Biographie

Corinth, Lovis

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Maler
* 21. Juli 1858 in Tapiau/Ostpr.
† 17. Juli 1925 in Zandvoort/Holland

Käthe Kollwitz hinterließ über Lovis Corinth das vieldeutige Wort: „Er hat wirklich die Malerfaust gehabt.“ Der Künstler stammte aus dem auf halbem Wege zwischen Königsberg und Wehlau gelegenen Tapiau, das heute den russischen Namen Gwardeisk tragen muß. Das Städtchen an der dem Pregel zufließenden Deime besitzt eine vielfarbige Geschichte. Anno 1280 gründete der Deutsche Orden in Tapiau eine Burg, die den westlichen Teil Ostpreußens, vor allem aber das Samland vor Eindringlingen aus dem Osten schützen sollte. Später, nach dem Fall der Marienburg, wurde in Tapiau das Ordensarchiv aufbewahrt, in dem der letzte Hochmeister in Preußen und nachmalige Herzog Albrecht bei seinen Besuchen eifrig Studien getrieben haben soll. In diese kulturgeschichtlich gesättigte Umwelt wurde Lovis Corinth hineingeboren. Sein äußerlich ganz und gar bescheiden anmutendes Geburtshaus – jetzt mit einer den Maler ehrenden russischen Inschrift geschmückt – steht noch heute.

Lovis Corinth hatte, wie eine Biographie verrät, „etwas von einem russischen Bären“ an sich. Er hielt aber auch als reifer Mann bewußt an der vokalreichen Mundart-Melodie seiner Heimat fest. Dennoch läßt sich im Wesen dieses Ostdeutschen ein leiser Widerspruch entdecken. Corinth verbrachte gut die Hälfte seines Lebens in Ostpreußen. Sein Hauptwerk entstand jedoch – von einigen Ausnahmen abgesehen – keineswegs im Lande am Pregel, sondern an der Spree. Das Leben Corinths umfängt die Spanne von dem weithin unterschätzten Carl Hauptmann – dem Bruder des Dichters der Weber – bis zu Stefan Zweig. In seinem Geburtsjahr – 1858 – schuf der Schlesier Adolph von Menzel sein Gemälde „Friedrich der Große in Lissa“ und in seinem Todesjahr – 1925 – vollendete Lyonel Feininger seinen „Torturm“. Liebenswerte musikalische Klänge umfangen das Leben des Künstlers – von den Melodien, die Jacques Offenbach in seinem Orpheus wob, bis zu den feurigen Tönen, die Franz Lehár in die Geigenstriche des Paganini hineinzauberte. War es da ein Wunder, daß Corinth in einem behüteten Elternhaus aufwuchs? Als ein Lehrer, der es genau wissen wollte, ihn fragte, wann er denn Geburtstag hätte, erhielt der Pennäler von der Mutter die launige Antwort: „Segg, toon Koornaust.“ Erst lange hernach deutete der Künstler dies Wort richtig: „Ich reimte mir zusammen, daß die Bauern wichtige Ereignisse relativ miteinander bezeichnen. So wurde denn mein Geburtstag stets mit der Roggenernte verbunden.“

Auch Vater Corinth umhegte seinen Sohn wie einen Schatz. Als der stürmische Junge einmal vom Pferd fiel, „sah ich“, bekannte der Maler später, „wie mein Vater meinen Kopf an seine Brust gelegt, in wiegendem Schritt auf und abging“. Die Mutter reagierte schon ein wenig rigoroser. Nach einem Sturz in die Lohgrube rief sie ihrem Sohn den als Trost verstandenen Satz zu: „Seh moal de loange Beene.“ Die Mutter hatte auch, wenn sie es für nötig hielt, einen Sielenstrang zur Hand, den sie gelegentlich mit den Worten vom Nagel nahm: „Da hau ek de, Lue, wenn du onartig best.“ Corinth hat, als die Mutter einmal wegsah, den Sielenstrang gepackt, in die Deime geworfen und sah, wie er schrieb, vergnügt zu, „wie der den Fluß lustig stromabwärts schwamm.“ Corinths Eltern gehörten in Tapiau zu den reichen Mitbürgern. Der Vater hielt als Gerbermeister darauf, „alte Männlein und Weiblein, die zu seinem Hause angehumpelt kamen“, mit einer Gabe zu erfreuen. Corinth erinnerte sich später: „Jedem mußte ich einen Pfennig (das war damals viel Geld) und ein Stück Brot geben. Jeder trollte sich dann weiter mit dem Dankeswort: ‚Help de leewe Gottke.‘“ Der junge Corinth besaß auch die Zuneigung der Arbeiter und Tagelöhner, die mit ernsten oder sogar düsteren Mienen ihrem Werk nachgingen. „Die Mienen erhellten sich aber, wenn sie mich auf dem Hofe hantieren sahen und mir zuriefen: ‚Na, Luke, wat deihst du denn da?‘“

Corinth hat sich später viel Gedanken über die Herkunft seiner Familie gemacht und nachgesonnen, „ob unsere Linie ostpreußische, holländische oder niederdeutsche“ Wurzeln hat. Eigenartig ist auch die Vielzahl und Modulation seiner Vornamen. Getauft wurde er auf die Namen Franz Heinrich Louis. Seine Mutter und Freunde nannten ihn Lue oder Luk, und er selbst gewann unter dem Namen Lovis Ruhm und Anerkennung. Dabei war Corinth, wie seine Landsmännin Käthe Kollwitz bestätigte, keineswegs ehrsüchtig. „Er war“, notierte die Königsbergerin, „ein einheitlicher, ehrlicher Mensch und Künstler. Eigentlich kindlich. Ohne Falsch.“ Aber er steckte doch bis ins Alter hinein voller Selbstzweifel. „Ein fortwährendes Streben, mein Ziel zu erreichen, das ich in dem Grade niemals erreichte, hat mein Leben vergällt.“ Aber vielleicht war dieser leise anklingende Hauch von Depression gar nicht ernst gemeint. Immerhin wurde Corinth 1919 – übrigens gemeinsam mit Käthe Kollwitz und Georg Kolbe – Mitglied der Berliner Akademie der Künste und führte, gut gelaunt, wenn er einen edlen Tropfen zu sich genommen hatte, auch in feinster Gesellschaft nicht selten einen ostpreußischen Bärentanz auf. Etwas vom Blute Paul Wegeners muß wohl in ihm gewirkt haben.

Sein eigentlicher Lebensweg war ohne Zweifel geradlinig. Ein Jahr nach Königgrätz kam er aufs Gymnasium nach Königsberg. Neun Jahre darauf wurde er Mitglied der Königsberger Akademie der Künste. Dann führten ihn Reisen nach Bayern, Belgien und Frankreich. 1901 wurde er schließlich in Berlin ansässig, als Künstler, über den in einer Biographie der bemerkenswerte Satz zu lesen steht: „Seine Bilder sind im Zuge der Rubens-Nachfolge Zeugnisse berauschender Sinnesfreude.“ Käthe Kollwitz, der einmal das Wort entschlüpfte: „Ich habe ihn eigentlich nie sehr geliebt“, verriet später, nach dem Besuch einer Ausstellung in Berlin nicht ohne Stolz: „Ich hänge neben Corinth.“

Corinth war im Sinne des Wortes nie ein ostpreußischer Maler, genauer gesagt, kein Maler seiner Heimatlandschaft. Aber er hat die Beziehung zu seiner Geburtsstadt Tapiau nie verloren. So schuf er für die evangelische Pfarrkirche, die neben dem „für Ostpreußen typischen, leicht abfallenden Markt“ (Peter Bamm) liegt, ein Altargemälde mit dem Golgatha-Motiv. Das Bild ging schon im Ersten Weltkrieg verloren. Eine weitere Gabe ist seit 1945 verschollen. Der Künstler litt 1914 unendlich unter der Besetzung seiner Heimatstadt durch die Russen und schuf hernach ein Monumentalgemälde, das die Befreiung der Stadt „unter dem Schutz der Waffen“ darstellte. Um dieses Bild entbrannte jedoch ein gewaltiger Streit, der den inzwischen zum Ehrenbürger erhobenen Künstler tief kränkte. Ein Ratsherr fühlte sich auf dem Befreiungsbild nicht gut dargestellt und fuhr Corinth grob an. Der Künstler schrieb später: „‚Sie beleidigen mich‘, war das einzige, was ich schreien konnte.“ Die Empörung legte sich jedoch und Corinth schwärmte lieber über gute Erinnerungen, über die „Liebe zu Bacchus“, die in der kalten Provinz Deutschlands genährt wurde, und er verriet in Berlin allzuoft, daß in seiner Jugend in Ostpreußen „der Schnee an manchen Stellen mannshoch aufgetürmt war und die Straßen fast unpassierbar machte“. Er hat mit seiner Frau auch Königsberg und Tapiau besucht, notierte jedoch ein wenig erschreckt: „Königsberg ist eine andere Stadt geworden. Aber am Dom ist es alles genau dasselbe, selbst der Balkon nach dem Pregel mit dem Lindenbaum davor.“ Dort, nahe am Dom, logierte er als Gymnasiast bei einer Verwandten seiner Familie. Noch ein Jahr vor seinem Tod kam er ein letztes Mal nach Königsberg, um eine ihm gewidmete Ausstellung zu sehen. Dabei zeigte er seiner Frau, der Malerin Charlotte Berend, auch das Haus nach dem Pregel, in dem er „aus der Dachluke geguckt und sehnsüchtig nach Tapiau“ hinübergeschaut hatte.

Übrigens hat Max Liebermann nach dem Tode des Künstlers einmal in Berlin mit der Witwe des Künstlers eine Corinthgewidmete Ausstellung besucht. Liebermann, der – wie Walther Kiaulehn es ausdrückte, wie der „olle Schadow“ berlinerte, „aber nicht, weil er mußte, sondern weil er es konnte. Er schrieb ein glänzendes Hochdeutsch. Eine feine Mischung aus Demut und Selbstbewußtsein ließ ihn jedoch berlinern.“ Liebermann sprach also in der Ausstellung Frau Corinth in seiner typischen Art an: „Wissen Se, früher hab ick oft jedacht, mit dem Corinth, da könnt’ste dich am Ende noch vertragen. Aber det Weib! Aber wenn ick jetzt mit Ihnen so loofe, dann denk ick, am Ende hätt’ste dich ooch mit ihr vertragen.“

Corinth besaß bis an die Grenze seiner Tage eine verhaltene Ehrfurcht vor dem, was er als Heimat empfand. Er schlief, wie sein Sohn berichtete, „bis in seine Berliner Zeit hinein auf Bettzeug, das die Mutter in Tapiau gewoben hatte“. Und in der Küche stand die Kaffeemühle der Mutter. Lovis Corinth hat die stille Liebe zu Tapiau – auch wenn sie sich keineswegs in Bildern seiner Heimat niederschlug – tief in seinem Innern bewahrt. Unvergessen blieb bis heute die leise-ironische Deutung der Wesensart der Menschen, die seine Heimatstadt Tapiau belebten. „Ich sehe ein kleines ostpreußisches Städtchen. Kleine Leutchen gehen geschäftig ihrem Werkeltag nach. Sie glauben, daß der liebe Gott das ganze Weltall expreß für sie allein gemacht hat.“

Lit.: Selbstbiographie, 1926. – Große Deutsche aus Ostpreußen, München o. J. – Gert von der Osten: Lovis Corinth, München 1959. – Charlotte Berend-Corinth: Mein Leben mit Lovis Corinth, München 1960. – Ostpreußen, Porträt einer Heimat, München 1980. – Ostpreußen – wie es war, München o. J. – Ulrike Lorenz, Marie-Amelie Prinzessin zu Salm-Salm, Hans-Werner Schmidt (Hrsg.): Lovis Corinth und die Geburt der Moderne, Bielefeld/Leipzig 2008

Bild: Lovis Corinth; Selbstbildnis.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Lovis_Corinth

Hans-Ulrich Engel