Biographie

Breysig, Kurt

Herkunft: Posener Land
Beruf: Historiker
* 5. Juli 1866 in Posen
† 16. Juni 1940 in Berlin

„Sie sind … aufs ‚Entwickeln‘, nach meiner Auffassung auf einen verfeinerten Positivismus eingeschworen, – ich dafür auf den Historismus‘, d.h. auf das Ineins von Individualitätsgedanken und Entwicklungsgedanken, …“ So versuchte der Nestor der deutschen Historikerzunft, Friedrich Meinecke, in einem Brief an Kurt Breysig einmal dasjenige zu definieren, was diesen von ihm und zugleich von dem Hauptstrom der deutschen Geschichtswissenschaft trennte. „Unter Positivismus“, so Meinecke im selben Zusammenhang und zur selben Zeit (1936), „verstehe ich das vorwiegende Interesse an den typischen und generellen Faktoren und Kausalitäten des geschichtlichen Lebens, …“

Breysig war als Sohn eines Philologen und Gymnasialprofessors in Erfurt aufgewachsen. Er hatte das dortige Gymnasium besucht und sich zum Sommersemester 1884 in der Juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin immatrikuliert, um sich bald unter dem Eindruck Heinrich von Treitschkes dem Studium der Geschichte und der Nationalökonomie zuzuwenden. Die strenge Schule der historisch-kritischen Methode hatte er in den Seminaren Reinhold Kosers, des Biographen Friedrichs des Großen, durchgemacht; prägend war für ihn die Begegnung mit Gustav Schmoller geworden, dem Haupt der Jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie und „Kathedersozialisten“.

Die Beschäftigung mit der Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, insbesondere Preußens, dem Hauptforschungsgebiet Schmollers, sowie dessen Hinweis auf philosophische sowie universalhistorische Fragestellungen und Forschungen (etwa Comtes, Spencers oder Darwins) standen am Anfang des wissenschaftlichen Weges Breysigs. Hinzu kam die Berührung mit jungen Historikern und Staatswissenschaftlern, die sich vor dem Hintergrund der das Bismarckreich erfüllenden sozialen Spannungen der Sozialgeschichte verschrieben hatten. 1888 durch Schmoller promoviert sowie 1892 durch diesen und Treitschke habilitiert – die Themen waren der Finanz- und Sozialgeschichte Brandenburg-Preußens entnommen –, wurde Breysig im Februar 1896, also knapp 30jährig, zum beamteten außerordentlichen Professor an der Universität Berlin ernannt. Doch im weiteren stockte seine Karriere – zunächst deshalb, weil er es ablehnte, Berlin zu verlassen. Denn er hatte um die Mitte der neunziger Jahre beschlossen, sich dem gewaltigen Vorhaben einer Geschichte der Menschheit zu widmen – und dessen Verwirklichung hielt er nur in der Reichshauptstadt mit ihren reichen Bibliotheken und Sammlungen sowie ihrem höchst anregenden wissenschaftlichen und künstlerischen Leben für möglich. Es war der Entwurf einer vergleichenden, von der „Scheinordnung der Zeitfolge“ befreiten Universalgeschichte, den Breysig in diesen Jahren verfolgte, während er zu einer von philosophischen Begrifflichkeiten ausgehenden, jedoch nicht dem Spekulativen, sondern Empirie verpflichteten Geschichtsschreibung fand, die im übrigen mehr und mehr soziologisch gerichtet war. Er vermied dabei jede Verengung auf das bloß Sozialgeschichtliche, bezog natürlich, da für ihn der Mensch Träger und Triebkraft der geschichtlichen Entwicklung war, die Sozialpsychologie mit ein. Er veröffentlichte 1900 und 1901 eine auf fünf Bände berechnete, jedoch mit dritten Bande abbrechende „Kulturgeschichte der Neuzeit“, die bis zum 13. Jahrhundert führte, eine „Vergleichende Entwicklungsgeschichte der führenden Völker Europas und ihres sozialen und geistigen Lebens“.

Konzeption der „Entwicklungsgeschichte“ legte Breysig in seinem als Programm gedachten Werk „Der Stufenbau und die Gesetze der Weltgeschichte“ von 1905 dar, mit dem er am stärksten auf Zeitgenossen gewirkt hat (2. Auflage 1927 und 3. Auflage 1850). Es war der Entwurf einer Morphologie der Geschichte, der auf der Annahme beruhte, daß sich die Weltgeschichte in sechs sozialökonomisch charakterisierbaren Entwicklungsstufen vollziehe, die bisher nur Europa vollständig durchlaufen habe. In diesem Sinne begann er 1907 (mit der Publikation eines Bandes) eine „Geschichte der Menschheit“. Die Bemühung, in der Geschichte Gesetze und Strukturen aufzufinden und sie damit überschaubar zu machen, stieß nicht nur seitens der historischen Zunft, die in ihrer von Ranke überkommenden individualisierenden Methode dem generalisierenden Konstruktivismus Breysigs widerstreben mußte, auf Ablehnung. Dessen beruflicher Weg sowie der Fortgang und das Erscheinen der Menschheitsgeschichte, mit der der Verfasser übrigens durch Einbeziehung der Vorgeschichte und der Entwicklung der außereuropäischen Völker die Europafixierung der Fachwissenschaft durchbrach, sind durch deren Widerspruch und Desinteresse behindert worden. 1936 und 1939 erschienen die ersten beiden Bände der Weltgeschichte; beim Tode des unermüdlichen Autors lagen vier weitere Bände zur Veröffentlichung bereit. Die von Arnold Toynbee eingeleitete Nachkriegsausgabe zählt fünf Bände; Band l und 2 sind eine Neuauflage des bereits Erschienenen.

Breysig, der erst 1923, also 57jährig, Berliner Ordinarius wurde – und zwar für Gesellschaftslehre und allgemeine Geschichtswissenschaft –, hat in seinen späteren Jahren in seine universalhistorische Betrachtung die Naturgeschichte mit einbezogen. Er entwickelte die Vorstellung eines allumfassenden, sich evolutionär entfaltenden Weltgeschehens, eine „monokosmische Sicht“, wie er selber sagte, die ihn mit einer pantheistisch anmutenden „Weltfrömmigkeit“ erfüllte. 1933 erschien „Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte“ und 1935 „Der Werdegang der Menschheit vom Naturgeschehen zum Geistesgeschehen“. Breysigs Erkenntnisstreben überstieg die Möglichkeiten der Geschichtswissenschaft bei weitem, ja es griff über die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens hinaus. Sein Werk, das auf die Kulturmorphologie Oswald Spenglers gewirkt hat, in seiner redlichen Gelehrsamkeit aber von dessen „Untergang des Abendlandes“ übertrumpft worden ist, mußte so ein – wenn auch gewaltiger – Torso und in vielem Hypothese bleiben.

Weitere Werke: Geschichte der Seele im Werdegang der Menschheit (1931), Vom Sein und Erkennen geschichtlicher Dinge, 4 Bde. (1935-1944), Vom Deutschen Geist und seiner Wesensart (1932).

Lit.: Bernhard vom Brocke, Kurt Breysig. Geschichtswissenschaft zwischen Historismus und Soziologie, Lübeck 1971; Ders., Kurt Breysig; in: Deutsche Historiker, hrsg. von H.-U Wehler, Bd. 5, Göttingen 1972, S. 95-116;Ernst Hering, Neue Deutsche Biographie, Bd. 2, Berlin 1955, S. 609 f.; Heinrich von Srbik, Geist und Geschichte, Bd. 2, München 21964, S. 239-243.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Breysig

Peter Mast