Biographie

Brockdorff, Erika Gräfin von

Herkunft: Pommern
Beruf: Widerstandskämpferin, Rote Kapelle
* 29. April 1911 in Kolberg/Pommern
† 13. Mai 1943 in Berlin-Plötzensee

Erika Schönfeldt wurde in der Hafenstadt Kolberg an der pom­merschen Ostseeküste geboren. Sie erlangte in Kolberg die Mittlere Reife und besuchte danach eine Haushaltungsschule. 1929 übersiedelte sie nach Berlin. Dort übte sie verschiedene Tätigkeiten aus. Zunächst war sie Hausangestellte, danach Vor­führdame. Sie entschloss sich zu einer zusätzlichen beruflichen Ausbildung und wurde Stenotypistin. Bis zu ihrer Festnahme wegen Zugehörigkeit zu der kommunistisch gesteuerten Widerstandsgruppe Rote Kapelle im Herbst 1942 arbeitete sie als Bürokraft in der dem Reichsarbeitsministerium unterstehenden Reichsstelle für Arbeitsschutz und im Arbeitsschutzmuseum in Berlin-Charlottenburg.

1937 heiratete sie den Bildhauer Cay-Hugo Graf von Brock­dorff, im gleichen Jahre kam die Tochter Saskia zur Welt. Noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im September 1939 nahmen Erika von Brockdorff und ihr Mann Kontakt zu antifaschistischen Gruppierungen auf. Zeitgenossen schildern sie als eine schöne, lebenslustige und fröhliche Frau. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 intensivierte sich die Tätigkeit der Widerstandsgruppe unter der Leitung von Hans Coppi. Die Rote Kapelle war auch Bestandteil eines weitverzweigten sowjetischen Spionage- und Agentennetzes unter der Führung des legendären „Grand Chef“ Leo­pold Trepper, das Informationen über die deutsche Rüstungs­produktion und über die militärischen Operationen der deut­schen Wehrmacht an den sowjetischen Kriegsgegner über­mittelte.

Ab Ende 1941 stellte Erika von Brockdorff ihre Atelierwohnung in Berlin als Quartier für einen sowjetischen Fallschirmspringer zur Verfügung. Eines von drei Funkgeräten wird in ihrer Wohnung aufbewahrt. Der abgesetzte Fallschirmspringer, der deutsche Kommunist Albert Hößler, versuchte Nachrichten nach Moskau zu übermitteln. In ihrem Schlusswort im zweiten Prozess vor dem Reichskriegsgericht erklärte Erika von Brock­dorff, sie habe nicht gewusst, dass es sich bei dem aufbewahrten Funkgerät um einen Sender gehandelt habe. Es ist jedoch anzunehmen, dass sie mit diesen Äußerungen sich den Weg für eine Begnadigung offenhalten wollte, denn diesmal hatte der Militärstaatsanwalt die Todesstrafe beantragt.

Am 31. August 1942 waren die meisten Angehörigen der Schul­­ze-Boysen-Harnack-Gruppe verhaftet worden. Erika von Brockdorff wurde allerdings erst am 16. September 1942 fest­genommen und sofort in das Frauengefängnis Berlin-Char­lottenburg, Kantstrasse 79, gebracht. Die Anklage wegen Landesverrats erfolgte durch den Oberstkriegsgerichtsrat Man­fred Roeder, der als hart und unnachsichtig beschrieben wird, vor allem von den überlebenden Angehörigen der hingerichteten Widerstandskämpfer. Roeder, der unter den Nationalsozialisten eine steile Karriere machte, hatte sich jedoch einen Rest rechtsstaatlichen Denkens bewahrt, ihm war nicht jener verbrecherische und gewissenlose Fanatismus zu Eigen, der Roland Freisler, den Vorsitzenden des Volksgerichtshofes beseelte. Nach dem Krieg behauptete Roeder, er habe bei seiner Anklageerhebung das Ziel verfolgt, wenigstens das Leben der beiden Frauen, Mildred Harnack und Erika von Brockdorff, zu retten. Es gelang ihm auch zunächst: Mildred Harnack wurde zu sechseinhalb Jahren und Erika von Brockdorff wurde wegen „Beihilfe zum Landesverrat“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Richter, Senatspräsident Dr. Alexander Kraell, folgte dem Antrag des Staatsanwalts.

Bei Mildred Harnack begründete Roeder seinen Antrag damit, dass sie als Ehefrau in das verräterische Treiben ihres Mannes einbezogen worden sei, daher könne man nur von Beihilfe sprechen. Der Gräfin unterstellte er sexuelle Abhängigkeit von dem eingeschleusten sowjetischen Funker. Ihr eigentliches Motiv läge nicht in ihrer politischen Weltanschauung, sondern in ihrer sexuellen Hörigkeit. Die Gräfin war jedoch entschlossen, ihre politische Motivation zu verteidigen und setzte sich mit kessen Bemerkungen gegenüber dem Gericht und gelegentlichen lauten Gelächter zur Wehr, sehr zum Missvergnügen ihres Pflichtverteidigers, aber auch zum Missvergnügen Roeders, der seinen Rettungsplan in Gefahr sah. Als er ihr drohte: „Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen“, erwiderte sie schlagfertig: „Nicht, solange ich Sie sehe“. Als er seine Drohung wiederholte, sagte Erika von Brockdorff die verhängnisvollen Worte: „Noch auf dem Schafott werde ich lachen.“

Adolf Hitler ließ sich die Urteile zur Billigung vorlegen. Er billigte am 21. Dezember 1942 die Todesurteile gegen die Män­ner, lehnte es aber ab, die Freiheitsstrafen gegen die beiden Frauen abzuzeichnen. Dies bedeutete, dass er auch gegen die Frauen Todesurteile erwartete. Im Januar 1943 fand ein neuer Prozess vor einem anderen Senat und mit einem anderen Richter, Dr. Schmausser, statt. Nun wurde die politische Motivation von Erika von Brockdorff gewürdigt. Dr. Schmausser begründete seinen Strafantrag damit, Erika von Brockdorff habe die Kriegsziele der Sowjetunion, die Zerstörung des Großdeutschen Reiches und den beabsichtigten Tod des Führers gebilligt. Ihre Handlungen seien auf ihre politische Einstellung zurückzuführen, daher könne man auch nicht von Beihilfe sprechen, es handle sich um vollendeten Landesverrat. Als die Gräfin geltend machte, dass das Funkgerät doch gar nicht funktionsfähig gewesen sei, konterte Dr. Schmausser: „Aber wenn es funktionsfähig gewesen wäre, hätte dies den Tod von Zehntausenden deutscher Soldaten bedeuten können.“

Frau von Brockdorff bezahlte nun für ihren Widerstand gegen das Hitlerregime mit einem hohen Preis, mit dem höchsten Preis, den man zahlen kann, mit dem eigenen Leben. Die neuen Urteile gegen Mildred Harnack und Erika von Brockdorff entsprachen den Wünschen des „Führers“. Es waren Todesurteile, und sie wurden vollstreckt. Es bleibt daher unverständlich, weshalb der ehemalige Präsident des Reichskriegsgerichts. Admiral Bastian, vor dem Nürnberger Militärtribunal im Jahre 1946 behaupten konnte, Hitler habe zwar bezüglich einzelner Straftäter und Straftaten seine eigenen Ansichten gehabt, das Reichskriegsgericht habe sich jedoch dadurch nicht beeinflussen lassen und stets streng nach Recht und Gesetz gehandelt.

Erika von Brockdorff hatte noch einige Monate zu leben. Ihre Mitgefangene und Zellengefährtin, die Ärztin Dr. Elfriede Paul, beschreibt sie als eine prachtvoll vitale Frau, die bis zu ihrem Abtransport aus Charlottenburg lachte, sang und Geschichten erzählte. Obwohl sie selbst zum Tode verurteilt worden war, spendete sie einer anderen Frau, deren Mann sich erschossen hatte, Trost und versuchte diese Frau psychisch wiederaufzurichten. Allerdings soll die Gräfin wenige Tage vor ihrer Hinrichtung einen bedrückten und traurigen Eindruck gemacht haben.

Am 13. Mai 1943 wurden im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee dreizehn Angehörige der Widerstands- und Spionagegruppe Rote Kapelle hingerichtet, zwölf Männer und eine Frau starben durch das Fallbeil. Es war Erika von Brockdorff. Wie die Gräfin in einer Gerichtsverhandlung angekündigt hatte, schritt sie mit einem Lachen auf den Lippen zum Schafott und rief damit das Entsetzen des Scharfrichters und seiner Gehilfen hervor. Ihre Leiche wurde der Anatomie der Friedrich-Wilhelms-Uni­versität Berlin (heute: Humboldt-Universität) zum Sezieren übergeben, da es für die hingerichteten Widerstandskämpfer keine Stätte des Gedenkens geben sollte.

In einem Abschiedsbrief an ihren Mann, Cay Hugo Graf von Brockdorff, der ebenfalls inhaftiert war, hatte sie geschrieben:

Lachend will ich mein Leben beschließen, so wie ich das Leben lachend am meisten liebte und noch immer liebe.“ Sie beendete den Brief mit den Worten: „Mein Leben hat durch Dich erst Sinn und Inhalt bekommen. Das bewährt sich jetzt. Ich bin gefasst und sehr ruhig. Deine Erika“.

Cay-Hugo von Brockdorff wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren Zuchthaus verurteilt, von der er einen Teil in einem Strafbataillon der Wehrmacht verbüßte. In Italien geriet er in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1946 entlassen wurde. Er heiratete wieder und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein hoher Kulturfunktionär der DDR.

Es hat zahlreiche Abhandlungen darüber gegeben, ob die von Erika von Brockdorff gewählte Form des Widerstandes, die Weitergabe von Informationen an den Kriegsgegner während eines Krieges, moralisch, ethisch und juristisch auch vertretbar sei. Viele Deutsche betrachten dies auch heute noch als pro­blematisch. Sicher ist, dass Erika von Brockdorff unter dem weltanschaulichen Einfluss ihres Mannes und ihres überwiegend kommunistischen Freundeskreises Illusionen über den wahren Charakter der kommunistischen Gewaltherrschaft hatte. Dennoch sollte dieser aufrichtigen und tapferen Kämpferin gegen die erste totalitäre Diktatur auf deutschem Boden ein ehrendes Gedenken in den Köpfen und Herzen der Deutschen bewahrt bleiben.

Zu erwähnen wäre noch, dass die DDR versuchte, das Gedenken an die Widerstandskämpfer der Roten Kapelle für ihre eigene Geschichtsschreibung und politische Propaganda zu instrumentalisieren. Dennoch zogen es die meisten deutschen Überlebenden der Roten Kapelle vor, in der Bundesrepublik Deutschland und in Westberlin zu leben. Damit legten sie ein eindeutiges Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grund­ordnung ab und gaben zu erkennen, dass ihnen das in der DDR existierende „Sozialismus-Modell“ nicht zusagte. Dies ist umso höher zu bewerten, als sie immer noch manchen Verdächtigungen und Diskriminierungen ausgesetzt waren und ihre Ankläger und Richter, darunter auch Röder, zumeist ungeschoren davon kamen.

Lit.: Monographien/Lexika: Karl-Dietrich Bracher, Das Gewissen steht auf. Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand, 1933 -1945, Mainz 1984. – Ulrich Cartarius, Opposition gegen Hitler. Ein erzählender Bildband, Berlin 1994. – Shareen Blair Brysac, Mildred Harnack und die Rote Kapelle. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau und einer Widerstandsbewegung, Bern 2003. – Hans Coppi/Jürgen Danyel/Peter Tuchel, Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin 1994 = Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin. – W.F. Flicke, Spionagegruppe Rote Kapelle, Kreuzlingen 1954. – W.F. Flicke, Agenten funken nach Moskau, München 1957. – Norbert Haase, Das Reichskriegsgericht und der Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft, Berlin 1993 (Katalog zur Sonderausstellung der Gedenkstätte Deutscher Wider­stand 1993). – Heinz Höhne, Kennwort Direktor. Die Geschichte der Roten Kapelle, Frankfurt am Main 1970. – Wilhelm Höttl, Die geheime Front, Linz/Wien 1950. – Erich Kern, Verrat an Deutschland, Göttingen 1963. – Louise Kraushaar, Deutsche Widerstandskämpfer 1933 -1945. – Biographien und Briefe, 2 Bände, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin (Ost-) 1970. – Klaus Lehmann, Widerstandsgruppe Schulze-Boysen-Harnack, Berlin 1948. – Günter Nollau, Gestapo ruft Moskau, München 1979. – Gilles Perrault, Auf den Spuren der Roten Kapelle, Wien/Zürich 1990. – Elfriede Paul, Ein Sprechzimmer der Roten Kapelle, Berlin (Ost-) 1987. – Terence Prittie, Deutsche gegen Hitler. Eine Darstellung des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus während der Herrschaft Hitlers, Tübingen 1965. – Manfred Roeder, Die Rote Kapelle, Hamburg 1951. – Gert Rossiejeka, Die Rote Kapelle. „Landesverrat“ als antifaschistischer Widerstand, Hamburg 1986. – Peter Steinbach/Johannes Tuchel, Lexikon des Widerstandes 1933 -1945, 2. Auflage, München 1998. – V.E. Tarrant, The Red Orchestra. The Soviet Spy Network inside Nazi Europe, New York 1995. – Günther Wei­sen­born, Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933-1945, Frankfurt am Main 1953. – Zeitschriftenartikel: Heinz Höhne, … ptx ruft Moskau. Die Verhaftungswelle der Gestapo, in: Der SPIEGEL Nr. 27, 1988. – Heinz Höhne, … ptx ruft Moskau. Das Ende der Gruppe Schulze-Boysen-Harnack, in: Der SPIEGEL Nr. 28, 1988.

Weblinks: https://de.wikipedia.org/wiki/Erika_von_Brockdorff, https://de.wikipedia.org/wiki/Cay-Hugo_von_Brockdorff, https://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Kapelle, https://www.misstilly.de/artikel/erika-von-brockdorff.html .
Saskia von Brockdorff über ihre Mutter bei https://www.youtube.com, https://www.youtube.com/watch?v=QVNpI6o5hqo.

Bild: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin.

Johann Frömel