Als der preußische Kriegsminister, Generalleutnant Paul Bronsart von Schellendorf, am 8. April 1889 entlassen und zum Kommandierenden General des 1. Armeekorps in Königsberg ernannt wurde, beendete dies die Karierre eines der fähigsten und begabtesten Offiziere der preußischen Armee. Zwar bedeutete der Posten des Kommandierenden Generals in Königsberg die Anwartschaft auf den Oberbefehl im Osten bei einem Krieg in Rußland, doch ließ sich der Charakter einer Kaltstellung dadurch nicht verleugnen. Die Abberufung Bronsarts war eine Intrige des neuen Generalstabschefs, Graf Waldersee, der in dem eigenständigen Bronsart einen Konkurrenten sah und bei Kaiser Wilhelm II. sogleich offene Ohren fand, dem unabhängige Naturen unter seinen Generälen ohnehin suspekt waren.
Bronsart von Schellendorf wurde am 25. Januar 1832 in Danzig geboren. Aus dem Kadettenkorps trat er 1849 in das Kaiser-Franz-Grenadierregiment ein. Nach dem Besuch der Allgemeinen Kriegsschule wurde er 1861 zum Hauptmann befördert und zunächst in den Großen Generalstab, dann in den Stab des 2. Armeekorps versetzt. Von 1864-65 war er Kompaniechef beim Grenadierregiment 2, wurde anschließend wieder in den Großen Generalstab versetzt und zum Major befördert. Gleichzeitig war er als Lehrer an der Kriegsakademie tätig. Im deutsch-französischen Krieg von 1870-71 leitete er als Oberstleutnant die Operationsabteilung des Generalstabs, dessen geringe zahlenmäßige Stärke der Effektivität wesentlich entgegenkam. Das Große Hauptquartier mit König, Reichskanzler und anderen Würdenträgern, deren Anwesenheit überflüssig war, wirkte demgegenüber wie ein geblähter Wasserkopf, was Bronsart in seinem Kriegstagebuch zu zahleichen bissigen Bemerkungen veranlaßte. Dem Friedensschluß folgte die Ernennung zum Oberst und Chef des Stabes der Gardekorps. 1876 wurde Bronsart Generalmajor und zwei Jahre später Kommandeur der 1. Garde-Infanteriebrigade. 1881 erfolgte die Beförderung zum Generalleutnant und Kommandeur der l. Garde-Infanteriedivision. Damit hatte Bronsart nacheinander die angesehensten Großverbände des preußischen Heeres befehligt, eine sichtbare Bestätigung seiner Fähigkeiten und Verdienste.
Die Ernennung zum Kriegsminister 1883 war insofern keine große Überraschung. 1875 hatte Bronsart in seinem grundlegenden Werk Der Dienst des Generalstabes im Frieden und im Krieg aus politischen Gründen die direkte Unterstellung des Chefs des Großen Generalstabesunter den Monarchen gefordert. Als Kriegsminister versuchte er, allerdings ohne Erfolg, die Rolle des Generalstabes und des Militärkabinetts, das maßgeblich Einfluß auf Personalfragen ausübte, zugunsten des Kriegsministeriums einzuschränken. Versuche, das Militärkabinett stärker an das Kriegsministerium zu binden, wurden sowohl unter Wilhelm I. wie unter Wilhelm II. als Eingriff in die Kommandogewalt angesehen. Daran war Bronsarts Vorgänger v. Kameke gescheitert, und indirekt gilt dies auch für Bronsart.
Während seiner Amtsführung kam es zur Einführung des Repetiergewehres M 71/84 bei der Infanterie und zur Verabschiedung des neuen Militärpensionsgesetzes. Im Januar 1887 führte die unter seiner Führung geplante und von Bismarck gewünschte Heeresvermehrung zu scharfen Auseinandersetzungen im Reichstag. Auf der Basis von einem Prozent der Bevölkerung von 1885 sollten der Personalstand des Heeres um 41 000 Mann vergrößert, Präsenzstand und Haushalt auf sieben Jahre festgeschrieben werden. Obwohl Bismarck in mehreren Reden, unterstützt von Moltke und Bronsart, die Heeresvermehrung nachdrücklich forderte, lehnte der Reichstag die Regierungsvorlage am 14. Januar 1887 ab. Bismarck hatte dies vorausgesehen und ließ daraufhin den Reichstag auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Der mit einer Wahlbeteiligung von 77,5% gewählte neue Reichstag nahm das Gesetz unverändert an, so daß dank der abgeschlossenen Vorarbeiten Bronsarts bereits am 1. April 1887 mit der Durchführung begonnen werden konnte. Die 1888 eingeführte Änderung der Wehrpflicht geht ebenfalls maßgeblich auf Bronsarts Pläne und Vorarbeiten zurück. Nur zwei Jahre nach der von Waldersee betriebenen Entlassung als Kriegsminister starb Bronsart als Kommandierender General am 23. Juni 1891 auf seinem Gut Schettnienen bei Braunsberg. Bronsart zählte zu den führenden Militärschriftstellern seiner Zeit, sein zweibändiges Werk über den Generalstabsdienst wurde zu einem Standardwerk.
Lit.: Paul Bronsart von Schellendorf: Der Dienst des Generalstabes. Teil 1-2. Berlin 1875-1876. – Ders.: Geheimes Kriegstagebuch 1870/71. Hrsg. von Peter Rassow. (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts) Bonn 1954. – Heinrich Otto Meisner: Der Kriegsminister 1814-1914. Ein Beitrag zur militärischen Verfassungsgeschichte. Berlin 1940. – Walter Görlitz: Der deutsche Generalstab. Geschichte und Gestalt 1657-1945. Frankfurt/Main 1950. – Wiegand Schmid Richberg: Die Generalstäbe in Deutschland 1871-1945. Stuttgart 1962.
Bild: Holzschnitt nach einem Foto von W. Höffert, Hannover 1893. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin.
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Bronsart_von_Schellendorff
Romedio Graf Thun-Hohenstein