Biographie

Boyen, Hermann von

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: preußischer Kriegsminister, Generalfeldmarschall
* 23. Juli 1771 in Kreuzberg/Ostpr.
† 15. Februar 1848 in Berlin

„Ein Held, ein Retter, ein Befreier, Licht, Recht und Schwert tritt bei euch ein“. Das sind Worte eines Gedichtes, das Ernst Moritz Arndt dem Freund Hermann von Boyen zum Tode 1848 widmete. Wer war der so Apostrophierte, dessen Motto „Licht, Recht und Schwert“ lautete? Sein schlichtes Grab auf dem Berliner Invalidenfriedhof, vis a vis dem des Generals Gerhard von Scharnhorst, hat als eines von wenigen die letzten Jahrzehnte überdauert, als der Friedhof teilweise im Sperrgebiet der DDR-„Staatsgrenze-West“ lag.

Ludwig Leopold Gottlieb Hermann von Boyen stammte aus einem alten, im Offiziersdienst bewährten Adelsgeschlecht, das aus den Niederlanden über Bayern nach Böhmen gelangt war und von dort seines protestantischen Glaubens wegen nach Ostpreußen emigrierte. Hermann von Boyen kam mit sieben Jahren, nachdem der Vater als Kommandeur eines Garnisonsregimentes und dann seine Mutter verstorben waren, als Vollwaise zu einer unverheirateten Tante nach Königsberg/Pr. Es war durchaus typisch für seine Zeit, wenn er bereits 12jährig zum Militär ging. Er besuchte die Militärschule in Königsberg und hörte in späteren Jahren Vorlesungen an der Albertus-Universität, auch bei Immanuel Kant. Die ältere Literatur spricht von eifrigen Besuchen, die sozialistische Geschichtsschreibung sah den 17jährigen Boyen hingegen „unbeeindruckt von Person und Lehre des Philosophen“ (Schmidt, 1990, S. 7).

Im Krieg gegen Polen 1794 wurde Boyen als Regimentsadjutant eingesetzt. Dabei soll „vor ihm das Idealbild eines preußisches Volksheeres aus selbständig fühlenden und handelnden Männern“ entstanden sein (Priesdorff, S. 29). In der Folgezeit frequentierte er ergänzend zum Militärdienst weitere Universitätsvorlesungen, was für seine intellektuelle Aufgeschlossenheit spricht, und begann sich publizistisch mit Reformschriften zu artikulieren. Bereits um 1800 trat Boyen aus dem Regimentskreis hervor, indem er dem König eine Denkschrift zur Verbesserung der Garnisonsschulen vorlegte. Zu dieser Zeit lernte er Scharnhorst kennen. Die Vorgesetzten lobten seine „wis­sen­schaft­lichen Talente“ genauso wie Geschick und Eignung als Aus­bilder; er sei eben „ganz geschaffen, junge Offiziere zu bilden“. Französischkenntnisse waren in seinen Kreisen üblich, doch die Tatsache, daß er „auch polnisch“ sprach, mag uns zwei Jahrhunderte später geradezu als weitblickend erscheinen. Bis zum Katastrophenjahr 1806 war der junge Offizier in Ostpreußen stationiert. Nicht nur eine schwere Verwundung bei Auerstedt im Gefolge des preußischen Oberkommandierenden, des alten Herzogs von Braunschweig, machten diese Tage im Oktober, wie er sagte, zu den schmerzlichsten seines Lebens. Wehe tat ihm auch die Erfahrung vom schlechten Zustand der Armee und der Gesellschaft, die ihrem eigenen Untergang tatenlos und gleichgültig gegenüberstand.

Kaum genesen, ging Boyen zurück nach Ostpreußen. Scharnhorst berief ihn, der gerade Major geworden war, 1808 in die Militärreorganisations-Kommission. Diese Kommission, der maßgeblicher Reformer wie Gneisenau und Grolmann (zu diesem siehe OGT 1993, S. 142-145) angehörten, leitete den Wiederaufbau des preußischen Heeres ein. 1810 übernahm Boyen die Leitung im Allgemeinen Kriegsdepartement, dem Vorläufer des preußischen Kriegsministeriums. Bis zum Bündnis seines Landes mit Napoleon konnte er dort die Reformen fortführen. Dann ging er, anderen Mitstreitern gleich, ins russische Exil. Den preußisch-russischen Feldzug von 1813/1814 machte der frisch beförderte Generalmajor von Boyen als Generalstabschef im Armeekorps des Grafen Bülow mit. So hatte er an den Siegen bei Großbeeren, Dennewitz und der sogenannten Völkerschlacht bei Leipzig sowie in Holland und in Frankreich großen Anteil. In Paris ernannte ihn König Friedrich Wilhelm III. zum Kriegsminister. Im Geiste des gefallenen Scharnhorst setzte Boyen die Reformen in der Armee um: Zuerst wurde im August das Kriegsministerium neu gegliedert, dann im September 1814 in Preußen die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, die jeden Bürger zum zeitlich befristeten Dienst, je nach Alter nacheinander im stehenden Heere, der Landwehr oder dem Landsturm, verpflichtete. In den Jahren der Reaktion nach dem Wiener Kongreß hatte es Boyen schwer mit Anwendung und Umsetzung der Heeresreform. Ganze Städte, wie Berlin, verlangten die Befreiung von der Wehrpflicht. Selbst namhafte Generäle sprachen von der „Gefährlichkeit des Volksheeres“. In der 1817 vorgelegten Denkschrift „Darstellung der Grundsätze der alten und der gegenwärtigen Kriegsverfassung Preußens“ trat Boyen nochmals entschieden für das System eines permanent verfügbaren Heeres mit festgelegter Stärke ein, das nicht von den jeweiligen Finanzgesetzen abhängig sein dürfe. Wenig Anklang fand auch sein Ansinnen, den Personalersatz der Regimenter aus verschiedenen Regionen zu rekrutieren, damit „das Heer die Erzieherin zu einer gesamt-preußischen Staatsge­sinnung“ werde. Der König hielt am überlieferten Kantons­prin­zip fest, das eine landsmannschaftlich bestimmte Aushebung garantierte. Boyens Lebenswerk, die allgemeine Wehrpflicht, hatte Bestand, nicht jedoch sein Lieblingswerk, die Landwehr. Ende 1819 nahm der Kriegsminister, des kräftezehrenden Ringens um die Erhaltung der Landwehr müde, seinen Abschied. Dieser aufrichtige Akt hat die Historiographie beschäftigt.

Nach der Entlassung widmete sich der „Vater der Landwehr“ zwanzig Jahre ohne Amtspflichten in Muße schriftstellerischer Tätigkeit. Seine als Tagebuch 1833-1840 entstandenenErinnerungen wurden posthum herausgegeben. Sie sind in neuer Ausgabe verfügbar und zählen zu den wichtigsten militärischen Memoiren, mit tiefen Einblicken in die Zeit bis 1813. Der Historiker Max Lehmann schrieb 1891: „es mag zweifelhaft sein, ob Boyen’s Denkwürdigkeiten das schönste Memoirenwerk in deutscher Sprache sind, das wahrhaftigste und gediegendste sind sie gewiß“ (S. 54).

Bald nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. kehrte Boyen, der mit dem neuen König befreundet war, in den aktiven Dienst zurück. Dieser ernannte den nun fast 70jährigen 1841 erneut zum Kriegsminister. Seinen alten Überzeugungen treu, war er gleichwohl den aktuellen Herausforderungen aufgeschlossen. Ein von Einsicht und Weitsicht geleitetes Verdienst erwarb er sich durch die Einführung des Zündnadelgewehrs. Im November 1847 kam der erbetene Abschied unter Beförderung zum Generalfeldmarschall.

Kurz danach starb Hermann von Boyen. An seiner Beerdigung auf dem Invalidenfriedhof nahmen der König und dessen Bruder Wilhelm teil. Jüngst wurde seine Ruhestätte restauriert.

Wo immer es um eine Auswahl „großer Deutscher“ geht, wird Hermann von Boyen einzubeziehen sein. Die große Grenzfestung an der Masurischen Seenplatte bei Lötzen führte schon seit 1846 seinen Namen. Zu Beginn der Wilhelminischen Ära erhielt dann noch das 5. Ostpreußische Infanterie-Regiment Nr. 41, stationiert in Tilsit, den Namen des verdienten Militärreformers.

Werke: Friedrich Niepold (Hrsg.): Erinnerungen aus dem Leben des General-Feldmarschalls H. v. B. 3 Bde. Leipzig 1889-1890 (vgl. Re­zen­sion von Max Lehmann. In: HZ 67 [1891], S. 40-54). ND, 2 Bde., hrsg. von Dorothea Schmidt. (Ost-)Berlin 1990. – Boyens Darstellung der preußischen Kriegsverfassung. In: HZ 67 (1891), S. 55-80. – Stefan Hartmann: H. v. B. Über das Wesen des Krieges. In: Jb Preußischer Kulturbesitz XXVI (1989), Berlin 1990, S. 149-167.

Lit.: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 3, 1876, S. 219-222. – Neue Deutsche Biographie, Bd. 3, 1955, S. 495-498.

Nachlaß im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA, Rep. 92.

Bild: Hermann von Boyen nach einem Gemälde von François Gérard von 1818.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_von_Boyen

Stephan Kaiser