Biographie

Brod, Max

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Erzähler, Dramatiker, Essayist
* 27. Mai 1884 in Prag
† 20. Dezember 1968 in Tel Aviv/ Israel

Brod hat internationalen Ruf erlangt, weil er sich weigerte, Franz Kafkas testamentarischen Willen zu vollstrecken, nach dem des Freundes unveröffentlichte Manuskripte – Romane, Tagebücher, Briefe – verbrannt werden sollten. Brod als Nachlaßverwalter gab sie heraus, und diese editorische Tat erst machte Kafka zu einer Schlüsselfigur der deutschsprachigen Weltliteratur der Gegenwart. Brod gab sie nicht nur heraus, er kommentierte und interpretierte den Autor und sein Werk und wurde zugleich Kafkas erster und umstrittener Biograph und Deuter (Franz Kafka, 1937; Franz Kafkas Glauben und Lehre, 1948; Verzweiflung u. Erlösung im Werk Franz Kafkas, 1959). Über diesen editorischen und interpretatorischen Leistungen vergaß die Öffentlichkeit beinahe, daß der 1884 in Prag geborene Max Brod, der 1968 in Israel starb, ja gar kein Philologe, kein Literaturkritiker war und mit den Experten auf die Dauer auch nicht wetteifern konnte. Er war wie Kafka selbst, und das bis in sein letztes Lebensjahr, Schriftsteller, genauer: ein bedeutender Vertreter des historischen Romans, im übrigen wohl der beweglichste und vielseitigste Literat des deutschsprachigen Prager Kreises aus den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg, Wortführer eines Kreises, der den deutschen Expressionismus mit kreierte und trug und zu dem so gewichtige Autoren wie Johannes Urzidil, Leo Perutz, H. G. Adler, Ernst Weiß, Franz Werfel und vor allem der von Brod geförderte Franz Kafka gehörten. Brod, der, wie Kafka, Jura studierte und zum Dr. jur. promovierte, wurde Beamter im tschechischen Ministerratspräsidium, Redakteur am Prager Tageblatt, seit 1912 Zionist, Mitbegründer des jüdischen Nationalrates und sein Vizepräsident.

Brods Weg als Schriftsteller ist ohne die zwielichtige, mystisch-hintergründige Prager Umwelt, ohne die jüdische Überlieferung der böhmischen Hauptstadt nicht denkbar. Schon in seinen erzählerischen Anfängen („Tod den Toten!“, 1906) bemüht sich Brod um die Überwindung des für jene Jahre bezeichnenden dekadenten Ästhetizismus, der L‘art-pour-l’art-Bewegung des Vorkriegseuropas, zum Leben, zum Erlebnis der Liebe, oft in der Form einer überakzentuierten Sensualität („Ein tschechisches Dienstmädchen“, 1909, „Franzi oder eine Liebe zweiten Ranges“, 1922; „Leben mit einer Göttin“, 1923). Neben den Erzähler tritt bald der Essayist. In dem zweibändigen Werk „Heidentum, Christentum, Judentum“, 1921, glaubt Brod im Unterschied zu einem diesseitsfortsetzenden Heidentum und einem diesseitsverneinenden Christentum im Judentum eine Religion zu erkennen, in der das diesseitige Leben ein „zunächst in Verzweiflung untergegangenes und dann gnadenweise wiedergeborenes Diesseits, ein Geschenk Gottes“ sei, Gedankengänge, von denen her Brods „religiöse“ Deutung Franz Kafkas überhaupt erst zu verstehen ist. Brods künstlerische Hauptleistung bleibt sein historischer Roman „Tycho Brahes Weg zu Gott“ (1916), der vom Prag Rudolfs II. handelt und mit Brahe und Kepler von zwei menschlich grundverschiedenen Typen und Verhaltensweisen. Der alternde dänische Astronom Tycho Brahe ist der an Welt und Menschen sich verlierende Gottsucher, der junge Johannes Kepler, Brahes Schüler, der kühle sich zum Werk bekennende Mathematiker, dem kampflos in den Schoß fällt, worum sein Lehrer ein Leben lang vergeblich rang. Der Lyriker und Dramatiker Brod tritt hinter dem Erzähler zurück. Erfolg hatten lediglich seine Dramatisierungen fremder Romane: „Die Abenteuer des braven Soldaten Schweijk“ nach dem Original des Tschechen Jaroslav Hasek, und später „Das Schloß“ und „Amerika“ nach den gleichnamigen Romanfragmenten seines Freundes Kafka.

Inzwischen waren Brods Bücher vom Nazi-Deutschland verbrannt worden, war ihr Autor 1939 nach Palästina emigriert, wo er als Dramaturg des hebräischen Nationaltheaters Habimah wirkte und als Schriftsteller die Reihe seiner historischen Romane fortsetzte. Mit „Galilei in der Gefangenschaft“ (1948) beschließt er zunächst seine großangelegte Trilogie „Kampf um die Wahrheit“, die er mit „Tycho Brahes Weg zu Gott“ begonnen, mit „Reubeni, Fürst der Juden“, 1925, fortgesetzt hatte. Ein Jahr später erscheint ein die Ereignisse des jüdisch-arabischen Krieges reflektierender zeitkritischer Roman, „Unambo“, während Brod mit den folgenden beiden Romanen, „Der Meister“ (1952) und „Armer Cicero“ (1955), zu seiner religiös-historischen Thematik zurückkehrt.

Über ein „Streitbares Leben“ schließlich gibt die so betitelte, 1960 publizierte Autobiographie beredte Auskunft, in der Brod das bunte Panorama der Prager Vorkriegszeit entrollt, vor dem noch einmal die vielen Zeit- und Weggenossen des Erzählers, Essayisten, Biographen und Herausgebers vor den Augen des Lesers defilieren, unter ihnen der hochgeschätzte Kafka und der junge Franz Werfel. Rückschau auf ein ereignisreiches Leben, ein verdienstvolles Werk.

Lit.: Juden in der deutschen Literatur. (Hrsg.:) Krojanker, Gustav. Berlin 1922; Dichter, Denker, Helfer. (Hrsg.:) Weltsch, Felix. Mährisch-Ostrau 1934; Ein Kampf um Wahrheit. Festschrift zum 65. Geburtstag. (Hrsg.:) Taussig, E. F. Tel Aviv 1949; HdG; Weltfreunde. Konferenz über die Prager deutsche Literatur. (Hrsg.:) Goldstücker, Eduard. Prag 1967; DLL; Max Brod. Ein Gedenkbuch. (Hrsg.:) Gold, Hugo. Tel Aviv 1969; Wessling, Bendt W., Max Brod. Ein Porträt. Stuttgart 1969; Pazi Margarita, Max Brod. Werk und Persönlichkeit. Bonn 1970; Kayser, Werner, Gronemeyer, Horst, Max Brod. Hamburg 1972; Gaelle Vassogne: Max Brod in Prag: Identität und Vermittlung. Conditio Judaica, Band 75. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2009; Barbora Šrámková: Max Brod und die tschechische Kultur, Wuppertal 2010.

Bibliogr.: Wilpert / Gühring; Internat. Bibliographie; Köttelwesch, Bibliogr. Handbuch.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Brod

Ernst-Edmund Keil