Biographie

Calvin, Johannes

Beruf: Theologe, Reformator
* 10. Juli 1509 in Nordfrankreich
† 27. Mai 1564 in Genf

Neben den vertrauten Wittenberger Reformatoren: Martin Luther (1483-1546), Philipp Melanchthon (1497-1560) und Johannes Bugenhagen (1485-1558) haben zwei weitere Reformatoren, Huldreich Zwingli (1484-1531) und Johannes Calvin (1509-1564), die kirchlichen und politischen Entwicklungen nachhaltig geprägt. Während sich die aus der Reformation hervorgegangenen evangelischen Kirchen in Mittel- und Nordeuropa auf Martin Luther berufen und sich vielfach auch als „evangelisch-lutherische“ Kirchen bezeichnen, verweisen die evangelischen Kirchen in West- und Südosteuropa auf Johannes Calvin. Hier sind vor allem die Schweiz, die Niederlande, Frankreich, Schottland und Ungarn zu nennen. Seit dem 17. Jahrhundert werden jene Kirchen, die sich auf Calvin berufen, im Unterschied zu den lutherischen Kirchen als „reformierte Kirchen bezeichnet.

Johannes Calvin wurde am 10. Juli 1509 in Nordfrankreich geboren und zunächst auf eine geistliche Laufbahn vorbereitet. Er studierte in Paris, Orléans, Bourges und später wieder in Paris, zunächst Theologie, seit 1531 auch Rechtswissenschaften. Es ergab sich eine enge Verbindung zum französischen Humanismus. Calvin galt als ein vorzüglicher Kenner der antiken Schriften. Aufmerksam verfolgte er den Abendmahlsstreit zwischen Zwingli und Luther. Ende der 1520er oder Anfang der 1530er Jahre schloss er sich den evangelischen Vorstellungen jener Zeit an. In einer 1533 gehaltenen, wahrscheinlich von Calvin verfassten Rektoratsrede verteidigte sein Freund, der Mediziner Nikolas Cop, die neue evangelische Lehre. Beide mussten daraufhin aus Paris fliehen. Calvin kam auf unsteter Flucht 1536 nach Genf. Durch den Prediger Wilhelm Farel wurde er genötigt, das dort bereits begonnene Werk der Reformation fortzusetzen. Nach anfänglich breiter Zustimmung wandte sich der städtische Rat 1538 gegen Calvin und wies ihn aus. Man war nicht bereit, Calvins hohen religiösen und moralischen Forderungen zu genügen. Calvin ging nach Straßburg. Dort gewann er Kontakte zu den Wittenberger Reformatoren, vor allem zu Melanchthon. Drei Jahre später wurde Calvin erneut nach Genf gerufen. Die Situation hatte sich zu seinen Gunsten verschoben. Calvin kehrte zurück und setzte in aufreibender Arbeit 1554 seine Kirchenordnung durch. Über eine große Schar von Schülern und durch eine umfangreiche Korrespondenz verbreiteten sich Calvins Vorstellungen rasch. Es kam zur Bildung der so genannten reformierten Kirchen. Immer deutlicher prägten sich die Unterschiede zur lutherischen Reformation aus. Am 27. Mai 1564 starb Calvin. Mehrere von ihm verfasste Schriften gehören zu Bekenntnisschriften der reformierten Kirchen. Heute bilden die reformierten Kirchen nach der katholischen und nach den orthodoxen Kirchen, aber noch vor den lutherischen Kirchen die drittgrößte konfessionelle Gruppierung überhaupt. In Deutschland gibt es etwa 2 Millionen Reformierte, weltweit über 100 Millionen.

Manche der damaligen theologischen Auseinandersetzungen zwischen den Lutheranern und den Calvinisten sind für uns heute unverständlich. Am bekanntesten wurde der Streit um das Abendmahl. Nach Calvinistischer Auffassung ergänzen die Sakramente, Taufe und Abendmahl, nur sinnbildhaft das in der Predigt dargebotene Evangelium. Die reformierten Gottesdienste sind wesentlich schlichter gestaltet als die Gottesdienste in den lutherischen Kirchen. In den reformierten Kirchen bildet die Predigt, deutlicher noch als in den lutherischen Kirchen, das Kernstück der Gottesdienste. Hinzukommen lediglich Lieder und Gebete. Es fehlt eine längere, besonders ausgeformte Liturgie. Dementsprechend sind auch die Kirchenräume nur mit einer Kanzel, Sitzgelegenheiten für die Predigthörer und einem Abendmahlstisch ausgestattet. Es fehlen kostbare Schnitzereien und Bilder.

Zu dem von Luther abweichenden Abendmahlsverständnis gesellte sich ferner die Vorstellung einer für jeden Einzelnen vorherbestimmten Gnadenwahl Gottes. Daher verstehen sich die Calvinisten als Werkzeuge Gottes. Hieraus ergibt sich die nachdrückliche Verpflichtung zur Arbeit, die mit vollem Einsatz sozial- und erfolgsorientiert zu verrichten ist. Anders als in den weithin landwirtschaftlich geprägten Gebieten, in denen sich die lutherischen Landeskirchen herausbildeten, billigte Calvin im Blick auf die für den Stadtstaat Genf wichtige vorindustrielle und kaufmännische Arbeit auch die sich damals immer deutlicher ausprägende Geld- und Zinswirtschaft. Die kirchliche Bestätigung der mit einem sozialen Arbeitsethos verbundenen Geldwirtschaft gehörte zu den Hintergründen für den wirtschaftlichen Erfolg der Reformierten, wie er in den Niederlande jener Zeit weltweit deutlich wird. Mit strenger Kirchenzucht kontrollierten die Kirchenältesten der ersten reformierten Gemeinden auch das private Leben der Gemeindeglieder. Entsprechende Forderungen wurden in der Folgezeit relativiert. Wichtig blieb die sorgfältig ausgeformte Gemeindeordnung Calvins mit dem parallel hierzu weiter entwickelten weltlichen Recht.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts übernahmen auch einflussreiche deutsche Fürstenhäuser das reformierte Bekenntnis. Beispielhaft verwiesen sei auf den Bekenntniswechsel 1563 in der Kurpfalz und 1613 in Brandenburg. Kurz nachdem der brandenburgische Kurfürst zum reformierten Bekenntnis übergetreten war, erließ er 1614 ein Toleranzedikt, das sowohl den Lutheranern als auch den Reformierten Religionsfreiheit zusicherte. Als die brandenburgischen Kurfürsten, nach dem Aussterben des pommerschen Fürstenhauses, im Ergebnis des Dreißigjährigen Krieges 1648 als Herzöge von Pommern Hinterpommern übernahmen, bildeten sich auch dort deutsch reformierte Gemeinden. Durch die Aufnahme hugenottischer Flüchtlinge kamen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in den zu Brandenburg/ Preußen gehörenden Gebieten französisch reformierte Gemeinden hinzu.

Das über die Fürstenhäuser vermittelte rasche Vordringen des reformierten Bekenntnisses – und in der mit ihnen verbundenen Führungsschicht – lässt nach den Beweggründen für diesen Konfessionswechsel fragen. Bezeichnend war für jene Zeit die Vorstellung von einem hohen Bildungsstand der Vertreter der reformierten Kirchen. Diese Vorstellung ergab sich aus der von den Calvinisten mit besonderem Nachdruck und erkennbarem Erfolg geförderten und geforderten wissenschaftlichen Ausbildung, nicht nur der Pfarrer. Verbunden war diese calvinistische Bildungspolitik mit den zum Teil höheren westlichen Bildungsvoraussetzungen und, im Blick auf die Theologie, mit einer rational einsichtigeren Erklärung mancher Glaubensgrundsätze. Viele verstanden das auf Calvin zurückgehende reformierte Bekenntnis als eine folgerichtigere, als eine deutlichere Ausprägung der reformatorischen Erkenntnis. Der gegenüber Melanchthon mehr als ein Jahrzehnt jüngere Calvin erschien vielen als reformatorischer Vordenker der zweiten, der folgenden Generation.

Naturgemäß kam es auch in Brandenburg/ Preußen zu Spannungen und mehr oder minder hartnäckig ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen den Lutheranern, die auf ihre althergebrachten Rechte pochten, und den neu ins Land gekommenen Reformierten, die entsprechende Rechte für sich einforderten. An Ausgleichsversuchen der Kurfürsten und ihrer Regierungen hat es nicht gefehlt. Zu einer Verständigung unter den Theologen kam es nicht. Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts verloren viele das Interesse an diesen für uns heute kaum noch nachvollziehbaren Auseinandersetzungen.

Am 27. September 1817 erließ König Friedrich Wilhelm III. im Blick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum einen Aufruf zur Kirchenunion von lutherischen und reformierten Gemeinden. „Eine solche wahrhaft religiöse Vereinigung der beiden, nur noch durch äußere Unterschiede getrennten protestantischen Kirchen ist den großen Zwecken des Christentums gemäß; sie entspricht den ersten Absichten der Reformatoren; sie liegt im Geiste des Protestantismus; sie befördert den kirchlichen Sinn; sie ist heilsam der häuslichen Frömmigkeit; sie wird die Quelle vieler nützlichen, oft nur durch den Unterschied der Confessionen gehemmten Verbesserungen in Kirchen und Schulen. Dieser heilsamen, schon lange und auch jetzt wieder gewünschten und so oft vergeblich versuchten Vereinigung, in welcher die reformierte Kirche nicht zur lutherischen und diese nicht zu jener übergehet, sondern beide Eine neubelebte, evangelisch-christliche Kirche im Geiste ihres heiligen Stifters werden, stehet kein in der Natur der Sache liegendes Hinderniß mehr entgegen, sobald beide Theile nur ernstlich und redlich in wahrhaft christlichem Sinne sie wollen.“

Eine Union zwischen Lutheranern und Reformierten hat es in Preußen nicht erst seit dem Unionsaufruf des Königs gegeben. Im Rahmen populärer Aufklärung war es bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zu einem tief greifenden Wandel der kirchlichen Sitte gekommen. Dieser Wandel lässt sich als „gelebte Union vor der Union“ charakterisieren. Die konfessionelle Toleranz war dem Unionsaufruf nicht gefolgt, sondern vielfach vorausgeeilt. Der Aufruf fand in allen Teilen des Königreichs Preußen begeisterte Zustimmung. Zu der bereits vor dem Unionsaufruf geschaffenen gemeinsamen staatlichen Verwaltung für beide Kirchen gesellte sich mit der Einführung einer vom König selbst erarbeiteten Agende eine Gottesdienstunion und schließlich, angesichts der Augustana-Feiern 1530, eine Sakramentsunion, in der sowohl Lutheraner als auch Reformierte gemeinsam zu Abendmahl gingen. Die theologischen Grundlegungen für diese Union gehen weithin auf den bedeutendsten Theologen jener Zeit Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) zurück. Aus dieser Kirchenunion entwickelte sich die preußische Landeskirche, die später so genannte „altpreußische Union“. Sie wurde zum Erfolgsmodell für Kirchenunionen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer deutlicher abzeichnende Trennung von Staat und Kirche führte dazu, dass die neuen, im Ergebnis des innerdeutschen Krieges 1866 an Preußen gefallenen Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover und Hessen-Nassau nicht mehr der preußischen Landeskirche angegliedert wurden. Doch auch sie übernahmen, wie die preußische Landeskirche, aus reformierter Tradition Gemeinde- und Synodalordnungen. Sie gehen auf die Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung von 1835 und deren Weiterentwicklungen zurück.

In der Stadtpfarrkirche von Ueckermünde blieb ein bemerkenswertes Bekenntnis zur Union erhalten. Ein Ehepaar stiftete für die Pfarrkirche ein Gemälde. Auf diesem Bild reichen Luther und Calvin einander die Hand. Sie stehen vor dem mit Kelch und Kruzifix für den gemeinsamen Abendmahlsgottesdienst vorbereiteten Altar. Luther legt seine linke Hand auf ein aufgeschlagenes Buch. Auf dessen linker Seite steht: „Ein Herr. Ein Glaub und Eine Taufe. Ein Gott und Vater Aller.“ Auf dessen rechter Seite steht: „Das Neue Testament unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi.“ Damit fasst Luther das gemeinsame Bekenntnis zusammen. Calvin legt seine linke Hand auf sein Herz und verdeutlicht auf diese Weise, dass ihm diese Gemeinsamkeit eine Herzensangelegenheit ist. Eine zum Bild gehörende Beischrift erläutert die Stiftung. „Mit innigem Dank gegen den Allgütigen der Kirche geschenkt im Jahre 1845 von dem Bölschen Ehepaar, welches, obwohl von verschiedenen Confessionen unter dem Segen Gottes 32 Jahre in glücklicher Ehe gelebet hat. Der Name des Herrn sei gelobt.“ Das klingt wie eine Mahnung an die Kirche, dass sie sich im Blick auf die Eintracht zwischen den Konfessionen, zwischen Lutheranern und Reformierten, an dem Bölschen Ehepaar ein Beispiel nehmen möchte.

Lit.: Ansgar Reiss, Sabine Witte (Hrsg.), Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Katalog zur Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin. Vom 1. April bis 19. Juli 2009. – Norbert Buske, Das evangelische Pommern. Bekenntnis im Wandel. Herausbildung der pommerschen Landeskirche, ihr Weg zur Provinzialkirche der altpreußischen Union, ihre Einbindungen in den Bereich deutscher Landeskirchen und weltweiter Kirchenbündnisse, Schwerin 2009.

Bild: Luther und Calvin stehen vor einem zum Abendmahl hergerichteten Altar und reichen einander die Hand. Gemälde in der Stadtpfarrkirche von Ueckermünde, 1845. Thomas Helms Verlag, Schwerin.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Calvin

Norbert Buske