Biographie

Depkin, Liborius

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Dichter
* 20. August 1652 in Sissegal/Livland
† 2. Dezember 1708 in Riga

Weil seine Eltern, Pastor Hieronymus Depkin zu Sissegal und dessen Frau Katharina von Damm, ein Opfer der ganz Livland verheerenden Pest des Jahres 1657 wurden, fand der junge Liborius Depkin zunächst Aufnahme in der Waisenhausschule und besuchte dann die Rigaer Domschule. Von hier begab er sich 1672 erst nach Greifswald, wo sein Name unter dem 17. Januar in der Universitätsmatrikel erscheint. Doch schon bald darauf, am 18. August des Jahres, schrieb Depkin sich an der Universität Rostock ein, wo er dann offensichtlich den größten Teil seines Studiums verbrachte und bereits 1673 die erste philosophische Disputation de Mundo öffentlich absolvierte. Daneben besuchte er die Helmstedter Universität und das Collegium Carolinum in Braunschweig, das ihn am 29. Juni 1673 aufnahm. Weitere akademische Schriften wurden jedoch in Rostock 1674 und 1675 publiziert. Hier trug er ebenfalls im theologischen Auditorium seine deutsche gereimte Rede über Das In Adam verlohrne/ und in Christo wieder=gebohrne/ Gottes=Ebenbild/ vor, die 1676 im Rostocker Druck erschien. Unter dem Jahr 1676 ist Depkin dann allerdings in der Leipziger Universitätsmatrikel zu finden. An diesem Ort veröffentlichte er im selben Jahr sein Gebundenes Hirtengespräch, ein geistliches Hirtengedicht. Eine weitere Schäferdichtung – eine literarische Gattung, die Depkin zu dieser Zeit besonders pflegte – legte er 1678 wieder in Rostock vor, den Wißmarische[n] Friedens-Wechsel, in dem die Rückgabe der seit 1675 von Dänemark eingenommenen Stadt Wismar an die Schweden bukolisch gefeiert wird. Im darauffolgenden Jahr trat Depkin die Heimreise an – übrigens ohne den Magistertitel erworben zu haben, was ihn von seinem gleichnamigen Vetter unterscheidet, der zur gleichen Zeit in Riga lebte. Die Reise führte über Lübeck, wo sein Landsmann und Kommilitone Johannes Welscher an einem Fieber erkrankte und am 6. Juni 1679 starb, wie einem Trauergedicht Depkins zu entnehmen ist.

In seiner Heimatstadt Riga erhielt Liborius Depkin 1680 den Ruf auf die Stelle des Domschul-Rektors, doch scheint er diese nicht angetreten zu haben. Um die gleiche Zeit warb der Rat der Stadt Wismar um ihn. Man hatte seine Predigten gehört und war fest entschlossen, den Theologiestudenten zu engagieren; der Stadt Riga bot man sogar an, die gezahlten Stipendiengelder zu erstatten. Doch die Stadtväter ließen ihn nicht ziehen. Eine wohl kurzfristig angenommene Anstellung als Feldprediger beim Regiment Knorring konnte Depkin dann im Februar 1681 mit dem Ruf in das Pastorat Lemsal aufgeben. Eine vorteilhafte Verbindung ging er am 28. November durch die Hoch­zeit mit Anna Stübner, Tochter des Pastors und Propstes des Rigischen Kreises sowie Konsistorialassessors Bartholomäus Stübner, ein. Aus der Ehe gingen die Söhne Bartholomäus und Georg sowie die Tochter Gertrud Elisabeth hervor.

Am 22. März 1690 folgte der Ruf an die St. Johannis-Kirche in Riga, die der lettischen Gemeinde eingeräumt war. 1701 wurde Depkin zudem als Assessor in das Stadtkonsistorium berufen. Er starb als Senior des geistlichen Ministeriums am 2. Dezember 1708 und wurde elf Tage darauf in Riga bestattet.

In den zahlreichen erhaltenen Trauergedichten von Mitbrüdern, Kollegen und Freunden wird – neben der üblichen Klage über den Verlust des geistlichen Seelenhirten und Hirten der Gemeinde, also des Pastors, – vor allem des Poeten gedacht, der in der Stadt offensichtlich als „sonderbahrer Sonnetten-Freund“ großes Ansehen genoss. Ein„Gewogener Gönner“ betrauerte den Verstorbenen in einem Sonett und vermisste „Die Hand/ die hier bei uns den besten Vers geschrieben/ Ein künstliches Sonnet gleich setzte nach belieben/“. Depkin galt als Meister der Verse; in der städtischen Gelegenheitsdichtung war er mit unzähligen deutschen Carmina vertreten, vor allem seit dem Amtsantritt an St. Johannis. Dabei ist die weit überwiegende Anzahl der Gedichte als Sonett gestaltet. Seinen Ruhm hinsichtlich dieser literarischen Kleinform begründeten jedoch wohl die Gott-geheiligten Evangelien-Andachten über das gantze Kirchen-Jahr (Riga 1681), die Depkin in hundert Sonetten „zur Ehre Gottes und Erbauung des Neben-Christen abgefasset“ hatte.

Erstaunlich an den Trauergedichten ist das Fehlen der anderen Seite von Depkins reicher Tätigkeit, der Beschäftigung mit der lettischen Sprache. Lediglich in den lateinischen Parentalia des Professors Adam Gottfried Hörnick wird diese erwähnt und ausdrücklich gewürdigt. Überraschend ist auch der Befund, dass zwar ein sechssprachiger Beitrag des gekrönten Poeten Erik Notmann zum Tod Depkins hebräisch, griechisch, oskisch, lateinisch, schwedisch und deutsch erschien, jedoch kein lettisches Trauergedicht nachweisbar ist. Dabei hatte der Verstorbene nicht nur als Pastor an der lettischen Landgemeinde in Lemsal und der lettischen Stadtgemeinde an St. Johannis diese Sprache gepflegt, sondern auch tatkräftig an der Revision der ersten lettischen Bibelausgabe mitgewirkt. Ebenso war er an der dritten Ausgabe derLettischen Postill des Georg Mancelius (Riga 1699) beteiligt und hatte für das livländische lettische Gesangbuch, das unter seiner Bearbeitung in mehreren Auflagen erschien, lettische Lieder beigesteuert, die mit seinen Initialen gekennzeichnet sind. Von einer intensiven Beschäftigung mit der Sprache kündet Depkins 1704 erschienenerVortrab zu einem längst gewünschten Lettischen Wörter-Buche, mit dem er Werbung für sein Wörterbuch betrieb. Dieses konnte jedoch nicht mehr zu Lebzeiten veröffentlicht werden; im handschriftlichen Nachlass fand sich der fertiggestellte deutsch-lettische Teil in einem Band, während der lettisch-deutsche in zwei Bänden noch unvollendet war. Publiziert war allerdings Depkins viersprachigesWörterbüchlein, wie etzliche gebräuchliche Sachen auf Teutsch, Schwedisch, Polnisch und Lettisch zu benennen seynd (Riga 1705), eine Bearbeitung des lange Zeit Georg Dressel zugeschriebenen viersprachigenVocabulariums(Riga 1688). Depkin hatte das Werk nicht nur überarbeitet, sondern gegenüber der Vorlage auch das Lateinische gegen das Schwedische ausgetauscht. So ist es wenig überraschend, dass Liborius Depkin in der lettischen Sprachgeschichte und der Entwicklung der lettischen Kirchenliteratur einen festen Platz einnehmen konnte. Seine literarische Bedeutung für die deutsche Dichtung in Stadt und Region hingegen wurde bis heute fast gänzlich vernachlässigt, ein vollständiges Verzeichnis der Gedichte und sonstigen Schriften fehlt genauso wie eine Sammlung derselben, von einer entsprechenden Würdigung ganz zu schweigen.

Werke:Theses philosophicae de Mundo, Rostock 1673. – Disp. metaphys. de cognoscibilitate, Rostock 1674. – Semicenturia prior [-pos­terior] thesium miscellanearum philosophicarum, Rostock 1675. – Das in Adam verlohrne und in Christo wiedergebohrne Gottes-Ebenbild, der hochheiligen Christ-Geburt zu Ehren in Teutsch-gebundener Rede entworffen, Rostock 1676. – Pflichtschuldigster Ehren-Zuruff, Als der Wohl-Ehrwürdige Herr Heinricus Hornemann zum Pastor Adjunctus der Gemeine zu Wittenberg eingeführt ward, Parchim 1676. – Gebundenes Hirtengespräch, dem blutrünstigen Jesuleiden zu Ehren abgefasset, Leipzig 1676. – Wißmarischer Friedens-Wechsel, in einem Schäfer-Gedicht beglückwünschet, Rostock 1678. – Gott-geheiligte Evangelien-Andachten über das gantze Kirchen-Jahr, in hundert Sonnetten bestehende, zur Ehre Gottes und Erbauung des Neben-Christen abgefasset, Riga 1681. – Sawadi Karra-Teesas Likkumi, Riga 1696 [Übersetzung d. schwed. Kriegsartikel]. – G. Mancelius: Lettische Postille, 3. Ausg., Riga 1699 [Mitarbeit]. – Latweescha Deewu-Peeluhgschanu Grahmata, Riga 1703 u.ö. [lett. Gesangbuch, darin auch lett. Lieder]. – Des durch sein vielfältiges Verbrechen zum Tode verurtheilten Johann Stakkel’s … kurtz abgefasste Buß-Gedanken etc., Riga 1703 [auch in lett. Sprache]. – Vortrab zu einem längst gewünschten Lettischen Wörter-Buche, mehrenteils aller derer Wörter, so in der Lettischen Bibel und allen andern in der Lettischen Sprache ausgefertigten Büchern befindlich sind, und aus genauer Nachfrage der Lettischen Sprachkündigen haben angeschaffet werden, auch immerhin in derselbigen Sprache sowohl in Kurland, als auch in Liefland gebräuchlich seyn können; welches denn mit göttlicher Hülfe künftigen Johannis unter die Presse zu geben gesonnen, inzwischen aber auch durch diesen Vortrab geübterer und gelahrterer Leute Sinnen zur Communication ihres geneigten Beytrages aufmuntern und erbitten wollen, Riga 1704. – Wörterbüchlein, wie etzliche gebräuchliche Sachen auf Teutsch, Schwedisch, Polnisch und Lettisch zu benennen seynd, Riga 1705. – Deutsch-lettisches und lettisch-deutsches Wörterbuch [unvollendete Handschrift]; über einhundert Gelegenheitsgedichte.

Lit.: A.G. Hörnick: Parentalia, Riga (1708). – F.K. Gadebusch. – Livländische Bibliothek, Riga 1777, Bd. I, S. 202-203. – Jöcher/Adelung II (1787) Sp. 663. – Recke/Napiersky, Schriftsteller- und Gelehrtenlexikon I (1827) S. 415-417. – Napiersky/Beise, Schriftsteller- und Gelehrtenlexikon, Nachträge und Fortsetzungen I (1859) S. 148. – C. E. Napiersky, Beiträge zur Geschichte der Kirchen und Prediger in Livland. Fortges. v. A. W. Keussler, Bd.I-IV, Riga u.a. 1843-1852, 1877, Bd. II, S. 49; Bd. IV, S. 188. – Chr. A. Berkholz, Die alte Pastorenfamilie Depkin, Riga 1881 (S.-A. aus Neue Zeitung für Stadt und Land). – Die evangelischen Prediger Livlands bis 1918, hrsg. von M. Ottow u. W. Lenz, Köln u.a. 1977, Nr. 341, S. 204-205. – M. Redlich, Lexikon deutschbaltischer Literatur, Köln 1989, S. 76-77. – Latviešu rakstniecība biogrāfijās. Red. V. Hausmanis, Rīga 1992. – Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums, hrsg. v. K. Garber, Bd. 12-15 [Riga], Hildesheim u.a. 2004.

Martin Klöker