Biographie

Camaro, Alexander

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Maler
* 27. September 1901 in Breslau
† 20. Oktober 1992 in Berlin

Es sind zwei sich zwar nicht widersprechende, aber mit ihren Jahrzehnten unterschiedlich bestimmte Lebensläufe. Das sind einmal die ersten vier Jahrzehnte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und dann die 45 Jahre des erfolgreichen und viel gerühmten Malers Alexander Camaro in Berlin. In Breslau wurde er am 27. September 1901 geboren. Sein italienisch klingender Name soll ein Stück Familiengeschichte sein und von den väterlichen Vorfahren herrühren – aber es wurde auch kolportiert, daß Camaros Name ursprünglich ein wenig slawisch geklungen habe (Alphons Bernhard Kamarofski). Fest steht, daß er in seiner Heimatstadt nicht ansässig geworden ist, auch wenn er nach 1945 nicht mehr zurückkehren konnte und wohl auch unter günstigeren politischen Verhältnissen in Berlin geblieben wäre, es so auch Adolph Menzel, seinem schlesischen Landsmann, gleichtuend.

Mit 19 Jahren begann er sein Studium an der Staatlichen Akademie der Künste, und sein Lehrer wurde kein Geringerer als Otto Mueller, expressionistisches Mitglied der Künstlergruppe „Die Brücke“, gerade selbst im Begriff, zu den Aufsehen erregenden Modernen zu gehören. Mit sich selbst noch nicht in der klaren Bestimmung seines Lebensweges im reinen, besuchte er gleichzeitig in Breslau auch das Konservatorium. Als kühner Neubeginner gründete er mit 25 Jahren eine eigene Malschule, verließ aber Breslau 1928 und ließ sich von Mary Wigman in Dresden zum Solotänzer ausbilden. Der Tänzer Alexander Camaro begegnet uns dann bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges 1930 in München (mit Mary Wigman) und 1931 in Salzburg (Festspiele unter Bruno Walter), auf Tourneen durch Schlesien und Ostpreußen, als Solist am Residenztheater in Gotha (eine Reminiszenz 1946 in den 19 Blättern des in Öl gemalten Zyklus „Hölzernes Theater“) und schließlich als Ballettmeister des Landestheaters Ostpreußen in Allenstein. Daß Camaro auf diese Herkunft vom Ballett besonderen Wert gelegt hat, wird auch dadurch dokumentiert, daß in den Katalog einer Retrospektive 1983 in Berlin ein ganzseitiges Foto des „Solotänzers Camaro“ eingelegt worden ist.

In diesem ersten Teil des Lebenslaufes eines Mannes, der nicht zur Ruhe kommen konnte und auch nicht wollte, steht noch vermerkt: „ab 1930 Tätigkeit am Theater, Cabaret und Varieté als Tänzer und Artist“, und für die Jahre des Krieges lesen wir: „bis 1944 Auslandstourneen durch Holland und Frankreich, anschließend wehrdienstverpflichtet zur Frontbühne in Rußland und auf Kreta, 1944 illegal in Deutschland bis Kriegsende, von 1933 bis 1945 Ausstellungsverbot. 25 Jahre Frühwerke durch Bombenangriffe und Auslagerungen verloren. Ein Teil der graphischen Arbeiten blieb erhalten.“ Dies besagt, daß der Tänzer und Artist seinen Anfängen in Breslau treu geblieben ist. Das Malen, weniger die Graphik, wurde mit dem Jahre 1945 zum Beruf, denn sie war Camaros Berufung. Jetzt ist nicht mehr über sich ablösende Orte und Tätigkeiten zu berichten, wohl aber über viele Ausstellungen, und diese nicht nur in Deutschland, und kaum minder zahlreiche Aufträge. Zum 90. Geburtstag des Malers war unter anderem genannt: Fernsehausstellung in Düsseldorf, Arbeiten für den „Bundesverband der Deutschen Industrie“ in Köln, für die Außenwand des Elefantenhauses im Berliner Zoo (gegenüber dem Zoo war Camaros Domizil), die Weltausstellung in Brüssel, das Max-Planck-Institut in München, die Philharmonie Berlin, den Bundeskanzler-Bungalow in Bonn, den Internationalen Airport in Washington, das Abgeordnetenhaus in Bonn, den Reichstagsanbau in Berlin, die Neue Staatsbibliothek in Berlin.

In vielen sein malerisches Werk begleitenden Texten hat Camaro sich selbst, Intuition und Intention widerspiegelnd dargestellt, was sonst eigentlich die Maler in ihren Selbstbildnissen tun. Selbstbildnisse gehören nicht zu seinem Werk, und es ist fast anzunehmen, daß seine Texte, in die er gelegentlich fast verliebt gewesen ist, das Selbstporträt schriftstellerisch vermitteln sollten. „Ein gutes Bild trägt ein Geheimnis – es atmet. Ein Rezept? Vielleicht – Mittel einzusetzen wie ein Alchimist, im Lauf der Jahre erarbeitet. Was mich bewegt ist außergewöhnlich und ist auch mit außergewöhnlichen Mitteln, Techniken, das heißt auch Dosierungen, wie Beigaben von Öl in welchem Verhältnis vermengt … wie Haut zu behandeln, empfindlich nervöse Haut … Die Frage, ob die Imagination des Malers sich gegenstandslos oder gegenständlich darstellt, wird belanglos. Hier entscheidet der Augenblick, die Stunde der Arbeit, das ist reine Gegenwart des Malers in seinem Bild.“

1947 stellte sich Camaro in der Berliner Galerie Gerd Rosen als eigenständiger, eigenwilliger Maler vor. Das „Hölzerne Theater“, 19 Kartons, war der große Paukenschlag. Die Bilder sind zu sehen als eine Huldigung an den Raum des Theaters und an die Besucher, die Zuschauer. In einer Besprechung ist zu lesen: „Weniger eine Hommage auf das Drama und die Akteure. In zarten vernebelten Farben – Mauve und Türkis – stellt der Maler Fassaden, Parkett und Logen, Kulissenräume und Vestibül dar. Die Perspektive ist expressionistisch, sie nimmt mehr auf, als der Augenwinkel erfassen könnte. Der Zuschauer und die Flaneure im Theater sind entindividualisiert.“ Will Grohmann, Kunsthistoriker und -kritiker schrieb später: „Sein ,Hölzernes Theater‘ gehört zu den unvergänglichen Leistungen der vierziger Jahre in Deutschland. Welch eine Melancholie steckt in diesen Variationen zum Thema Theater, vom ,Bühneneingang‘ und dem ,Portier‘ angefangen bis zu der ,Proszeniumsloge‘ und dem ,Hausdichter‘. Theater als Gleichnis des Vergänglichen, aber auch des seltsamen Wechsels von Aktion und Leere. Mit diesen wenigen Blättern hätte Camaro eine erfolgreiche Karriere aufbauen können. Das gerade wollte er nicht, das ,Hölzerne Theater‘ war ein Weg zu Weiterem, ein Durchgang.“

Man muß seine eigene Zeit – als Stichwort fiel unter anderen aktuellen Begriffen das Wort von der Stratosphäre – erfahren und sie atmosphärisch begreifen und ins Bild umsetzen, selbstverständlich nicht direkt, sondern als Chiffre. Darum ist Camaro der Moderne, der sich nicht, wie man es gestern tat, ausdrücken will, aber keineswegs modernistisch zeithörig. In diesen Jahrzehnten nach 1945 wurde sowohl dem Realismus als auch dem Expressionismus eine deutliche Absage erteilt. Die Abstraktion triumphierte, und auch Camaro stieß in die Abstraktion vor, aber er machte sie sich nicht zu eigen. Er ist unter den Modernen der Lyriker, der Romantiker, der Mystiker. Will Grohmann, der große Forderer und Förderer des Abstrakten in der Malerei, weiß Camaros eigene Malweise richtig zu werten und einzuordnen: „Es ist nicht die Ungegenständlichkeit, die ihn reizt, sondern die visionäre Wirklichkeit, die zwar eine Identifikation ermöglicht, aber nicht eine bei allen Betrachtern übereinstimmende. Aus Interpretation wird Abwandlung und Metamorphose, aus ihr die bedeutungsvolle Abkürzung, aus dieser das vieldeutige Zeichen.“

In den Bildern Camaros steckt ein bewußt gewollter, aber stets subjektiver Hintersinn, sie sollen etwas Neues, Unbekanntes, fast möchte man sagen Irreales, aussagen. Das einzelne Bild, das sich absichtlich frei macht von jeder fotografischen, realistischen Gleichheit oder auch nur Ähnlichkeit, hat jeweils eine doppelte Bedeutung, einmal diejenige für den Maler, „was will ich ausdrücken?“, und zum anderen für den Betrachter, „wie sieht er dieses Bild, was bedeutet es ihm?“. Und es gibt dann das bewegende, enthusiasmierende Wechselspiel zwischen Maler und Betrachter.

Das Unbekannte und Unsichtbare, das in den Gegenständen erfinderisch Entdeckte soll in Camaros Bildern transparent werden. Es ist ein ständiges Neubeginnen und Experimentieren, um zu den tiefen Gründen vorzudringen. Darum auch das Wort von der Mystik, wenn man Camaros Bilder zu charakterisieren unternimmt. Es mag sein, daß hier ein schlesisches Erbe durchscheint, das Sinnsuchen und auch Sinnfinden im Hier und Heute, um überhaupt leben, überleben zu können. Es seien aus dem Œuvre die Bilder „Nachtlicht“ (1956) und „Wintersonne“ (1958) herausgegriffen. Poetische Spiele, die Flächen sind durch zart angedeutete Zeichen geradezu lyrisch heiter aufgelockert. Es herrscht keine abgrundtiefe Ruhe in den Bildern, die Farbe, das eine Mal ein dunkles Blau, das andere Mal helles Grau, und immer wieder durchsetzt vom romantischen Mond, Halbmond und Vollmond, aber in beiden Bildern nicht vordergründig auffallend, sondern als Chiffre eingebracht.

Zu den Themen, die den Maler immer wieder in das Reich der Phantasie entführt haben, gehören die zahlreichen Winterbilder. Die Retrospektive 1983 in Berlin zeigte als Plakat das dritte Bild des Triptychons „Caza muerta“ (1980). Drei Aussagen will dieses Triptychon machen: Der Käfig, Der weiße Fuchs, Die Falle. Es sind schon deswegen Bilder des Winters, weil der Winter zum Erfinden, zum Gegensätzlichen, zum Epischen einlädt. Gewürfelte Bilder, bestimmt vom Zufall der farbigen Einfälle, mit zum einzelnen Thema sich fügenden Symbolen, alles so aufeinander abgestimmt, daß das Eine das Andere bedingt. Es sind, vergleichbar einer Sonate, ins Bild gesetzte Kompositionen.

Wenige Jahre nach dem Neubeginn wurde Camaro 1951 als Professor an die Hochschule für bildende Künste in Berlin berufen, und Berlin zeichnete ihn in demselben Jahr mit dem Kunstpreis der Stadt aus. Unter den vielen Auszeichnungen seien nur der Lovis-Corinth-Preis 1980 und der Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen genannt. Ernst Scheyer, Zeitzeuge der Breslauer Kunstakademie, die 1932 (aus Sparsamkeitsgründen) geschlossen worden ist, hat 1961 die Verbindung der Kunst Camaros mit der seines Lehrers Otto Mueller herausgestellt: „Alexander Camaro ist ganz östlich-schlesische Melodie, die Stimme seines Lehrers Otto Mueller über das Grab hinaus, das Vermächtnis der toten Breslauer Akademie an die Lebenden, an Deutschland, an die Welt. Kein anderer seiner Meisterschüler hat sich bisher – nach schweren Wanderjahren – solche Geltung verschafft wie Camaro.“Camaro selbst schrieb 1953: „Wenn heute Namen wie Oskar Moll, Otto Mueller, Hans Scharoun, Molzahn, Poelzig, Schlemmer und anderer Toter und Lebender eine geistige vollgültige Aussage bekunden, so ist dies um so erfreulicher, denn über ein Jahrzehnt der Barbarei und die Lostrennung der Heimat, die leichtsinnig verspielt wurde, hinweg, taucht die versunkene Stadt wieder auf.“

„Der große Poet in unserer Mitte“, „Ein metaphysischer Realist“, „Romantiker unter den Abstrakten“, „Ein Tänzer in Farbe“, „Der transzendente Maler“, das sind einige Kennzeichnungen der Kunstkritiker aus den Jahrzehnten nach 1945. Um die gelegentlich rätselhafte Aussagekraft seiner Bilder zu charakterisieren, hat man Camaro mit Paul Klee verglichen, denn gleich ihm will auch Camaro Horizonte des Verstehens aufreißen, im Spiel der Phantasie die Welt der Zeichen und Symbole als dem Schönen verpflichteter Entdecker begreifen helfen. In der Besprechung der Berliner Retrospektive hieß es: „Alexander setzt die Reihe berühmter Maler aus schlesischen Wurzeln von Menzel über Meidner, Mueller und Moll fort.“

Lit.: Ausstellungskatalog: Alexander Camaro. Das Werk in einer Auswahl von 106 Ölbildern, Pastellen und Mischtechniken aus den Jahren 1946–1960. Hg. von der Kunsthalle Bremen, Braunschweig 1961.

Bild: Aus Camaro. Ölbilder, Aquarelle, Zeichnungen. Katalog aus Anlaß der Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Berlin, 1983.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Camaro

Herbert Hupka