Biographie

Brücker, Johann

Herkunft: Donaugebiet
Beruf: Erfinder, Wohltäter
* 3. September 1881 in Neu-Pasua/Syrmien
† 3. Juni 1965 in Stuttgart

In Amerika durch eine Erfindung zu Wohlstand gekommen, spendete der hart arbeitende Selfmademan und bescheidene donauschwäbische Menschenfreund sein Vermögen für wohltätige Zwecke.

Johann Brücker wurde als viertes von elf Kindern (von denen acht am Leben blieben) der Eheleute Heinrich Brücker und Elisabeth Fleiner am 3. September 1881 in Neu-Pasua geboren. Der Vater war von Beruf Schneider und Kürschner, seine Vorfahren kamen aus Weyer, Kreis Zabern/Elsass, die der Mutter aus Marbach am Neckar. Das Einkommen der tief religiösen Familie war gering, daher musste sie mit einer weiteren Familie ein gemietetes Grenzerhäuschen teilen. Im Sommer arbeiteten die Eheleute wie auch die größeren Kinder bei den Bauern im Tagelohn.

Schon als Knabe fiel Johann Brücker durch sein Talent für Bastelarbeiten auf. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte er deshalb eine vierjährige Lehre bei einem Schlosser- und Mechanikermeister im Heimatort. Danach zog es den Sechzehnjährigen in die Fremde. In Werschetz, Budapest und Neusatz arbeitete der Mechanikergeselle insgesamt vier Jahre lang als Werkzeugmacher und Werkführer, bevor er 1901 zum 12. Ulanen-Regiment nach Tolnau eingezogen wurde. Dort erkannte man die herausragenden handwerklichen und technischen Fähigkeiten des Rekruten und schickte ihn am 1. Januar 1902 zu einer dreijährigen Ausbildung als k.u.k. Waffenmeister nach Wien. Die schöne Donaumetropole und Kaiser Franz Joseph hinterließen bei ihm bleibenden Eindruck. Als Waffenmeister gelangte er dann nach Budweis, Pilsen und Peterwardein, verbrachte dort zwei Jahre und schied im Februar 1907 als Feldwebel aus dem Militärdienst aus.

Um die Jahrhundertwende breitete sich in den donauschwäbischen Gemeinden ein Emigrationsfieber aus. Auch etliche junge Leute aus Neu-Pasua waren nach Amerika ausgewandert, unter ihnen drei Schwestern von Johann Brücker. Sie schrieben heim, dass es ihnen gut ginge und rieten ihrem Bruder nachzukommen. Dieser verließ leichten Herzens mit anderen Auswanderern 1907 den Heimatort und fuhr von Amsterdam aus mit dem Dampfer „Kronland“ hinüber zu seiner Schwester nach Sharon in Pennsylvania. In Sharon fand er sofort Arbeit als Mechaniker in einer Gießerei für Schiffsartillerie. Von dort zog es ihn bald nach Cleveland/Ohio, wo er in einer Fabrik für Batterien, dann für Schiffsmotoren beschäftigt war. Als die letztere die Produktion einstellen musste, bekam er in Lansing, der Hauptstadt von Michigan, in der Autofabrik Oldsmobile eine neue Anstellung. Dort arbeitete er an Rennwagenmotoren und fertigte Metallmodelle aller Art an. In Lansing fand er Anschluss an Gleichgesinnte. Er sang im Kirchenchor und im Senefeld-Liederkranz und engagierte sich in der kirchlichen Jugendarbeit. Die große Emanuels-Kirchengemeinde wählte ihn bald zum Präsidenten des Jugendvereins. Brücker entschloss sich, die amerikanische Staatsbürgerschaft anzunehmen. 1911 war er dann Vorarbeiter und Oberaufseher in der Autofabrik Chalmers in Detroit. Der häufige Wechsel des Arbeitsplatzes und Wohnorts entsprach der amerikanischen Lebensart und dem Bestreben Brückers, Neues zu lernen. Entscheidend für seine weitere Berufslaufbahn war der Aufenthalt in Fort Wayne/Indiana von 1911-1923. Im damals größten elektrotechnischen Unternehmen Amerikas, der General Elec­tric Company, wurde er langjähriger enger Mitarbeiter des bekannten Ingenieurs und Erfinders Chester J. Hall und lernte fast alle Abteilungen des Werks kennen. Tiefen Eindruck hinterließ auf Brücker die Bekanntschaft mit dem genialen Elek-troingenieur und Physiker Prof. Dr. Charles Proteus Steinmetz im Jahr 1916, der ein Freund von Thomas Alva Edison war, mit dessen Namen die Elektrifizierung der industrialisierten Welt verbunden ist.

Bereits im Jahr 1913 ließ Johann Brücker seine frühesten Modelle für einen elektrischen Rasierapparat patentieren. Die Idee dazu wurde durch ein Missgeschick geboren. Zwei Jahre zuvor hatte er nämlich ein ersehntes Konzert versäumt, weil ihm wegen Kundenandrangs nicht rechtzeitig ein Barbier die Bartstoppeln entfernen konnte. Anlass genug, etwas zu erfinden, dass dergleichen sich nicht wiederholen könnte.

Doch zunächst unterbrach der Erste Weltkrieg Brückers Leben. Er wurde zum Militär eingezogen und arbeitete in einem Konstruktionsbüro der Luftwaffe in San Antonio/Texas. Nach dreizehn Monaten Dienstzeit kehrte er zu General Electric zurück.

Von 1924 bis 1939 lebte er in Chicago, der zweitgrößten Stadt der Staaten. In einer Fabrik für automatische Ölheizungen kon­struierte er wichtige Mess- und Kontrollinstrumente. Danach machte er sich als Patent-Sachverständiger selbständig, um Erfinder und Patentanwälte zu beraten. Weiterhin bastelte er unermüdlich an seiner eigenen Erfindung und ließ sie durch zusätzliche Patente absichern. Johann Brückers Sternstunde kam, als er im Frühjahr 1937 in dem Unternehmen „Flexible Shaft Co.“ mit Chefingenieur und Designer Ivar Jepson zusammentraf. Gemeinsam gaben sie Brückers Prototyp den letzten Schliff zum ersten gebrauchfähigen Trockenrasierapparat, nannten ihn „Sunbeam Shavemaster“ und führten ihn auf dem Markt ein. Die Sunbeam Corporation in Chicago übernahm die Anfertigung des Modells, das in 27 Ländern patentiert und auf Grund von Lizenzverträgen auch in Kanada und Australien produziert wurde. Brückers Rasierapparat trat seinen Siegeszug rund um den Erdball an. Jährlich konnten rund eine Million Geräte hergestellt und an den Mann gebracht werden. Ihre ungemein schnelle Verbreitung brachte dem Erfinder von 1937 bis 1957 einen nachhaltigen Dollarsegen ein, der ihm aber nicht zu Kopf stieg. In seinem neuen Wohnort La Jolla bei San Diego/California kaufte er sich zwar 1940 im sechzigsten Lebensjahr ein schönes Haus mit Werkstatt und Garten sowie sein erstes Auto. Er begann, durch ganz Amerika zu reisen und gönnte sich zum ersten Mal in seinem Leben Erholung und Entspannung. Ansonsten aber blieb er der einfache, gütige und hilfsbereite Mensch wie zuvor. Auch die Arbeit blieb ein zen­traler Bestandteil seines gut situierten Lebens, auch wenn er sie nun bedächtiger anging und sich am vielfältigen Vereins- und Gesellschaftsleben von Glendale beteiligte.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Brücker in Los Angeles an kriegswichtigen Spezialaufträgen für die amerikanische Marine. Nach Kriegsende 1945 erfuhr Brücker, welches Schicksal seine Verwandten und Landsleute in Jugoslawien ereilt hatte. Um sich über das Ausmaß der Katastrophe ein Bild machen zu können, reiste er an Bord des Atlantikliners „United States“ nach Europa und besuchte seinen jüngeren Bruder Peter, den die Kriegswirren als Heimatvertriebenen nach Schönaich bei Böblingen verschlagen hatten und der hier das Schicksal der von Flüchtlingen überfüllten Gemeinde teilte: ein Leben in der drangvollen Enge der Massenunterkünfte. Brücker war schockiert von Armut und Elend, die er in verschiedenen Flüchtlingslagern sah, völlig mittellose Menschen, die ihre Heimat, ihr Hab und Gut verloren hatten und nun in menschenunwürdigen Verhältnissen hausen mussten. Zur Linderung ihrer Not fasste Brücker den Entschluss, zwei Wohnhäuser mit insgesamt zehn modern möblierten Wohnungen als gemeinnützige Stiftung bauen zu lassen, wo sie nach dem Grad ihrer Bedürftigkeit kos-tenlos oder gegen einen mäßigen, der Erhaltung der Gebäude vorbehaltenen Mietzins wohnen sollten. Am 22. Juli 1953 trug er dem Schönaicher Bürgermeister Fritz Übele diese Absicht vor. Schon drei Tage später erfolgte der erste Spatenstich. Am 10. September erhielt die Stiftung durch den Abschluss eines Vertrags zwischen dem Stifter und der Gemeinde Schönaich vor dem Bezirksnotariat in Böblingen die gewünschte Rechtsform. Nach dem Vorbild der Fuggerei in Augsburg stellte der Stifter die Mittel für Erstellung und Unterhaltung der zwei Wohnhäuser zur Verfügung, während die Gemeinde die Verpflichtung übernahm, die „Johann-Brücker-Stiftung“ selbständig zu verwalten. Über seine Stiftung hinaus übermittelte Brücker etwa zehn Familien seiner Sippe größere Beträge, die sie in die Lage versetzten, selbst Eigenheime zu errichten.

Am 20. April 1954 wurde Brücker von Bundespräsident Theodor Heuss das Verdienstkreuz Erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zugesprochen. Am 16. Juni 1954 fand die Einweihung des ersten und das Richtfest des zweiten der gestifteten Häuser statt. Nachdem die Erinnerungstafel und das neue Schild der „Johann-Brücker-Straße“, an der die Häuser seiner Stiftung stehen, enthüllt waren und die Gäste das fertige Haus besichtigt hatten, wurde dem Philanthropen in der Festhalle in einer stimmungsvollen Feier als erstem in der Geschichte der Gemeinde das Ehrenbürgerrecht verliehen und das Verdienstkreuz überreicht. Auch in Ansprachen, schlichten Gedichten und Liedern des Gesangvereins fand der Dank für die hochherzige Tat seinen Ausdruck. Am 12. August sendete der Süddeutsche Rundfunk das von dem schwäbischen Heimatdichter und Freund der Donauschwaben Karl Götz verfasste Hörspiel Das Märchen von Schönaich, in dem Brücker selber spricht. Schallplatten mit den beiden Sendungen aus Stuttgart und Tübingen dokumentierten die generöse und fürsorgliche Tat des Nothelfers. Als im November 1955 die von der Stiftung in Auftrag gegebene Biografie Brückers erschien, ehrte die Landesregierung Baden-Württemberg den Wohltäter mit einem Staatsempfang und Festessen in der Villa Reitzenstein. Karl Götz war der Verfasser dieser aussagekräftigen und reich bebilderten Vita, die von Prof. Charles Wood auch ins Englische übersetzt wurde. Die Kunde von diesem wahr gewordenen Märchen verbreitete sich in ganz Deutschland bis in die Vereinigten Staaten.

Hohes Ansehen genoss Brücker auch in der kalifornischen Stadt Glendale, wo er von 1950 bis 1961 wohnte und durch seine Hilfsbereitschaft und Spendenfreudigkeit zum „besten Bürger der Stadt“ avancierte.

Als überzeugter Christ und aktives Mitglied der Lutherischen Laienbewegung in den USA hat Brücker neben anderen Samariterdiensten einigen Dutzend begabten jungen Leuten aus Amerika und Deutschland das Studium ermöglicht. In Amerika stiftete er mehrere von europäischen Künstlern angefertigte Christusstatuen.

Neben Ceylon und Israel besuchte Brücker fast sämtliche europäische Länder. Im Zeitraum von 1953 bis 1962 flog er dreißig Mal zwischen Amerika und Deutschland hin und her, bis er endgültig in Schönaich blieb. Der kreative Konstrukteur war wohlhabend, aber keineswegs reich, er hatte mehr gestiftet und verschenkt, als er überhaupt besaß. Wenig bekümmert um Geldangelegenheiten, hatte er damit seinem Lebensgrundsatz eine tragische Dimension verliehen, nämlich bis an die Grenze karitativ zu wirken, wo es wehzutun beginnt. 1958 versiegten die Gewinnanteile aus den Lizenzen für Rasierapparate. Die fehlenden Einnahmen und der Kontakt mit Geschäftemachern, die ihn wiederholt austricksten, ließen den Mann mit dem großen Herzen, der sein Glück aus der freigebigen Sorge für andere bezog, langsam verarmen. Seine letzten drei Lebensjahre musste er deshalb in einer der Wohnungen verbringen, die er selbst einmal der Gemeinde Schönaich gestiftet hatte. Aus dem Spender war ein Empfänger geworden.

Aber trotz beginnenden Leidens und nachlassender Sehkraft gab er nicht auf und versuchte, Geld zu verdienen. Im feinmechanischen Betrieb von Hesse & Heinzelmann in Schönaich richtete er eine Versuchswerkstatt ein, um an der Verbesserung seines Rasierapparats zu tüfteln, die unvermeidliche Tabakspfeife im Mundwinkel. Den dafür nötigen harten Stahl kaufte er persönlich in Schweden ein. Wegen einer schweren Krankheit war er gezwungen, häufig das Stuttgarter Katharinenhospital aufzusuchen. Bei der Einweihung der „Johann-Brücker-Volksschule“ am 5. Oktober 1962 konnte er deshalb nicht zugegen sein, seine Festansprache musste verlesen werden. Nach der Amputation eines Beins war er auf den Rollstuhl angewiesen, dennoch arbeitete er an dem Problem, wie eine Beinprothese einfacher und praktischer als bisher hergestellt werden könnte. Am 3. Juni 1965 starb der zeitlebens Unverheiratete fast 84-jährig in Stuttgart und wurde auf dem Friedhof in Schönaich beigesetzt.

Zur 100. Wiederkehr seines Geburtstags veranstaltete die Gemeinde Schönaich in Zusammenarbeit mit der Heimatortsgemeinschaft Neu-Pasua und der Landsmannschaft der Donauschwaben am 3. und 4. September 1981 festliche Gedenktage für ihren Ehrenbürger und Wohltäter mit Kranzniederlegung, Ausstellung und Heimatabend. Im Keller des Schönaicher Rathauses lagern bis heute mit Entwürfen und Patenten Brückers voll gestopfte Seemannskisten sowie eigens zur Aufbewahrung von Dias angefertigte Holzkoffer.

Mit Recht waren die Vertragspartner der Stiftung 1953 davon ausgegangen, dass die besondere Wohnungsnot der Heimatvertriebenen bis Anfang des Jahres 1980 behoben sein werde. Längst haben Senioren die Vertriebenen als Stiftungsadressaten abgelöst. Die Stiftung des Amerikaners aus Neu-Pasua „als Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot der Vertriebenen in Deutschland“, wie es im Vertrag der Johann-Brücker-Stiftung heißt, war die Initialzündung für die spätere Wohnungspolitik Schönaichs. Mit den Rücklagen, die sich aus den bis heute genutzten Wohngebäuden der Stiftung angesammelt haben, sowie mit der Aufnahme zinsgünstiger Wohnungsbaudarlehen konnte die Johann-Brücker-Stiftung Anfang der neunziger Jahre eine Wohnanlage für betreutes Wohnen im Alter mit insgesamt 14 Wohneinheiten erstellen einhergehend mit dem Bau eines Altenpflegeheims, einer Seniorenbegegnungsstätte sowie Räumen für eine Sozial- und Diakoniestation.

Lit.: Karl Götz, Johann Bruecker. Der Mensch, der Erfinder und Wohltäter, Schönaich o. J. [1955].

Bild: Jakob Bohn.

Stefan P. Teppert, 2017