Biographie

Christ, Hans

Herkunft: Donaugebiet
Beruf: Dozent für Politik und Zeitgeschichte, Vertriebenenpolitiker, Publizist, Lyriker
* 30. November 1914 in Meknitsch/Mekényes Schwäbische Türkei
† 15. Dezember 1985 in Weinstadt-Endersbach

Christ entstammte einer ungarndeutschen Tagelöhner-Familie. Bereits mit zwei Jahren verlor er den Vater. Seine früheste Jugend war von Entbehrungen geprägt. Die deutsche Volksschule besuchte er in Meknitsch, wurde anschließend Kleinbauer, Tagelöhner, Waldarbeiter, Soldat. Seine Bildung bezog er vor allem aus der Lektüre von Kalendern und Wochenzeitungen. Bald schrieb er selbst auch Kurzberichte und Kalender­geschichten. An der volksdeutschen Jugendbewegung in Süd­osteuropa war er aktiv beteiligt, was dazu führte, dass er später in der Budapester Zentrale des Volksbundes Aufnahme fand, zunächst als Laufbursche. Während des Kriegs war er ungarischer Soldat. Im Herbst 1945 kam er zunächst als Gasthörer an die Universität Erlangen, 1948 Begabtenabitur in München, dann reguläres Studium der Philosophie und Theologie in Erlangen, vor allem mit dem Ziel, Klarheit über die Probleme der Gegenwart zu bekommen. Er gründete aber auch den Südostdeutschen Studentenring und nahm an diversen Arbeits- und Gesprächsgemeinschaften teil. 1951 promovierte er mit einer Dissertation über die christlich-soziale Bewegung im mittleren 19. Jahrhundert. Seine Lehrer waren der Theologe Paul Althaus und sein Doktorvater Hans Joachim Schöps, der jüdische Lobsänger der Ehre Preußens. Nach Studienabschluss war Christ Assistent an den Ev. Akademien Tutzing und Friedewald und arbeitete wegweisend bei der Deutschen Jugend des Ostens mit. Als Dozent und Studienleiter wirkte er 1960 bis 1970 am Europahaus in Marienberg im Westerwald, als Dozent für Politik und Zeitgeschichte ab 1970 bis zur Pensionierung an der Ev. Volkshochschule in Alexandersbad im Fichtelgebirge. Daneben versah er in Wien und in Holland Gastdozenturen. Seinen ausländischen Gästen versuchte er bei Fortbildungsveranstaltungen und Diskussionsrunden ein objektives Deutschlandbild zu vermitteln. Sein Bekanntheitsgrad ging über die Landesgrenzen hinaus in die europäische Sphäre. Christ war auch Mitbegründer und Kulturreferent der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn. Er bemühte sich zeitlebens um die geistige Bewältigung des Vertriebenenschicksals. 1968 erhielt er den Förder-, 1983 den Hauptpreis des Donauschwäbischen Kulturpreises des Landes Baden-Württemberg. Für sein publizistisches Wirken und seine staatsbürgerliche Bildungsarbeit wurde er 1984 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Christ steht im Kürschner ab 1973, auch im europäischen Who is Who sowie im Taschenbuch für politische Bildung.

Über längere Zeit hinweg gehörte Christ zu den meistgedruckten Autoren der Kulturpolitischen Korrespondenz des Ostdeutschen Kulturrates in Bonn. Für diese Institution erarbeitete er 1969 zusammen mit zwei Kollegen ein Buch über die Deutsche Jugendbewegung im Südosten. Für die DJO-Schriftenreihe Unser Arbeitsbrief entstand die Arbeit Das Deutschtum in Un­garn. Zahllose Besinnungsartikel schrieb Christ für seine ungarndeutschen Blätter.

Sein Buch Die Rolle der Nationen in Europa (1962) war als Leitfaden einer politischen Bildungsarbeit gedacht. Es stellt den Versuch dar, der Einigung Europas durch eine aus den Erfahrungen der Kriegsgeneration geläuterte Deutung der Nation Vorschub zu leisten. Die Abhandlung erregte Aufsehen, wurde von Bildungspolitikern gelobt und vom Süddeutschen Rundfunk als Pflichtlektüre in deutschen Schulen vorgeschlagen. Weitsichtig mahnt Christ, Europa dürfe nicht zu einem menschenfernen bürokratischen Überbau führen, sondern müsse sich auf die gewachsenen Gemeinschaften und heile Nationen stützen, die auch Andersdenkende neben sich bestehen und gelten lassen können. Der Gedanke des „Organischen Föderalismus“ als einer möglichen Synthese von Einheit und Mannigfaltigkeit sei daher konsequent zu entwickeln. Auch die im Kreuzungspunkt der Völker erworbene Kompetenz der Heimat­­vertriebenen soll nach Christ beim Aufbau Europas mitwirken. Ihre besondere Eignung bestehe darin, dass sie eher als die Reichsbürger die Kräfte der Vielfalt gepflegt haben und in ihren Herkunftsräumen die Einheit nach außen zur Vielgestaltigkeit nach innen keine Alternative, sondern eine brauchbare Synthese bildete. Ihre europäische Verantwortung hätten sie mit der Charta von 1950 bewiesen, die versöhnungswillig ein neues Verhältnis mit den Nachbarvölkern im Osten eingeleitet habe.

In seiner zweiten Studie Die Elite in der modernen Gesellschaft (1964) diagnostiziert Christ die Fehlentwicklung einer von Teileliten dominierten und ohne Rücksicht auf das Ganze verwalteten Gesellschaft. Nur wenn die Manager einzelner Inter­essengruppen gesamtgesellschaftliche Verantwortung über­nehmen, eine für die Gesamtheit zuständige Elite bilden und mit der Bürgerschaft zusammenarbeiten, könne die Rechts­staatlichkeit aufrechterhalten und die Demokratie fortentwickelt werden. Auch diese Denkschrift fand viel Anerkennung.

Die Suche nach Klärung und Orientierung beherrscht die lyrischen und prosaischen, aus der Zeit vor, während und nach dem Krieg stammenden Texte in einem Sammelband mit dem programmatischen Titel: Ich suche nach Neuland (1964). Was in den Vorkriegstexten noch herausfordernd klingt und voller Idealismus von Tatkraft schwärmt, weicht nach dem Krieg einer Stimme der stillen Einkehr. Der Autor ist einsam geworden zwischen verlorener Heimat und gesuchter Geborgenheit, zwischen Großvätern und Enkeln, zwischen Ende und Neubeginn. Ein Teil seiner Seele weilt noch bei den Toten im Osten, während der andere die Zukunft ermöglichen will und sich Europa nur als eine ausgesöhnte, in ihrer Substanz unangetastete Völkergemeinschaft vorstellen kann. Aber der Dichter fühlt sich umgeben von glaskalten Wänden, von wachsenden Wüsten, von seelenloser Hektik. In den asphaltierten Städten muss er nach Erde, nach Stille und nach dem Echten Ausschau halten. Die Früchte auf dem Felde sind chemisch verseucht, und das Brot wird industriell produziert. Wo alles dem Götzen Fortschritt geopfert wird, ist auch der Sonntag mit seiner besinnlichen Ruhe zur mit Ereignissen übersättigten Leere, zum Wochenende verkommen. Auch den Sinn der Sprache sieht Christ durch ehrfurchtsloses Geschwätz zutiefst verletzt. Werbeagenten ersetzen Tröster und Priester. Für Menschen ohne religiöse Bindung ist das Altwerden peinlich und der Tod eine Verlegenheit. Eltern und Erziehern fehlt Faszination und Schau. Wir sind Sklaven unserer Terminkalender und muße­lose Maschinenmenschen geworden, die das Paradies schon auf Erden errichten wollen, vom Ausverkauf der Schöpfung leben, aber vergessen haben, welcher Segen in der Armut und der Pilgerschaft liegt. Denn die Trauernden sind reicher als die Satten, so die Botschaft des „rastlosen Suchers und Künders von zukunfttragenden Wertvorstellungen“ (Helmut Haun). Sei­ne Harfe habe gesprungene Saiten, sagt der Dichter und bittet seine Leser und Kritiker um Nachsicht. Doch gelingt es ihm mit seinen poetischen Texten in diesem Band, darunter Perlen echter Lyrik, auf erschütternde Weise, das Schicksal der Ungarndeutschen zu dokumentieren und gültige Aussagen über den Charakter der Epoche zu treffen.

Werke: Die Rolle der Nationen in Europa, Stuttgart 1962, 21963. – Die Elite in der modernen Gesellschaft, Stuttgart 1964. – Ich suche nach Neuland, Stuttgart 1964.

Lit.: Adam Schlitt, Dr. Hans Christ zum 50. Geburtstag. Ein „Komet“ am ungarndeutschen Firmament, in: Der Donauschwabe v. 29.11. 1964, S. 6. – Hans Christ donauschwäbischer Kulturpreisträger 1983, in: Unsere Post 2/1984, S. 1 f. – Anton Tafferner,  Dr. phil. Hans Christ zum Gedenken (1914-1985), Donauschwäbische Forschungs- und Lehrerblätter 1986/1, S. 24 f. – Friedrich Spiegel-Schmidt, In memoriam Hans Christ, in: Suevia Pannonica, 1986, S. 49-54. – Hans Christ, in: UH 1987, S. 43. – Virág Cseresznyés, Zwischen Vater- und Mutterland. Das schriftstellerische Werk von Hans Christ, in: Deutsche Literatur im Donau-Karpatenraum (1918-1996), Regionale Modelle und Konzepte in Zeiten des politischen Wandels, hrsg. v. Horst Fassel, Materialien 8, Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, S. 91-96.

Bild: Autor.

Stefan P. Teppert