Biographie

Conrads, Norbert

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Historiker
* 21. September 1938 in Breslau

Nach Flucht und Vertreibung infolge des Zweiten Weltkriegs hat es den späteren schlesischen Historiker nach Köln verschlagen, denn diese Stadt übernahm nach Kriegsende die Patenschaft für die aus ihrer Heimatstadt Breslau Vertriebenen. In Köln besuchte Norbert Conrads das Albertus-Magnus-Gymnasium, das während fast seiner ganzen Gymnasialzeit nur Schichtunterricht anbieten konnte, weil es kein eigenes Gebäude hatte, da dieses wie bei vielen Schulen in Köln ausgebombt war. Seine frühe Liebe zu Schlesien zeigte sich unter anderem darin, dass er als Gymnasiast als Kenner des Dichters Joseph Freiherr von Eichendorff angesehen wurde. Frühe Führungsqualitäten, die später an der Universität von ihm erwartet wurden, zeigten sich darin, dass er an seinem Gymnasium Vorsitzender und Spitzenspieler des Schachklubs war. Die Zeit am Gymnasium beendete er Ostern 1959 mit dem Abitur.

Nach Leistung des Wehrdienstes hat Norbert Conrads im Sommersemester 1960 mit dem Studium von Geschichte und Germanistik an der Universität zu Köln begonnen. Zeitweilig war er an der Universität Wien, wo er später im Haus-, Hof- und Staatsarchiv für seine Dissertation gearbeitet hat. Seine akademische Laufbahn begann in Köln als studentische Hilfskraft bei seinem späteren Doktorvater, Prof. Dr. Adam Wandruszka, der damals in Köln gelehrt und vorwiegend Geschichte der frühen Neuzeit gelesen hat. In diesem Umfeld ist auch Conrads zum Frühneuzeithistoriker geworden. Bereits die Arbeit an seiner Dissertation zeigte ihn auf dem Wege zu einem der führenden deutschen Schlesienhistoriker. Mit seiner Arbeit über die Durchführung der Altranstädter Konvention in Schlesien 1707-1709 untersuchte er einen wichtigen Abschnitt im großen Nordischen Krieg, in dem es auch um die konfessionellen Auseinandersetzungen in Schlesien gegangen ist. Mit dieser Arbeit wurde er 1968 zum Dr. phil. in Köln promoviert, das Buch ist drei Jahre später erschienen. Danach ging er an die Universität Saarbrücken, an der er 1972 zum Ass.-Prof. ernannt wurde. Für den Weg zur Habilitierung hat er das Forschungsfeld gewechselt, indem er sich der Bildungsgeschichte der frühen Neuzeit zuwandte. Sein Thema wurden Ritterakademien der Neuzeit, zeitlich und inhaltlich beschränkt auf Bildung als Standesprivileg im 16. und 17. Jahrhundert. Obwohl es auch in Liegnitz eine Ritterakademie gegeben hat, wird diese in seinem Buch nur gelegentlich erwähnt. Die Untersuchung war nicht auf den deutschen Sprachraum beschränkt, so dass das benachbarte Frankreich besonders für die Anfänge dieser bildungsgeschichtlichen Bewegung bedeutsam wurde. Mit dieser Arbeit hat er sich 1978 in Saarbrücken habilitiert.

Nach kürzeren Lehrtätigkeiten in Tübingen und Gießen wurde Conrads 1981 als Univ.-Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an die Universität Stuttgart berufen, wo er bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2003 geblieben ist. Im Jahre 2000 wurde die Stelle zu einer Ordentlichen Universitätsprofessur aufgewertet. Seine ständegeschichtlichen Forschungen führten dazu, dass er schon 1985 Mitglied der International Commission for the History of Representation and Parlamentary wurde. In demselben Jahr gründete er an der Universität bzw. ihrem Historischen Institut eine Arbeitsstelle für neuere schlesische Geschichte. Dieses Projekt wurde 15 Jahre lang aus Drittmitteln finanziert, nach fünf und zehn Jahren hat er Bilanzen dieser Tätigkeit veröffentlicht. Im Jahre 2000 wurde das Projekt ein Bestandteil seines Lehrstuhls. Das war ein großer und einmaliger Erfolg, denn für keine andere ostdeutsche Landschaft gibt es eine feste Anbindung an den Lehrstuhl einer deutschen Universität. Die Ergebnisse der dort entstandenen Forschungen zur Geschichte Schlesiens von ihm sowie von seinen Mitarbeitern und Schülern sind in einer eigenen Schriftenreihe, Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte, veröffentlicht worden. Das waren in den Jahren 1992-2007 die Bände 1-15. Noch im alten Jahrhundert hat Norbert Conrads einige Ehrungen erfahren. Dazu gehört 1992 seine Berufung zum ordentlichen Mitglied des Johann-Gottfried-Herder-For­schungs­rats, zu nennen sind die Verleihung des Georg-Dehio-Preises 1998 und des Kulturpreises Schlesien des Landes Niedersachsen im Jahr 2000. Die wissenschaftliche Kollegenschaft mit über 40 Mitwirkenden aus dem In- und Ausland hat ihn 1998 zu seinem 60. Geburtstag mit einer umfangreichen Festschrift zu erfreuen gesucht. Den beiden Herausgebern ist es gelungen, eine große Anzahl von Beiträgen zur schlesischen Geschichtsschreibung zusammenzuführen. Der Jubilar selbst, bevor er Jubilar wurde, hat sich an dem umfangreichen zehnbändigen Werk Deutsche Geschichte im Osten Europas, das im Siedler Verlag erschienen ist, beteiligt. Mit seinem Namen ist der Band für Schlesien verbunden, auch wenn er diesen nicht allein verfasst hat. Außer den Arbeiten, die man als Band­herausgeber selbst zu schreiben hat, stammt vor allem der Abschnitt Schlesiens frühe Neuzeit (1469-1740) (S. 177-344) aus seiner Feder. 2002 ist das ganze Werk in leicht verbesserter Auflage neu erschienen.

Norbert Conrads hat in den beiden letzten Jahrzehnten vermehrt die Verbindung zu seiner schlesischen Heimat und den heute dort tätigen polnischen Kollegen gesucht und auch gefunden. Das führte dazu, dass ihn die polnische Universität Breslau 2004 mit der Goldenen Medaille und 2012 mit der Jubiläumsmedaille auszeichnete. Im Jahr zuvor, 2011, wurden seine Verdienste unter anderem um die Förderung deutsch-polnischer Zusammenarbeit von der dortigen Universität mit der Ehrendoktorwürde (Dr. h.c.) gewürdigt. Ähnlich war auch die Begründung des Bundespräsidenten, als dieser ihm im Jahre 2017 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik verliehen ließ, vorgenommen hat dies der Oberbürgermeister seines langjährigen Wohnortes Leonberg bei Stuttgart.

Bereits seit den 1990er Jahren laufen die Bemühungen von Norbert Conrads, das grausame Schicksal der Breslauer Juden während der nationalsozialistischen Herrschaft vor dem Vergessen zu bewahren. Im Mittelpunkt steht der Lehrer Willy Cohn (1888-1941), der in der Wissenschaft vor allem als Historiker der Stauferzeit bekannt ist. Er hat die längste Zeit Tagebücher geführt und hat außerdem Lebenserinnerungen hinterlassen. Letztere hat Conrads bereits 1995 durch eine Edition der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die handschriftlichen Tagebücher hatte ihr Verfasser rechtzeitig vor seiner Deportierung und Ermordung nach Berlin schicken können, wo sie das Kriegsende überstanden haben. Die Tagebücher seit 1933 hat Conrads 2006 durch eine zweibändige Edition erschlossen. Daraus hat er eine Auswahl 2008 veröffentlicht. Diese wurde Vorlage der polnischen und amerikanischen Ausgabe, die also beide gekürzt sind. Diese Arbeiten haben ihrem Herausgeber ein internationales Ansehen bereitet. Wissenschaftlich zu begrüßen, wenn auch bescheidener, ist der Anspruch seines lebenslangen Arbeitsgebiets, Schlesien in der Frühmoderne; unter diesem Titel ist vor zehn Jahren anlässlich seines 70. Geburtstags eine Auswahl seiner Aufsätze erschienen.

 

Werke in Auswahl: Die Durchführung der Altranstädter Konvention in Schlesien 1707-1709 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 8), Köln/ Wien 1971. – Ritterakademien der frühen Neuzeit (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 21), Göttingen 1982. – Willy Cohn, Verwehte Spuren. Erinnerungen an das Breslauer Judentum vor seinem Untergang, hrsg. v. N. C. (Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte 3), Köln 1995. – Die Abdankung Kaiser Karls V. (Reden und Aufsätze 65), Stuttgart 2003. – Quellenbuch zur Geschichte der Universität Breslau 1702 bis 1811, hrsg. v. N. C. (Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte 9), Köln u. a. 2003. – Willy Cohn, Kein Recht nirgends. Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums 1933-1941, 2 Bde., hrsg. v. N. C. (Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte 13/1-2), Köln u. a. 2006. – Willy Cohn, Kein Recht, nirgends, Breslauer Tagebücher 1933-1941. Eine Auswahl, hrsg. v. N. C., Köln u. a. 2008. – Schlesien in der Frühmoderne (Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte 16), Köln u. a. 2009 [mit Schriftenverzeichnis 1970-2008].

Lit.: Silesiographia. Festschrift für Norbert Conrads zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Matthias Weber u. Carsten Rabe, Würzburg 1998 – Joachim Bahlcke: Vorwort des Herausgebers, in: N. C., Schlesien in der Frühmoderne (wie oben), S. VII-XI.

Bild: Kulturstiftung.

Bernhart Jähnig