Biographie

Curschmann, Fritz

Herkunft: Pommern
Beruf: historischer Geograph
* 17. März 1874 in Berlin
† 5. Februar 1946 in Greifswald

Als Dr. phil. Fritz Curschmann, Sohn des Internisten und Professors Dr. Heinrich Curschmann und dessen Ehefrau Margarethe geb. Lohde, sich 1905 mit der Arbeit Die Diözese Brandenburg, Untersuchungen zur historischen Geographie und Verfassungsgeschichte eines ostdeutschen Kolonialbistums an der Greifswalder Universität habilitierte (1909 Titularprofessor, 1918 Professor an der Universität Dorpat, 1918 a.o. Professor in Greifswald, 1926 Leiter der neu errichteten Historisch-Geographischen Abteilung, 1928 Ordinarius und zugleich Direktor des Historischen Seminars), lagen Jahre intensiven Studiums, das er als stud.jur. et oecom. begonnen hatte, hinter ihm. Zu seinen akademischen Lehrern gehörte in Leipzig Karl Lamprecht; bei ihm schrieb er seine Doktorarbeit. Durch diesen hervorragenden Gelehrten, der „die Kulturgeschichte … universitätsfähig gemacht hat“ (Roderich Schmidt) wurde er angeregt, viele wissenschaftliche Disziplinen heranzuziehen, wie die der Siedlungsforschung, der Vor- und Frühgeschichte, der Orts- und Flurnamenforschung, der Wirtschafts- und Rechtsgeschichte sowie der Genealogie.

Bereits im August 1908 hatte er denPlan zu einem geschichtlichen Atlas der östlichen Provinzen des preussischen Staates vorgelegt und begründet. Gestützt auf die Arbeitsweise des Grazer Geographen Eduard Richter stieß Curschmann –  von jüngeren Verhältnissen rückwärts schreitend – in die Vergangenheit hinein und machte so nicht Statik, sondern Entwicklungen sichtbar. Dazu gehörte eine sorgfältige Auswertung aller erreichbarer Quellen. Diese Arbeitsweise zieht sich durch sein ganzes vielseitiges Lebenswerk. Als dessen Hauptfelder sind zu nennen:

a) Aufbau und Durchgestaltung des Bereichs Historische Geographie an der Universität Greifswald;
b) Gestaltung der Historischen Atlanten für Brandenburg und für Pommern;
c) Auswertung und Umsetzung der Schwedischen Matrikelkarten für Vorpommern;
d) Aufbau internationaler Kontakte (1928 gewählt zum Vorsitzenden des Internationalen Ausschusses für Historische Geographie), Tagungen und Ausstellungen im Ausland (z.B. in Warschau);
e) Vorschläge und Gutachten zu speziellen, die Universität Greifswald betreffenden Fragen (auch rechtlicher Art);
f)  Zahlreiche Veröffentlichungen (Monographien und Aufsätze, Rezensionen, Kartenkataloge), Fachvorträge;
g) Von 1921 bis zum Tode Vorsitzender des „Rügisch-Pommerschen Geschichtsvereins“ zu Greifswald und damit Herausgeber der Pommerschen Jahrbücher, zweiter Vorsitzender der „Pommerschen Geographischen Gesellschaft“ in Greifswald, zudem Mitglied der „Historischen Kommission für Pommern in Stettin“.

Curschmanns Arbeitsweise und die seiner Mitarbeiter, die er in seinen Veröffentlichungen stets namentlich nennt, ist auch dadurch gekennzeichnet, daß er nicht nur neue, eigene Gedanken entwickelte, sondern sich auch sofort an deren kartographische Umsetzung machte und dabei mit sicherem Instinkt adäquateDarstellungsformen fand. Mit „einem Raum und einem Schrank“ hatte er in Greifswald begonnen und dann die bald gebildete „Abteilung Historische Geographie“ aus dem Stadium einer Hilfswissenschaft zu einem international anerkannten Institut mit einer ansehnlichen Bibliothek gemacht.

Schwedische Matrikelkarten der Landesvermessung Vorpommerns von 1692 bis 1708 brachte Curschmann mit seinen Mitarbeitern aus dem Maßstab 1:8.333,3 in Umzeichnung über 1:25.000 fotomechanisch auf 1:50.000, wobei die Signaturen umgesetzt und die schwedischen Beschreibungen und Annotationen übersetzt wurden. Erste Arbeiten erschienen zu seinen Lebzeiten, andere, von ihm noch zusammengestellt, durch den Verlag Hinstorff/Rostock 1948, der Kartenteil 1952. Ihm ist ein Erläuterungsblatt beigegeben, das Professor Dr. Adolf Hofmeister 1950 schrieb und in dem er auf Curschmanns Einleitung zur genannten Veröffentlichung hinweist.

Im Ersten Weltkrieg hatte sich Curschmann als Hauptmann der Artillerie bewährt. Im Verlauf der nationalsozialistischen Zeit geriet er wegen einiger despektierlicher Äußerungen unter die Beobachtung der Gestapo, verlor die Prüfungs- und Lehrbefugnis und wurde 1940 sogar emeritiert, forschte aber weiter. Am 27. April 1945 kamen er und seine Frau Irmgard bei einem sowjetischen Luftangriff auf Greifswald gerade noch mit dem Leben davon. Infolge eines Sturzes, der nicht rechtzeitig behandelt werden konnte, da die Russen die Ärzte abgezogen hatten, verstarb Fritz Curschmann ein knappes Jahr später. Seiner Frau gelang es mit Mühe, eine Art Sarg zimmern zu lassen, den sie selbst mit dem Handwagen zur Klinik brachte. Mehrere namhafte Wissenschaftler und Freunde gedachten am Grabe, bei Feierlichkeiten und in Nachrufen des Verstorbenen und seiner Leistungen – auch im internationalen Raum – für die Historische Geographie.

Als Nachfolger war 1941 aus Königsberg Friedrich Mager, geboren 1885 im schlesischen Lauban und gestorben 1974 in Greifswald, berufen worden. Er betonte die Kulturlandschaftsforschung mit geographischer Komponente. Beider Werk wurde an der Universität Greifswald weitergeführt, bis dort (wie in der ganzen DDR) das Fachgebiet Historische Geographie 1968 aufgehoben wurde, wenn auch von einzelnen Wissenschaftlern wie beispielsweise Werner von Schulmann, Eginhard Wegner und Heiko Wartenberg persönlich weiterhin vertreten. Im Westen hatte sich 1951 die Historische Kommission für Pommern unter Adolf  Diestelkamp neu konstituiert. Sie stand ab 1955 unter Franz Engel, der selbst Historischer Geograph.war. Als erstes wurde 1959 CurschmannsHistorischer Atlas für Pommern fortgesetzt, mit der von ihm ediertenBesitzstandskarte von 1780 als Neuauflage, „in Farbgebung und technischer Darstellung überarbeitet, im sachlichen Gehalt unverändert“, wie von Schulmann im Erläuterungsheft von 1959 vermerkt. Seit 1967 führt Prof. Dr.Dr.h.c. Roderich Schmidt leitend die vielfältigen Arbeiten der Historischen Kommission weiter. Das Fachgebiet der Historischen Geographie als solches wird in der Bundesrepublik Deutschland  – auch für den internationalen Raum –  durch das Historisch-Geographische Seminar der Universität Bonn, Prof. Dr. Klaus Fehn, wahrgenommen und ist auch Lehrfach an der Universität Bamberg (Prof. Dr. Wilfried Krings).

Werke: Hungersnöte im Mittelalter, ein Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte, 1900. –  Die Diözese Brandenburg. Untersuchungen zur historischen Geographie und Verfassungsgeschichte eines ostdeutschen Kolonialbistums, 1906, und: Die Stiftungsurkunde des Bistums Havelberg (Neues Archiv für ältere deutsche Geschichte XXVIII) 1902, als Vorarbeiten zum Brandenburger Atlas. –  Die deutschen Ortsnamen im nordostdeutschen Kolonisationsgebiet, 1909 (Forschungen z. Brdbg. u. Preuß. Geschichte). – Plan zu einem geschichtlichen Atlas d. östl. Provinzen d. preuß. Staates (Hist. Vierteljahrsschrift), 1909. –  Die Landeseinteilung Pommerns im Mittelalter u.d. Verwaltungseinteilung der Neuzeit, 1911 (auch i.d. Pomm. Jahrbüchern). Eine Denkschrift Brenckenhoffs, herausgegeben u. erläutert (Festschrift für Rudolf Kötzschke, S. 267-294), 1927. –  Die alten u.d. neuen brandenbg. Kreise, Stand 1815 = Brandenburgische Kreiskarte, mit Berthold Schulze, 1933. –  Die alten und die neuen pommerschen Kreise, Stand 1817/18 = Pommersche Kreiskarte, mit Ernst Rubow, 1935. –  Pommersche Besitzstandskarte von 1780, mit Ernst Rubow u. Gertrud Steckhan, Erläuterungsheft von ihr, Stettin 1939. – Die schwedischen Matrikelkarten von Vorpommern u. ihre Bedeutung f.d. Siedlungs-, Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte des Landes, 1938. – Die schwedischen Matrikelkarten von Vorpommern und ihre wissenschaftliche Auswertung (Imago Mundi 1/35). –  Catalogus Mapparum geographicarum adjuvantibus viris congressi ordinando in polytechnico Varsoviens exponuntur 21.-28. Augusti, Varsoviae MDCCCCXXXIII, dazu: Die Kartenausstellung auf dem Internationalen Historikerkongress zu Warschau 1933 (Mitteilungen d. Reichsamtes f. Landesaufnahme, Nr. 3).

Nachlaß: Universitätsbibliothek –  Handschriftenabteilung – Greifswald in zahlreichen Kästen . –  Curschmanns „Kleine Schriften“, Bd. 1 (1900-1914), Bd. 2 (1915-1942), insgesamt 144 Einzelstücke (Familienbesitz Dr.jur. Curschmann/Hamburg).

Lit.: Werner von Schulmann: Fritz Curschmann (1874-1946) und die historisch-geographische Forschung a. d. Universität Greifswald (Balt. Studien NF 60/1974, S. 127-133). – H.F. Curschmann/Hamburg: Erinnerungen an Fritz Curschmann. Manuskript, mschschr., unveröffentlicht.  –  Werner von Schulmann: Fritz Curschmann zum Gedächtnis (Zschr. f. Ostforschung 1953, Heft 2), S. 275-278. –  Ivar Seth: Matrikelkarten v. Vorpommern…, bearb. v. Fritz Curschmann (Historisk Tidskrift, S. 228-233), Stockholm 1955, als Sonderdruck übersetzt von M. Rubow-Kalähne. –  Hannelore Sattler: Gerhard Heß: Pommern in alten Karten aus fünf Jahrhunderten (20 Faksimile-Karten, mit Erläuterungen, dabei auch d. Schwed. Matrikelblatt Barth), o.O. o.J. (Greifswald um 1912).

Außerdem: Die Matrikelkarten des heutigen Meßtischblattbereiches „Greifswald“ umgezeichnet und wissenschaftlich bearbeitet von Ernst Rubow † . Mdl.d.DDR 7076/57,K 3/57 (Veröffentlichungen d. dtsch. Instituts f. Länderkunde NF Bd. 17/18).  –  Die Matrikelkarten des heutigen Meßtischblattbereiches „Wolgast“ umgezeichnet und wissenschaftlich bearbeitet von Ernst Rubow † und Marianne Rubow-Kalähne. Mdl.d.DDR 7067/62, K 3/57 (Veröffentlichungen des Staatsarchivs Greifswald. Bd. 1, 1:25.000 = Die schwedische Landesvermessung von Vorpommern, Teil 7). –  Marianne Rubow-Kalähne: Matrikelkarten von Vorpommern 1692-1698 nach der schwedischen Landesaufnahme, Erläuterung (unter Bezugnahme auch auf Fritz Curschmann) zu den beigefügten vier Kartenblättern Neuenkirchen, Greifswald, Wusterhusen und Hanshagen, umgezeichnet u. wissenschaftl. bearbeitet von Ernst Rubow † , (Wissenschaftl. Veröffentlichungen d. dtsch. Instituts f. Länderkunde NF 17/18, 1960).  – Roderich Schmidt: Der Historische Atlas der Historischen Kommission für Pommern, begründet von Fritz Curschmann, und der Historische Atlas von Mecklenburg, begründet von Franz Engel – Bericht des Herausgebers (Pommern. Heft 3/1993), S. 11-18, mit Kartenbeispielen). –  Stiftung Pommern/Kiel und Vorpommersches Landesarchiv Greifswald: Die schwedische Landesvermessung von Vorpommern und Stettin 1692-1709, Katalog von Heiko Wartenberg. Ausstellung i.d. Stiftung Pommern im Rantzau-Bau d. Kieler Schlosses v. 16. Febr. –  4. April 1994 (mit Würdigung auch der Curschmannschen und der Nachfolgearbeiten). –  Die schwedische Landesaufnahme von Vorpommern 1692-1709, Karten und Texte, hrsg. von d. Historischen Kommission f. Pommern in Verbindung m.d. Vorpommerschen Landesarchiv Greifswald. Städte, Band 1, Wolgast 1992. – Dass.: Ortsbeschreibungen, Bd. 1: Insel Usedom. 1995. – In Vorbereitung: Benno von Knobelsdorff-Brenkenhoff: Fritz Curschmann und die Historische Geographie (als Monographie).

Bild: Fritz Curschmann (Archiv Dr.jur. H.F. Curschmann/Hamburg).

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Curschmann_%28Geograph%29

Benno von Knobelsdorff-Brenkenhoff