Biographie

Czerski, Johannes

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Mitbegründer des Deutschkatholizismus
* 12. Mai 1813 in Warlubben/Westpr.
† 22. Dezember 1893 in Schneidemühl

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erregte ein Konflikt des westpreußischen Theologen Johannes Czerski mit der katholischen Kirche öffentliches Aufsehen. Der aus kleinbäuerlichen Verhältnissen in Pommerellen stammende Czerski hatte zunächst die polnische Volksschule seines Heimatorts nahe Neuenburg und später Gymnasien in Bromberg, Konitz und Posen besucht. Unentschlossen zwischen Lehrer- und Priesterberuf, trat er schließlich 1838 in das Posener Priesterseminar ein. Obwohl er bereits während des Theologiestudiums zahlreiche Widersprüche zwischen der Heiligen Schrift und der kirchlichen Lehre entdeckte, absolvierte er auch den Pastoralkurs in Gnesen und empfing am 26. März 1842 von Erzbischof Dunin die Priesterweihe. Zunächst wurde Czerski als Vikar an der Kathedrale von Posen angestellt, jedoch am 19. September 1843 wegen seiner liberal-theologischen Predigten und seines nichtzölibatären Lebens in das außerhalb Posens gelegene Dorf Wiry straf versetzt. Im März 1844 kam er als Vikar nach Schneidemühl. Da er nach wie vor an seiner Verbindung mit der Polin Maria Gutowska festhielt, suspendierte ihn der Posener Kapitularvikar Gajerowski am 17. Mai 1844 „ab officio et beneficio“. Ein Vierteljahr später erklärte Czerski seinen Kirchenaustritt (22. August 1844).

Allerdings fand seine massive Kirchenkritik breite Zustimmung bei den Schneidemühler Katholiken, von denen viele unter der restriktiven Mischehenregelung des kanonischen Rechts litten. Mit diesen Sympathisanten gründete Czerski am 19. Oktober 1844 die Christlich-apostolisch-katholische Gemeinde, die in einer Eingabe an die Regierung von Bromberg vom 27. Oktober desselben Jahres um die Anerkennung als Religionsgesellschaft gemäß den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts ersuchte. Im Anhang dazu legte sie ihr „Offenes Glaubensbekenntniss … in ihren Unterscheidungslehren von der römisch-katholischen Kirche“ dar: Verwerfung der Heiligenverehrung; Ablehnung der Fastengebote, des Priesterzölibats und des Mischehenverbots; Nichtanerkennung des päpstlichen Primats und der priesterlichen Vollmacht zur Sündenvergebung; Einführung der Liturgie in der Landessprache sowie des Abendmahls unter beiden Gestalten; Beibehaltung der Messe, der Transsubstantiationslehre, der sieben Sakramente, des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses und der Fürbitte für die Verstorbenen; die rationalistisch auszulegende Bibel als einzige und oberste Glaubensnorm. Trotz des stark reformatorischen Gedankenguts erklärten Czerskis Gefolgsleute, „katholische Christen, das heißt nicht römische, sondern apostolisch-katholische Christen sein und bleiben zu wollen“.

Die neue Lehre breitete sich in den Provinzen Preußen und Posen rasch aus, wo sie vor allem unter den deutschen Kleinbürgern, nicht nur Katholiken, sondern auch Protestanten und Juden, Anhänger fand. Am 17. Februar 1845 erfolgte die Exkommunikation und Degradierung Czerskis und somit der endgültige Bruch zwischen ihm und der Amtskirche. Vier Tage später heiratete er Maria Gutowska. Die Trauung vollzog der evangelische Pfarrer Grützmacher in Schneidemühl.

Etwa zeitgleich entstand in Schlesien unter Führung des ebenfalls amtsenthobenen Priesters Johannes Ronge eine ähnliche Protestbewegung, ausgelöst durch Ronges offenen Brief an den Trierer Bischof Arnoldi vom 16. Oktober 1844, worin er gegen die Ausstellung des Heiligen Rocks polemisierte. Vertreter beider Gruppierungen trafen sich vom 23. bis 26. März 1845 in Leipzig zu ihrem ersten „Konzil“, wo sie sich zur Deutschkatholischen Kirche vereinigten. In der Folgezeit wurde der gemäßigte Czerski allerdings durch den radikaleren und agitatorisch erfolgreicheren Ronge zunehmend an den Rand gedrängt. Der DeutschkatholizismusRonges, der sich vorwiegend in Schlesien und Sachsen ausbreitete, entfernte sich theologisch erheblich vom christlichen Glauben, z. B. durch die Leugnung der Gottheit Christi, Verbreitung eines rationalistischen Glaubensbekenntnisses und einer Art Selbsterlösungslehre. Damit verbunden waren nationalkirchliche Bestrebungen und ein radikaldemokratisch-liberales politisches Engagement. Zu den prominenten Anhängern der deutschkatholischen Bewegung gehörte auch Robert Blum. Während in Bayern und Österreich die Sekte verboten wurde, verhielt sich die preußische Regierung trotz mehrerer Interventionen der erzbischöflichen Kurie von Gnesen-Posen abwartend, da sie sich nach dem gerade überstandenen Kölner Kirchenstreit von den Deutschkatholiken eine Schwächung des ultramontanen Katholizismus erhoffte. Am 30. März 1845 wurden Czerski und Ronge sogar von Kultusminister Eichhorn empfangen. Ihren Höhepunkt erlebte die deutschkatholische Bewegung 1847/48. Im Zuge der Revolution erlangte sie in Preußen ihre rechtliche Anerkennung. Allerdings begannen die preußischen Behörden schon 1851, die „Dissidenten“ wegen ihrer politischen Radikalisierung zu unterdrücken. Zahlreiche religiös motivierte Anhänger wandten sich wieder den Großkirchen zu. Auf einem Kongreß am 16. und 17. Juni 1859 vereinigten sich die Deutschkatholiken mit den aufgeklärt-protestantischen Lichtfreunden in Gotha zum Bund freier religiöser Gemeinden. Zu ihnen zählten auch die drei verbliebenen Gemeinden der Anhänger Czerskis in Schneidemühl, Kolmar und Thorn. Czerski selbst wirkte bis zu seinem Tod als Wanderprediger im Dienst der Freireligiösen, wobei auch er sich theologisch immer mehr vom katholischen Glauben entfernte.

Die spätaufklärerische Protestbewegung Czerskis und Ronges blieb eine historische Episode. Entstanden vor dem aktuellen Hintergrund des Mischehenstreits und der Restauration im Vormärz, konnte sich der Deutschkatholizismus, nicht zuletzt wegen seiner Radikalisierung, kaum zu einer Massenbewegung entwickeln und wurde bald nach 1850 von der politisch-kirchlichen Realität überholt.

Werke: Rechtfertigung meines Abfalles von der römischen Hofkirche. Ein offenes Sendschreiben an Alle, die da hören, sehen und prüfen wollen und können, Bromberg 1-21845. – Offenes Glaubensbekenntniss der christlich-apostolisch-katholischen Gemeinde zu Schneidemühl in ihren Unterscheidungslehren von der römisch-katholischen Kirche, d.h. Hierarchie. Beigefügt ist die Eingabe der Gemeinde an die Königliche Preußische Regierung zu Bromberg, Bromberg/Stuttgart 1844; Danzig 1845. – Katechismus der Lehren des apostolisch-katholischen Glaubens. Hrsg. v. A. S. Zsatkowicz unter Mitwirkung und Genehmigung v. J. Czerski, Thorn 1845. – Bekenntnis der christkatholischen Kirche in XX Artikeln, verfasst und angenommen auf der Synode zu Schneidemühl am 22., 23. und 24. Juli 1846, Posen 1846. – Mein Leben, mein Kämpfen und Wirken, Schneidemühl 1887. – Gesamtbibliogr.: A. Nadolny (s.u.) II, S. 251-253.

Lit.: Johannes Czerski, der Stifter der christlich-apostolisch-katholischen Kirche zu Schneidemühl, dargestellt in Wort und Bild, Leipzig 1845. – Johannes Czerski, Leben und Wirken. Mit Beilagen. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenwart, Jena 1-21845. – P. Becken Johannes Czerski, der Begründer der christkatholischen Gemeinde in Schneidemühl, in: Grenzmärkische Heimatblätter 4 (1928) S. 67 – 78. – M. Laubert: Die Anfänge der Wirksamkeit Czerskis in der Provinz Posen, in: ebd. 8 (1932) S. 7-49. – F. W. Graf: Die Politisierung des religiösen Bewußtseins. Die bürgerlichen Religionsparteien im deutschen Vormärz: das Beispiel des Deutschkatholizismus, Stuttgart 1978. – A. Nadolny: „Deutschkatholizismus“ Ks. Jana Czerskiego w Zaborze Pruskim 1844-1859, in: Studia Pelplińskie 8 (1978) S. 149-182; 9 (1979), S. 213-253. – Wetzer und Weite’s Kirchenlexikon III (21884) Sp, 1603-1615. – Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche IV (31898) S. 583 – 589. – NDBIII (1957) S. 461 f. – Lexikon für Theologie und Kirche III (21959) Sp. 279. – Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon I (1975), Sp. 1188-1190. – Theologische Realenzyklopädie VIII (1981) S. 559-566.

Bild: Johannes Czerski, der Stifter der christlich-apostolisch-katholischen Kirche zu Schneidemühl, dargestellt in Wort und Bild, Leipzig 1845.

Barbara Wolf-Dahm