Biographie

Burdach, Karl Friedrich

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Anatom, Physiologe
* 12. Juni 1796 in Leipzig
† 16. Juli 1847 in Königsberg i.Pr.

Der als einziges Kind des Mediziners Daniel Christian Burdach geborene Karl Friedrich Burdach studierte ab 1793 in seiner Heimatstadt Medizin, wurde dort nach Beendigung seines Studiums auch promoviert und 1798 mit der DisputationCommentarii in Hippocratis librum primum de morbis epidemicis habilitiert und zum Privatdozenten ernannt. Nach einem Studienaufenthalt in Wien bei dem berühmten Mediziner Johann Peter Frank, wo Burdach sich insbesondere im Bereich des Brownianismus weitergebildet hatte, einem heilkundlichen System, das sich damals in Deutschland bei den Heilkundigen großer Beliebtheit erfreute, ließ er sich im Juni 1799 – in jenem Jahr, als er Johanna Hager heiratete – in Leipzig als Arzt und Dozent nieder, wobei er als mittelloser Anfänger die Hoffnung nie aufgab, bald eine attraktive akademische Anstellung zu erhalten. Um sein Ziel zu erreichen, aber auch um sich und seine Familie finanziell einigermaßen abzusichern, begann Burdach bereits in Leipzig, wissenschaftliche Beiträge zu verfassen. Im Jahre 1807 gelang es ihm auf diese Weise, auf der akademischen Karriereleiter eine Sprosse weiter nach oben zu kommen: Burdach, der in Leipzig auch als Armenarzt arbeitete, wurde in diesem Jahr zum außerordentlichen Professor der Universität seiner Heimatstadt ernannt.

Zu Beginn seiner Publikationstätigkeit in Leipzig widmete sich Burdach medizinhistorischen Fragestellungen und betrachtete die Naturerscheinungen sowie auch die Heilkunde aus dem romantisch-spekulativ-naturphilosophischen Blickwinkel Schellingscher Provenienz, d. h. er war der Ansicht, daß das All mit seinen Geschöpfen und Dingen eine Einheit bilde, die durch eine allumfassende ”Weltseele” bedingt sei. Gesundheit resultiere aus der leib-seelischen Harmonie des Menschen mit der Natur bzw. dem Kosmos. Von dieser Ansicht beflügelt, veröffentlichte Burdach beispielsweise 1800 die Schriften Asklepiades und John Brown. Eine Parallele,Scriptorum de Asclepiade index sowie seinePropädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst.

Nachdem Karl Friedrich Burdach 1811 nach einigen fehlgeschlagenen Bewerbungen den Lehrstuhl für Anatomie, Physiologie und Gerichtliche Medizin zu Dorpat übernommen hatte und zum Kaiserlich Russischen Hofrat ernannt worden war, arbeitete er – nun allen finanziellen Sorgen enthoben – insbesondere über Entwicklungsgeschichte, Physiologie und vergleichende Anatomie des Gehirns und des Rückenmarks, wobei er weiter an seinen naturphilosophischen Konzepten festhielt. Im Bereich der Neuroanatomie gelangen ihm mit Hilfe der spekulativen Methode Schellings, gepaart mit beeindruckender Beobachtungsgabe und dem Bestreben, die Welt der natürlichen Dinge mit rationalem Kalkül zu durchdringen, wichtige Neuentdeckungen, die er in gutbesuchten Vorlesungen bekanntmachte.

1814 wurde der inzwischen bekannte Gelehrte auf die Königsberger Lehrkanzel für Anatomie und Physiologie berufen. Dort gründete Burdach, der auch zum Königlich Preußischen Hofrat ernannt worden war, das Anatomische Institut neu. Als Prosektor konnte er einen seiner ehemaligen Dorpater Studenten gewinnen, nämlich Karl Ernst von Baer. Am 13. November 1817 wurde die Königliche Anatomische Anstalt zu Königsberg feierlich eröffnet. Burdach lehrte in der neuen Einrichtung die Fächer Anatomie und Physiologie, hielt propädeutische Lehrveranstaltungen ab und las über den Fötus. Von Baer, den Burdach eher als Kollegen ansah denn als Assistenten und Prosektor, befaßte sich mit der Zootomie, der menschlichen Anatomie und ebenfalls mit der Physiologie des Fötus. Gemeinsam mit von Baer und Martin Heinrich Rathke legte Burdach die anatomische Sammlung an, eine Einrichtung, der Burdach ebenso wie dem Anatomischen Institut lange Jahre vorstand.

Die durch Burdach und von Baer erzielten Forschungsergebnisse wurden regelmäßig in den zwischen 1818 und 1823 erschienenenBerichten von der Königlichen Anatomischen Anstalt zu Königsberg veröffentlicht. Die ersten Ergebnisse seiner Beobachtungen des Nervensystems stellte Burdach im ersten Bericht (1818) dar. Eine ausführliche Abhandlung des Themas erschien ein Jahr später als erster Band der Schrift Vom Baue und Leben des Gehirns. Diese Arbeit ist eines der besten Beispiele romantischer Physiologie und bildet eine ausgezeichnete Quelle für die historische Erforschung der makroskopischen Neuroanatomie. Burdach ist der Ansicht, die Struktur der Natur basiere auf einer allumfassenden Einheit, die jegliche Phänomene umfasse, auch diejenigen des geistigen Lebens und des Verstandes. Allen Erscheinungen sowohl in der organischen wie auch in der anorganischen Welt liege ein ideales, geistiges Sein zugrunde. Daher sei jedes einzelne Phänomen (Wesen, Ding) Ausdruck der allumfassenden Einheit der Natur bzw. des gesamten Kosmos. Um nun die Natur wie auch die Lebewesen in ihrer Totalität zu erfassen, müsse methodisch folgendermaßen vorgegangen werden: Einerseits beruhe der Erkenntnisfortschritt in der Naturforschung und Medizin auf wissenschaftlicher Beobachtung (in Bezug auf die [sichtbaren] Erscheinungen), andererseits auf logisch-rationaler Reflexion (hinsichtlich des idealen Grundes der Dinge), d. h. der Naturforscher müsse vom Besonderen zum Allgemeinen fortschreiten.

Burdachs Bestrebungen zielten in seiner Schrift Vom Baue und Leben des Gehirns darauf ab, das Nervensystem nicht als bloßes Konglomerat anatomischer Strukturen, sondern als eigenständige Einheit zu betrachten, die auf etwas Höheres, Geistiges, auf eine ”Idee” verweist. Um dieses Ziel zu erreichen, untersuchte er die verschiedenen Teile des Gehirns und des Rückenmarks mit der Absicht, eine bestimmte Systematik in der Struktur dieser Organe zu erkennen. Burdachs besonderes Interesse galt dabei den aus Nervenfasern bestehenden Leitungsbahnen des zentralen Nervensystems, von denen er zahlreiche exakt beschrieb und deren gegenseitige Beeinflussung er erforschte. So entdeckte Burdach beispielsweise eine aufsteigende Leitungsbahn im Rückenmark, den nach ihm benannten ‘Burdachschen Strang’ (Fasciculus cuneatus), den er 1819 in seinem Buch Vom Baue und Leben des Gehirns analysierte.

Zu den bedeutendsten Werken aus Burdachs Königsberger Zeit zählt ferner seine sechsbändigePhysiologie als Erfahrungswissenschaft (Leipzig und Königsberg 1826–1840), für die so berühmte Gelehrte wie Karl Ernst von Baer, Martin Heinrich Rathke und Johannes Müller Beiträge verfaßten. Das ursprünglich auf zehn Bände berechnete Handbuch konnte Burdach jedoch nicht mehr vollenden, da der Tod der Ehefrau im Jahre 1838 seine Schaffenskraft überaus gehemmt hatte. Die insbesondere auf von Baer und Rathke zurückgehenden entwicklungsgeschichtlichen Abschnitte des zweiten Bandes übten einen starken Einfluß auf die Herausbildung der modernen Embryologie aus. Von Baer widmete eine ganze Abhandlung der Entstehung des Embryos. Burdach jedoch redigierte von Baers Beitrag um, zerteilte ihn in mehrere kleine Texte, um sie dann an verschiedenen Stellen des Bandes einzurücken. Von Baer war über dieses Vorgehen derart erzürnt, daß er seinen Aufsatz separat unter dem Titel Ueber Entwicklungsgeschichte der Thiere (1828) drucken ließ. Von Baer sollte mit dieser Schrift, die in der Folgezeit einen großen Bekanntheitsgrad in der Fachwelt erlangte, zu einem Begründer der modernen Embryologie werden.

Die letzte große Arbeit Burdachs trägt den Titel Blicke ins Leben – ein vierbändiges Werk, das zwischen 1842 und 1848 erschienen ist. Er hielt darin an der Auffassung von einer romantischen Wissenschaft fest – in einer Zeit, in der die Periode der Romantik längst vorüber war. Burdach ging wieder von dem Gedanken aus, daß alles auf der Welt und im Kosmos Existierende, die Materie ebenso wie die geistigen Dimensionen, ein harmonisches Ganzes bilden müsse – und diese Gegebenheit sei, so der Romantiker Burdach, auch wissenschaftlich nachprüfbar. Religion und Moral ließen sich daher ebenfalls wissenschaftlich begründen. In den ersten beiden, im Jahre 1842 herausgekommenen Bänden derBlicke setzte Burdach seine entwicklungsgeschichtlichen Studien fort und arbeitete eine Phylogenese der menschlichen Seele heraus. Im dritten Band (1844) findet der Leser allgemeine Betrachtungen über das menschliche Leben, der vierte und letzte, 1848 posthum erschienene enthält Burdachs SelbstbiographieRückblick auf mein Leben.

Weitere Forschungsschwerpunkte Burdachs waren neben der Entwicklungsgeschichte des Gehirns die Pathologie, Heilmittellehre, Diätetik sowie die Allgemeinmedizin. Daneben beschäftigte er sich mit der Impotenz des Mannes – er empfiehlt als Therapie ein französisches Geheimmittel –, arbeitete über den Schlaganfall, gab ein Recepttaschenbuch für angehende Aerzte heraus, verfaßte eine Schrift über die Cholera, trug über die Physiologie des Herzens vor, prägte 1800 den Begriff ‘Morphologie’, widmete sich anthropologischen und gerichtsmedizinischen Themen, berichtete über die ”Waisenpflege” in Königsberg und interessierte sich für ”Kleinkinderschulen”. Diese Übersicht über das Schaffen Burdachs macht die Vielseitigkeit des weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannten Gelehrten sichtbar, der nicht im universitären Elfenbeinturm lebte, sondern sich neben seinen morphologischen Untersuchungen auch sozialer Probleme annahm. Dieses gesellschaftliche Engagement zeichnete damals auch andere berühmte Mediziner, so z. B. Rudolf Virchow, aus.

Karl Friedrich Burdach verfaßte nicht nur umfangreiche Monographien, sondern war auch als Beiträger überregional renommierter wissenschaftlicher Zeitschriften und niveauvoller Publikumsjournale bekannt.

Von 1827 bis zu seinem Tod schränkte Burdach dann seine vielfältigen Arbeiten immer mehr ein, gab als 51jähriger zunächst die Leitung des Anatomischen Instituts ab und widmete sich nur noch seiner Vorlesungs- und Veröffentlichungstätigkeit. Auf Grund seiner hohen Reputation erhielt Burdach angesehene nationale und internationale Auszeichnungen, so z. B. 1831 die Goldmedaille der Akademie der Wissenschaften zu Paris. Er verstarb im Alter von 71 Jahren.

Lit.: Voit: Burdach, Karl Friedrich, in: Allg. Dt. Biogr., hrsg. durch die hist. Comm. bei d. Königl. Akad. d. Wiss., III, Leipzig 1876, Neudr. Berlin 1967, S. 578f. –  Wernich: Burdach, in: Biogr. Lex. d. hervorrag. Ärzte aller Zeiten und Völker, 2. Aufl. hrsg. von Franz Hübotter, I, Berlin und Wien 1929, S. 771f. –  K. Feremutsch: Organ der Seele. Beitrag zur Geschichte der romantischen Medizin nach den Werken Karl Friedrich Burdachs (1776–1847), in: Mschr. Psych. Neurol. 125 (1953), S. 371–385. – A. W. Meyer: Human Generation. Conclusions of Burdach, Döllinger and von Baer, London und Stanford 1956. – A. Meyer: Karl Friedrich Burdach on Thomas Willis, in: J. neurol. Sci. 3 (1966), S. 109–116. – Alan S. Kay: Burdach, Karl Friedrich, in: Dict. of Scient. Biogr., hrsg. von Charles Coulston Gillispie, II, New York 1970, S. 594–597. – Alfred Meyer: Karl Friedrich Burdach and his place in the history of neuroanatomy, in: J. Neurol. Neurosurg. Psychiat. 33 (1970), S. 553–561. – Werner E. Gerabek: Karl Friedrich Burdach (1776–1847). Anatom und Physiologe, in: Die Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren, hrsg. v. Dietrich Rauschning und Donata von Nerée, Berlin 1995 (= Jahrbuch der Albertus-Universität, 29 [1994]), S. 407–416.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Burdach

Werner E. Gerabek