„Wenn nur einem Einzigen geholfen werden kann, dann hat es sich schon gelohnt – Schriftsteller dagegen gibt es über Zehntausend“, fasst Brantsch sein Engagement als Pädagoge im Resozialisierungsprojekt Fachabitur in der Justizvollzugsanstalt (JVA) zusammen. Wer ist dieser Pädagoge, der selbst als Autor pädagogisch wirkt? Er wurde am 30. Oktober 1940 im siebenbürgischen Kronstadt/ Braşov geboren, studierte Germanistik und Romanistik in Bukarest (1957-1962) – dort lernte er auch den späteren Büchner-Preisträger Oskar Pastior als Kommilitonen kennen, der ebenfalls dort studiert hatte – und arbeitete dort anschließend als Redakteur und Bibliothekar im Haus der Presse (1962-1964). Die nächsten Jahre war er als Gymnasiallehrer am Abendgymnasium in Kronstadt und an der Allgemeinschule Nr. 14 im Vorortviertel Kronstadt-Bartholomä (1964-1770) tätig. Brantsch veröffentlichte u. a. in der Neuen Literatur der deutschsprachigen Zeitschrift des rumänischen Schriftstellerverbandes. Gemeinsam mit drei weiteren Autoren Marin Sorescu, Nichita Stănescu und Sînziana Pop konnte er mit einem Besuchervisum aus Rumänien zu einer Lesung zu den Regensburger Literaturtagen in den Westen reisen. Ingmar Brantsch kehrte nicht mehr nach Rumänien zurück und verblieb in der Bundesrepublik Deutschland (1970). Nach damaliger rumänischer Rechtsprechung wurde er dafür in der Sozialistischen Republik Rumänien wegen „betrügerischem Überschreiten der Grenze“ (trecere frauduloasă a graniţiei) in Abwesenheit in einem Militärgerichtsprozess in Kronstadt zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Er wurde in Rumänien zur persona non grata, sein bereits gedruckter aber noch nicht ausgelieferter Gedichtband Ein 20. Jahrhundert – dessen Manuskript er 1968 beim Kriterion-Verlag in Bukarest eingereicht hatte – wurde daraufhin eingestampft. Die Bücher der im Westen verbliebenen Autoren wurden üblicherweise aus allen öffentlichen Einrichtungen entfernt und sofern Texte der Autoren sich in den Schulbüchern befanden, wurden sie in der Folgeauflage getilgt. Mit weiteren restriktiven Maßnahmen wurden seine Familienangehörigen belegt, beispielsweise erhielt seine Schwester, die in Rumänien Lehrerin war, nach seinem Verbleiben im Westen keine feste Stelle mehr. Auch eine Ausreise selbst in das benachbarte Bruderland Bulgarien wurde ihr verweigert. 1976 wurden alle Strafen aufgehoben als Folge der Beschlüsse von Helsinki anlässlich der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die Rumänien mit unterzeichnete. Es war also keine Amnestie, sondern der Straftatbestand des „betrügerischen Überschreitens der Grenze“ fiel offiziell weg. Der Autor Brantsch betont jedoch, dass er dies nicht gerne „an die große Glocke hänge“ und als „Verfolgter“ – wie andere rumäniendeutsche Autoren – bekannt werden möchte, weil das alle betraf, die im Westen verblieben, denn als Verfolgter bzw. Dissident sieht er sich nicht, sondern als ganz normale Erscheinung, der als Mitglied der deutschsprachigen Minderheit im sozialistischen Rumänien die gleichen – obzwar eingeschränkten – Rechte hatte wie jeder andere rumänische Staatsbürger auch. Wer von Auslandsreisen nicht nach Rumänien zurückkehrte erhielt seinerzeit verschärft ab 1970 in der Regel 10 Jahre Haft. Wer das Land verlassen wollte, musste ab 1978 bis zu 10.000 DM Kopfgeld pro Person bezahlen. Wer allerdings weder diese 10 Jahre erhielt, noch 10.000 DM Kopfgeld zahlen musste, war aus „unbekannten“ Gründen privilegiert. Dies gehört zu dem vom politischen Willen nicht ganz autarken Alltag hinter dem Eisernen Vorhang, denn noch in den 1980er Jahren war es nicht opportun, öffentlich von Schmier- und Kopfgeldzahlungen in Rumänien zu sprechen, zumal Rumänien im Westen gut angesehen war, da es seine Auslandskredite zurückzahlte und sogar seit März 1989 der einzige schuldenfreie Ostblockstaat war, allerdings auf Kosten der Bevölkerung, die mit das niedrigste Lebensniveau mit Strom-, Wassersperren und Versorgungslücken usw. im gesamten Ostblock dafür in Kauf nehmen musste. Abgesehen von der politisch instrumentalisierten Konnotation verweist Brantsch auf die Minderheitenkultur in Rumänien, die insbesondere im Fall der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien weltweit einmalig war: Es gab deutschsprachige Radio- und Fernsehsendungen, deutschsprachige Zeitungen, Zeitschriften, zwei deutschsprachige Theater, deutschsprachige Kirchen sowie Schulen und deutschsprachige Studiengänge an den Universitäten für Deutsch als Muttersprache für evangelische Theologie und Schauspielkunst für die deutschen Theater.
Brantschbelegte nach seinem Verbleib in der Bundesrepublik in Köln ein Lehramtsstudium für Deutsch, Geschichte, Philosophie, Religionskunde sowie Pädagogik und war nach dem Referendariat in Gummersbach (1976-1978) Gymnasiallehrer in Köln-Chorweiler-Weiler und am Abendgymnasium Köln sowie seit 1998 bis zu seiner Verrentung als delegierter Lehrer im ResozialisierungsprojektFachabitur in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln-Ossendorf tätig. Ab dem Schuljahr 2007/08 wurde er reaktiviert für die JVA Ossendorf für Religionskunde und Ethikkurse.
Seit einigen Jahren schreibt er an einer Dissertation über die rumäniendeutsche Literatur, deren Förderung und Fortbestehen eines seiner Hauptanliegen ist. Ingmar Brantsch engagiert sich in zahlreichen Vereinigungen und ist z. B. Mitglied im Auslands-PEN deutschschreibender Autoren. 2007 wurde er zum Ehrenmitglied des Literaturkreises der Russlanddeutschen e.V. gewählt, weil er sich, wie es in der Begründung heißt, sehr um die Verbreitung der Russlanddeutschen Literatur verdient gemacht habe.
Werke: Deutung des Sommers, Bukarest 1967. – Neue Heimat BRD oder Spätheimkehr nach 1000 Jahren. Gedichte, Hannoversch Münden 1983. – Karnevalsdemokratie. Prosa, Frankfurt/ M 1985. – Mozart und das Maschinengewehr. Antiroman, Frankfurt/ M 1987. – Das Leben der Ungarndeutschen im Spiegel ihrer Dichtung. Eckartschriften 133, Wien 1995. – Ungarndeutsche Literatur. Arbeitshefte Nr. 69, Bonn 1999. – Das Leben der Russlanddeutschen im Spiegel ihres Schrifttums. Eckartschriften 148, Wien 1999. – Goethe und Heine hinter Gittern. Vom Häftling zum Lehrer im Knast. Vechta 2004. – Pisa-Studie getürkt, Vechta 2006. – Das Weiterleben der rumäniendeutschen Literatur nach dem Umbruch, Vechta 2007. – Ein 20. Jahrhundert. Gedichte. Reprint der durch politische Zensur eingestampften, 1970 gedruckten Auflage des Kriterion Verlages Bukarest, Gernsbach 2007. – Ich war kein Dissident. Autobiographie. Ludwigsburg 2009. – Inkorrektes über die Political Correctness. Aphorismen und Essays, Vechta-Langförden 2009.
Veröffentlichungen (in Auswahl): Grenzgänge: Deutsche Dichtung aus Rumänien, hrsg. anlässlich der Regensburger Kulturtage 1970 „Begegnung mit Bukarest“ von Wolf Peter Schnetz und Dieter Schlesak, Regensburg 1970. (Regensburger Hefte; 2). – Astra (Kronstadt). – Viaţa Româneasca (Bukarest). – Drum nou (Kronstadt). – Rumänische Rundschau (Bukarest). – Neue Zeitung (Budapest). – Steaua (Klausenburg). – Karpatenrundschau (Kronstadt). – Südostdeutsche Vierteljahresblätter (München). – Kulturpolitische Korrespondenz (Bonn). – die feder. – Siebenbürgische Zeitung. – DOD. – Volk auf dem Weg. – Zeitung für Dich Slawgorod Altei Russland. – Bonner Generalanzeiger. – Sächsische Zeitung (Dresden). – Der Nordschleswiger. – Grenzecho. – Luxemburger Journal. – Mittelbayerische Zeitung. – Die Dolomiten (Bozen). – Spiegelungen. – Halbjahresschrift. – Die Welt. – Ostdeutsche Gedenktage.
Literaturpreise: Lyrikpreis der Jungen Akademie Stuttgart (1968). – Anerkennungsdiplom der Jungen Akademie in München (1968). – Siegburger Literaturpreis (1987).
Bild: Ingmar Brantsch im April 2008. Archiv des Autors.
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Ingmar_Brantsch
Dieter Michelbach