Biographie

Delbrück, Berthold

Herkunft: Pommern
Beruf: vergleichender Sprachwissenschaftler
* 26. Juli 1842 in Putbus/Rügen
† 3. Januar 1922 in Jena

Berthold Delbrück gehörte einer Generation von Sprachwissen­schaftlern an, die das Erscheinungsbild der Wissenschaft, wie wir es heute kennen, maßgeblich mitgeprägt hat; auch wenn die Sprachwissenschaft ihrer ganzen Ausrichtung nach seither andere Wege einschlug und vor allem die einseitige Betonung der Diachro­nie (mit anderen Worten des Sprachhistorischen) überwand, so zählt doch das, was Delbrück in der Indogermanistik geschaffen hat, zum bleibenden Bestand dieser Disziplin. Seine Werke zur Syntax des Altindischen, des Germanischen und zur vergleichen­den indogermanischen Syntax dürfen heute noch als Standardwer­ke gelten.

Berthold Gustav Gottlieb Delbrück entstammt väterlicherseits ei­nem weitverzweigten, zuerst gegen Ende des 17. Jahrhunderts be­zeugten Geschlecht, das zahlreiche Juristen, Politiker und Gelehrte hervorgebracht hat, z.B. den Historiker Hans Delbrück (1848- 1929), den Politiker Clemens von Delbrück (1856-1921) oder den Biologen Max Delbrück (1906-1981). Berthold Delbrück wurde am 26.7.1842 in Putbus auf der Insel Rügen als Sohn des Juristen Delbrück (1811-1854) und seiner Frau Wilhelmine (1815-1872), geborener Böhmer, geboren. Der Vater wurde später Kreis­leiter in Stralsund, wo Berthold seinen ersten Schulunterricht erhielt. Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Mutter mit ihrem Sohn zu Verwandten nach Halle/Saale. Dort besuchte Delbrück  das Pädagogium der Franckeschen Stiftungen. Erst siebzehnjährig, begann er 1859 das Studium der klassischen Philologie, Germanistik und vergleichenden Sprachwissenschaft an der Friedrichs-Universität in Halle, welches er 1861 in Berlin fortsetzte. In der Wahl seiner Fächer brach er mit einer Familientradition; denn seine Vorfahren väterlicherseits waren über drei Generationen nur Juristen gewesen. Seine Lehrer in der Sprachwissenschaft waren August Friedrich Pott in Halle und der Begründer der Indogermanistik, Franz Bopp in Berlin. Um sein Examen abzulegen, ging Delbrück 1862 nach Halle zurück. Seinen linguistischen Interessen entsprechend wählte er sich ein Dissertationsthema aus der griechi­schen Grammatik (De infinitivo graeco), das er auch für sein ne­benherlaufendes Staatsexamen verwenden konnte. Doch der Refe­rent, der Hallenser Philologe Theodor Bergk, hatte keinerlei Sinn für die sprachwissenschaftliche Ausrichtung und beurteilte die Ar­beit ungünstig. Darüber hinaus hatte Delbrücks Arbeit das Un­glück, einem mißlaunigen Rezensenten in die Hände zu fallen, der sie verriß.

Dieser Mißerfolg auf dem Felde der Wissenschaft führte zunächst dazu, daß sich Delbrück nach bestandenem Staatsexamen um eine Stelle als Lehrer bemühte. 1863 wurde er Hauslehrer bei einem Landadligen in Lunia bei Dorpat in Livland. Schon im folgenden Jahr wurde er als Gymnasiallehrer in Marienwerder angestellt. Während seiner Hauslehrertätigkeit hatte er in Dorpat Constanze von Kämtz (1845-1934), die Tochter des dortigen Physikprofes­sors Ludwig Friedrich von Kämtz, kennengelernt und sich mit ihr verlobt. Er heiratete sie im Herbst 1865. Dieser Ehe entsprossen drei Kinder (unter ihnen Richard Delbrück, 1874-1957, Professor der Archäologie in Bonn).

Bald schon empfand Delbrück Ungenügen an der bloßen Schulleh­rertätigkeit, und er entschloß sich, eine wissenschaftliche Karriere anzustreben. Dabei kam ihm eine Einladung seines Schwiegerva­ters entgegen, sich in Sankt Petersburg, wo von Kämtz seit 1865 Professor war, in Ruhe auf seine Habilitation vorzubereiten. Delbrück nutzte seine Muße vor allem für das Studium des Altindi­schen, dem im Kreise der indogermanischen Sprachen durch seine Altertümlichkeit stets besondere Bedeutung zukam und zukommt. Einen geeigneteren Ort als St. Petersburg hätte er nicht wählen können; denn dort wirkte der große Sanskritist Otto Böhtlingk (1815-1904), der eine der ersten Autoritäten auf dem Gebiete war. Delbrück trat in nähere Beziehung zu ihm und gewann eine Freundschaft, die ein Leben lang währte. 1867 konnte er als Frucht seiner Forschungen die Habilitationsschrift De usu dativi in carminibus Rigvedae (über den Gebrauch des Dativs im Rigveda [dem ältesten indischen Text]) in Halle vorlegen, mit der er sich dortselbst die venia docendi erwarb. Drei Jahre später, 1870, folgte er einem Ruf an die Universität Jena, wo er zuerst als ao. Prof. und seit 1873 als o. Professor des Sanskrits und der vergleichenden Sprachforschung bis an sein Lebensende wirkte.

Konsequent ging Delbrück den nun eingeschlagenen Weg seiner Forschungen auf dem bis dahin stark vernachlässigten Gebiet der indogermanischen Syntax weiter. Damit erweiterte er den Ge­sichtskreis der noch jungen Indogermanistik, in deren Zentrum nicht die Satzlehre, sondern die Probleme der Formen- und Laut­lehre standen. Zu diesem Zwecke mußte er sich erst mit zahlrei­chen Einzeluntersuchungen eine Grundlage schaffen, die in der er­sten Phase seines Wirkens vor allem dem Altindischen galten. 1886 konnte er in der Altindischen Syntax schließlich eine erste Synthese seiner Forschungen vorlegen. Sein größtes Werk allerdings bleibt die vergleichende indogermanische Syntax, die er zwischen 1893 und 1900 als drei dickleibige Teilbände zu Karl Brugmanns Grund­riß der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Spra­chen beisteuerte. In seinen letzten Jahren konzentrierte er sich auf die germanischen Sprachen.

Delbrück zählt nicht zu den großen Theoretikern der Sprachwis­senschaft, aber er hat es verstanden, die Prinzipien und die Ge­schichte dieser Disziplin in eine faßliche Form zu bringen; für die Beliebtheit seiner Einleitung in das Studium der indogermanischen Sprachen spricht, daß sie zwischen 1880 und 1919 sechs Auflagen erlebt hat und ins Englische, Italienische und Russische übersetzt wurde. In den Streitfragen der Zeit nahm er die Position der soge­nannten Junggrammatiker um Karl Brugmann ein, die seinerzeit die Diskussion beherrschten. Währenddessen war  Delbrück  alles  andere als  der typische Schreibstubengelehrte, der sich von Welt und Leben zurückzieht, nach der Reichsgründung schloß er sich der Nationalliberalen Partei an, die 1867 wegen des Indernnitätsgesetzes aus dem Bis­marck unterstützenden Flügel der Fortschrittspartei hervorgegangen war. In Thüringen spielte Delbrück auf lokaler Ebene eine große Rolle in der Parteiorganisation, für die er auch als Wahlkampfredner auftrat. Nach E. Hermann war er „lange Jahre hindurch der geistige Führer der Nationalliberalen in Jena“. Zur Reichstagswahk 1887 ließ er sich sogar als Kandidat aufstellen. Es war aber „für die Sprachwissenschaft ein großer Gewinn“ (E. Hermann), daß Delbrück bei der Stichwahl seinem Gegenkandidaten (allerdings nur um 49 Stimmen) unterlag

Es war Delbrück vergönnt, bis in seine letzten Jahre hinein wissenschaftlich tätig sein zu können. Eine Behinderung durch ein Augenleiden, das ihm zu schaffen machte, konnte er durch die tätige Mithilfe einer seiner beiden Töchter kompensieren, die ihm beim Lesen und Schreiben zur Seite stand. Berthold Delbrück starb, national und international hochgeehrt, am 3. Januar 1922 in Jena.

Lit.: Bibliographie seiner Schriften von E. Kühn und W. Streitberg, in: Indogerm. Forsch. 31 (1912/13), 507-513 (siehe auch Ed. Hermann). – Eduard Hermann: Berthold Delbrück, ein Gelehrtenleben aus Deutschlands großer Zeit. Jena 1923 (mit Bibliogr.; Ergänzungen in: Indogerm. Forsch. 46 [1928], 251 f.). – Ders., in: Indogerm. Jahrbuch, Bd. 8 (Jg. 1920/21), 259-266. – Ders., in: Deutsches biographi­sches Jahrbuch, Bd. 4. Berlin und Leipzig 1929, 25-29. – W. Rau: Bilder 135 deut­scher Indologen. 2. Aufl. Wiesbaden 1982. – Leopold von Schröder: Lebenserinne­rungen. Leipzig 1921 (bes. S. 77-79, 85, 90). – E. Windisch: Geschichte der Sans­krit-Philologie … Teil 2. Berlin und Leipzig 1920, 414-421. – Walther Wüst, in: NDB, Bd. 3, 574-575. – Martin Meier: Berthold Delbrück. Vater der vergleichend-historischen Syntax. in: Rugia. Rügen-Jahrbuch. 2003, S. 32-37.

Bild: https://www.denstoredanske.dk/Sprog,_religion_og_filosofi/Sprog/Sprogforskeres_biografier/Berthold_Delbr%C3%BCck

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Berthold_Delbr%C3%BCck

Peter Wyzlic