kochs denken lassen und nicht an den harten Stift der Nazarener. Selten werden Porträts angeboten, so dass seine Entwicklung, die wohl von einer klassizistischen Tradition ausgehend über das Biedermeierliche zum Repräsentativen gelangte, noch erforscht werden müsste.

Der jüngere Sohn Harald von Bosse († 1894 Dresden) war ein erfolgreicher Architekt. Sein 200. Geburstag 2012 wurde in St. Petersburg, Dresden und in Riga mit Konferenzen und Ausstellungen begangen. In Riga in der seit 2011 als Museum für ausländische Kunst genutzten Börse, die Harald von Bosse im eleganten Palazzo-Stil 1856 aufgeführt hat.

Lit.: Lexika Thieme-Becker und Saur. – Katalog des Städtischen Muse­ums in Riga, Riga 1906. – Dr. Wilhelm Neuman, Lexikon Baltischer Künstler, Riga 1908 (ND 1972). – Hans Geller, Die Bildnisse der deutschen Künstler in Rom 1800-1830, Berlin 1952, S. 43f. – Deutsch-baltisches biographisches Lexikon 1710-1960, hrsg. v. Wilhelm Lenz usw., Köln/Wien 1970, S. 92. – Verkaufskatalog Sammlung Hans Geller, Moosinning 1992, Nr. 42/43. – Ulrike Andersson/Annette Frese: Carl Philipp Fohr und seine Künstlerfreunde in Rom, Kurpfälzisches Museum Heidelberg 1995, S. 224.

Bild: Ausschnitt aus der Zeichnung von Carl Philipp Fohr, Katalog Heidelberg 1995, S. 225.

Helmut Scheunchen