Biographie

Brockmann, Reiner

Vorschaubild
Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Gymnasial-Professor, Dichter und Pfarrer
* 28. April 1609 in Schwan/Mecklenburg
† 29. November 1647 in Tristfer/Estland

Brockmann gilt heute in der Geschichte Estlands als eine Symbolfigur für den in vieler Hinsicht prägenden Kulturtransfer des 17. Jahrhunderts. Aus dem mecklenburgischen Schwan stammend, wo sein gleichnamiger Vater Prediger war, besuchte er nach häuslichem Unterricht durch den Vater zunächst die Stadtschule in Rostock, um dann auf der Schule zu Wismar seine Griechisch-Kenntnisse zu verbessern. Im Anschluss wechselte er in die Hamburger Schule, die zu dieser Zeit vom Rektor Zacharias Scheffters, dem Bruder seiner Mutter, geleitet wurde. Ab dem April 1628 besuchte Brockmann das akademische Gymnasium in Hamburg und bereitete sich auf die Universität vor. Obwohl er schon im Wintersemester 1623/24 an der Universität Rostock immatrikuliert wurde, nahm er das Studium dort erst 1630 auf, lernte u.a. in Privatkollegien bei Johannes Kleinius und hörte Vorlesungen von Johannes Cothmannus. Andere Universitäten scheint er nicht besucht zu haben, denn 1633 erreichte ihn in Rostock ein Ruf an das Revaler Gymnasium. Begleitet von den Reisegeleitgedichten (Propemptica) seiner Rostocker Freunde, die jedoch erst Jahre später, bei seinem Abschied vom Revaler Gymnasium (1639) gedruckt erschienen, reiste Brockmann im folgenden Jahr in das estländische Reval, wo er dann am 19. Juni 1634 in die Stelle des Professors für griechische Sprache eingeführt werden konnte.

Als im Januar 1635 Paul Fleming mit einer holstein-gottorfschen Gesandtschaft nach Moskau und Persien in Reval eintraf und sich die folgenden 15 Monate hier aufhielt, bildete sich ein – nicht nur literarisch – aktiver Freundeskreis. Man verliebte und verlobte sich, und am 20. April 1635 heiratete Reiner Brockmann Dorothea Temme, Tochter des ehemaligen Predigers an St. Nikolai, Magister Johann Temmius. Fleming schrieb auf diese Hochzeit eine große deutsche Schäferdichtung in Form einer Prosaekloge, die – nach dem Vorbild von Martin Opitzens Schäfferey von der Nimfen Hercinie (1630) – mehrere Gedichte innerhalb einer schäferlichen Rahmenhandlung präsentiert. In der fiktiven Szenerie erscheint der Revaler Freundeskreis inmitten der lokalen Gegebenheiten. Freude und Kummer werden im Gespräch mitgeteilt und kommentiert; das Gymnasium als Stätte der Gelehrsamkeit und Sitz der Musen wird gegen Anfeindungen in Schutz genommen. Die Darstellung des Miteinanders unter den gelehrten Freunden kann im Großen und Ganzen für bare Münze genommen werden, wie andere Gedichte und Dokumente belegen. Brockmann gehörte zu den vertrauten Freunden Paul Flemings. Schon bald nach dem Eintreffen der Gesandtschaft hatte er sich im Stammbuch des Gesandtschaftssekretärs Adam Olearius verewigt und als erster unter den Revaler Gelehrten den freundschaftlichen Kontakt zu dem bereits namhaften Dichter Fleming gesucht. Mehrere Gedichte und einige Briefe zeugen von einer engen und vertrauensvollen Verbindung, die allerdings mit der Zeit an Intensität verlor.

Doch auch als Fleming sich 1636 wieder auf die Reise begab, riss der Kontakt nicht ab. Bevor der Reisende aber 1639 wieder zurückkehrte, verließ Brockmann das Gymnasium in der Stadt, um Pastor zu St. Katharinen im wierländischen Tristfer (estn. Kadrina) zu werden. Aus diesem Anlass erschien seine Abschiedsrede Discursus valedictorius nebst einiger Abschiedsgedichte von Freunden, Kollegen und Schülern und der Rostocker Propemptica. Brockmann hatte sich durch seine Kenntnisse der estnischen Sprache, die er seit spätestens 1637 in mehreren Gelegenheitsgedichten öffentlich unter Beweis gestellt hatte, allgemein für ein Kirchenamt empfohlen. Denn die zu dieser Zeit durch Bischof Joachim Jhering intensiv betriebene Konsolidierung des Kirchenwesens auf dem Lande erforderte eben gerade solche Prediger, die der Sprache der Bauern mächtig und zugleich theologisch ausgebildet waren. So kann es nicht verwundern, dass Brockmann schon fünf Berufungen in verschiedene Predigtämter erhalten hatte, wie es in der Leichenpredigt auf ihn heißt. Nun aber folgte er dem Ruf, „damit Er sein Gewissen nicht beschweren möchte“. Im Jahre 1642 wollte man ihn zum estnischen Prediger am Dom zu Reval und zum Assessor des Landkonsistoriums machen. Diese Vokation in die Stadt nahm er zwar nicht an, war im Juli 1642 aber schon Vizepropst und Assessor und wurde am 26. Februar 1643 schließlich Propst zu Wierland, wodurch er automatisch auch Mitglied des Landkonsistoriums war.

Seine Fähigkeiten sowohl in theologischer als auch in sprachlicher Hinsicht wurden so hoch geschätzt, dass man ihm in das Pastorat auch Theologiestudenten zur Ausbildung in der estnischen Sprache schickte. Am 1. Februar 1645 wurde er auf der Synode in Reval zum Vorsitzenden einer Kommission erwählt, welche die Revision der estnischen Übersetzung des Neuen Testaments durchführen und damit das Erscheinen der ersten autorisierten estnischen Bibelausgabe voranbringen sollte. Außerdem übersetzte er Kirchenlieder ins Estnische. Diese Aufgaben prägten seine letzten Lebensjahre; der Abschluss war ihm jedoch nicht mehr vergönnt. Denn am Abend des 29. November 1647 starb der erst 38 Jahre alte Reiner Brockmann nach kurzer Krankheit auf seinem Pfarrhof. Die anläßlich seiner Bestattung am 14. Januar 1648 in der Marienkapelle der Olaikirche in Reval gehaltene Leichenpredigt von Andreas Sandhagen erschien bald darauf nebst der Vita des Verstorbenen und zahlreichen Trauergedichten im Revaler Druck. Brockmann hinterließ neben drei Töchtern (Dorothea, Margareta, N.N.) auch einen Sohn namens Reiner († 1704), der sich in der Nachfolge des Vaters u.a. an der estnischen Bibelübersetzung beteiligte. Dessen Sohn Reiner (1677-1738) wiederum zog nach Schweden und begründete unter dem Namen ‚Broocmann‘ in Norrköping als Pastor an der deutschen St. Hedwigs-Kirche die bis ins 19. Jahrhundert nachgewiesene schwedische Linie der Familie.

Im literarischen Leben Revals nahm Reiner Brockmann eine zentrale Stellung ein. Seine Werke sind erst vor wenigen Jahren in einer Sammlung zusammengeführt und gewürdigt worden, doch wurden sie bereits von seinen Zeitgenossen sehr geschätzt. Dies gilt sowohl für seine Übersetzertätigkeit und die estnischen Lieder als auch für seine Dichtungen in griechischer, lateinischer und deutscher Sprache. Die 33 nachweisbaren Gedichte in deutscher Sprache sind ungewöhnlich zahlreich für die Zeit und durchaus ansprechend gestaltet, wenn auch nicht immer metrisch einwandfrei. Gleichwohl ist der stilistische Einfluss Paul Flemings deutlich zu erkennen, nicht zuletzt in der Vorliebe für das singbare Lied. Unter den 24 lateinischen Dichtungen fallen eine ganze Reihe von anspruchsvollen Versformen neben den üblichen elegischen Distichen auf. Das herausragende Merkmal bilden jedoch die wenigen estnischen Gelegenheitsgedichte, die Brockmann verfasste und im Revaler Druck vorlegte. In ihnen zeigt sich das ganze programmatische Bewusstsein eines Dichters, der aus der rhetorischen Schulung an der griechischen und lateinischen Literatur das von Martin Opitz in der Deutschen Poeterey (1624) formulierte Reformprogramm im Kreis der Freunde zunächst in deutscher Sprache aufnahm und in der Stadt Reval mit Leben füllte, dann aber den entscheidenden Schritt mit der Übertragung in die estnische Sprache vollzog. Brockmann legte 1637 das erste estnische Gedicht nach den Regeln von Opitz vor und führte damit Alternation und Endreim sowie eine Reihe von Strophen- und Gedichtformen in die estnische Dichtung ein. Damit begründete er die estnische Kunstlyrik im eigentlichen Sinne und schuf trotz aller heute feststellbaren Unzulänglichkeiten für seine Zeit vorbildliche Texte und Lieder in estnischer Sprache. 23 Kirchenlied-Übersetzungen erschienen imNeu Estnischen Gesangbuch von 1656, doch seinen bereits weit vorangeschrittenen Arbeiten an der Bibelübersetzung war kein Glück beschieden. Nach seinem Tod wurden durch die Pest des Jahres 1657 auch alle anderen Bearbeiter hinweggerafft. Obwohl die Übersetzung des Neuen Testaments abgeschlossen war, konnte diese erst 1715 erscheinen.

Werke: Oda esthonica trochaica, ad Melodiam; Einsmahls alß ich lust bekam, Reval 1639. – Discursus Valedictorius de natura et constitutione historiae, Reval 1639. – Letzte Ehre/ Dem […] Herrn M. Eberhardo von Rentelen/ […], Reval 1642. – Præcognita catechetica […] In Synodo Revaliensi Anno 1642. mense Februar: cum Deo celebranda, ad disputandum proposita, Stockholm 1641. – Klag= vnd Trost=Schrifft An […] Herrn Reinhold Medtstaken/ […] Vber den […] Abscheid seiner […] Frawen Margaretæ/ Gebornen Wrangelin von Jesse/ […], Reval 1643. – Hymenæus <tetraglossos> Ad Nuptias, […], Reval 1643. – Einträge in den Stammbüchern von Adam Olearius (22. Januar 1635) und Paul Fleming (19. Februar 1635). – griechische, lateinische, deutsche und estnische Gelegenheitsgedichte. – 29 Briefe an verschiedene Adressaten, darunter zwei an Paul Fleming.

Werkausgabe: Teosed / Пoihmata / Opera / Werke. Koostanud ja toimetanud / Zusamengestellt und hrsg. von Endel Priidel, Tartu 2000.

Lit.: A. Sandhagen, Der gerechten Tod. […] Christlicher Leich=Sermon Beym Begräbniß Des […] Herrn Reineri Brockmanns/ […], Reval 1648. – F.K. Gadebusch, Livländische Bibliothek, Riga 1777, Bd. I, S. 128-129. – Jöcher/ Adelung I (1784) Sp. 2278-2279. – Recke/ Napiersky, Schriftsteller- und Gelehrtenlexikon I (1827) S. 267-268. – Napiersky/ Beise, Schriftsteller- und Gelehrtenlexikon, Nachträge und Fortsetzungen I (1859) S. 88, Nachträge S. 10. – G. v. Hansen: Geschichtsblätter des revalschen Gouvernements-Gymnasiums, Reval 1881, S. 184-185. – K. Altof, Reiner Brockmann Tallinnas ja ›Lasnamäe lamburid‹. [Reiner Brockmann in Tallinn und die Laksberg-Schäfer], in: Looming 11 (1987), S. 1556-1562. – M. Lepajõe, Reiner Brockmann. A Neo-Latin or an Estonian Poet?In: Acta Conventus Neo-Latini Hafniensis. Binghamton, New York 1994, S. 597–606. – Dies., Reiner Brockmann, Ich hab‘ wollen Estnisch schreiben …, in: Jahrbuch der Akademischen Gesellschaft für Deutschbaltische Kultur in Tartu (Dorpat). Band 1, Tartu 1996, S. 45-52. – Dies., Reiner Brockmann und die Anfänge der estnischen Kunstpoesie, in: K. Garber, M. Klöker (Hrsg.), Kulturgeschichte der baltischen Länder in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2003, S. 319-335. – K. Garber, Das Erbe Opitzens im hohen Norden. Paul Flemings Revaler Pastoralgedicht, in: K. Garber, M. Klöker (Hg.), Kulturgeschichte der baltischen Länder in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2003, S. 303-317. – Biographisches Lexikon für Mecklenburg IV (2004) S. 24-27. – R. Neithal, Reiner Brockmannist ja eesti (tõlke) luule vanusest [Summary: On Reiner Brockmann and the Beginning of Estonian (Translated) Poetry], in: Keel ja Kirjandus (2005) H. 2, S. 92-98. – M. Klöker, Literarisches Leben in Reval in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (1600-1657). Teil 1-2, Tübingen 2005, Teil 1, S. 300-314 u.ö. – M. Saagpakk, Reiner Brockmanns Briefe, in: M. Tarvas: Autobiographisches Schreiben von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart, Frankfurt/ M. usw. 2009, S. 51-68. – M. Lepajõe: Reiner Brockmann, Estonian Literary Magazine (2009) No. 29 (https://keeljakirjandus.eki.ee/Marju%20L.pdf)

Weblink: https://elm.einst.ee/issue/29/reiner-brockmann/

Martin Klöker