Biographie

Diepenbrock, Melchior Freiherr von

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Fürstbischof von Breslau
* 6. Januar 1798 in Bocholt
† 20. Januar 1853 in Schloß Johannisberg, Jauernig, Mährisch-Schlesien

Melchior von Diepenbrock, der altem westfälischen Adel entstammte, schien anfangs mehr zum Soldaten als zum Geistlichen gemacht zu sein. Freilich zeichneten ihn von früh an ein starker Hang zum Mitleid und zur Mildtätigkeit aus. Andererseits machten ihm seine Ungebärdigkeit, ja Wildheit eine militärische Karriere unmöglich; um einer lebenslänglichen Festungshaft wegen Insubordination zu entgehen, schied er, nachdem er am Feldzug 1814 teilgenommen hatte, als Leutnant freiwillig aus dem preußischen Militärdienst aus. Die entscheidende Wendung im Leben des „trotzigen Westfalenjünglings“ (F. X. Seppelt) bewirkte ein Besuch des Theologen und Pädagogen Johann Michael Sailer, des Überwinders des Rationalismus im deutschen Katholizismus, in Westfalen im Jahre 1818, der auf eine Einladung der Brüder Brentano zurückging und der den Landshuter Professor auch in das Elternhaus Diepenbrocks führte.

Diepenbrock folgte Sailer nach Landshut in Bayern, seit 1800 Sitz der Landesuniversität, die 1826 nach München verlegt werden sollte, und studierte dort Kameralwissenschaften, ehe er sich dazu entschloß, Priester zu werden. Hierfür dürften das Vorbild Sailers und Einflüsse Clemens Brentanos den Ausschlag gegeben haben. Diepenbrock studierte in Mainz und Regensburg, wo Sailer in fortgeschrittenem Alter noch Domherr geworden war und später Bischof werden sollte. Sailer war es auch, der ihn am 27. Dezember 1823 zum Priester weihte.

Es folgten Jahre, in denen Diepenbrock als Hausgenosse und Sekretär Sailers wirkte, in echtem romantischen Geist seinen Glauben stärkte und dem Gedanken eines Ausgleichs zwischen Katholizismus und Protestantismus nachging. Damit verband sich eine Abneigung gegen das von Jesuiten geleitete Collegium Germanikum in Rom; seiner Ansicht nach waren die dort erzogenen Geistlichen „keine Deutschen mehr“, wie er König Ludwig I. von Bayern, einst Schüler Sailers, einmal sagte. Diepenbrock war auch literarisch tätig, dichtete selbst geistliche Lieder. Von seinen Publikationen ist vor allem der Geistliche Blumenstrauß aus spanischen und deutschen Dichtergärten (1829, 41862) zu nennen, mit dem er eigene Übersetzungen spanischer geistlicher Lyrik im Verein mit deutschen geistlichen Liedern darbot.

Einem persönlichen Hervortreten war Diepenbrock in jenen Regensburger Jahren der Versenkung gänzlich abgeneigt. Selbst eine Domherrnstelle hatte er mit Widerstreben angetreten; zur Annahme der Würde eines Domdechanten (1835) konnte er nur durch ein persönliches Eingreifen König Ludwigs bewogen werden. Sein geistlich-romantisches Stilleben und die dazugehörige Geselligkeit waren ihm teuer. Auch liebte er es, als Reiter und Jäger in der Natur zu sein. Dabei bedurften Ludwig I., dessen Mitarbeiter zu einem guten Teil Kommilitonen Diepenbrocks in Landshut gewesen waren, und erst recht König Friedrich Wilhem IV. von Preußen (seit 1840) in einer Zeit, in der der von ihnen behauptete Gedanke des monarchischen Gottesgnadentums grundstürzend bezweifelt wurde, der kämpferischen Unterstützung ökumenisch gesinnter Kirchenmänner. Das galt um so mehr, als der durch das Mischehenproblem ausgelöste Kölner Kirchenstreit (seit 1837) und der darin liegende Konfessionalismus, dem sich später auch der Bayernkönig unter dem Einfluß seines Ministers Abel ergab, die hochkonservativen Bestrebungen in München und Berlin nachhaltig störten.

Auf die Länge hat sich Melchior von Diepenbrock dem Ruf der Kronen nicht versagt. Am 15. Januar 1845 wurde er vom Breslauer Domkapitel im Beisein und nach Wunsch des königlichen Wahlkommissars zum Fürstbischof von Breslau gewählt. Diepenbrocks fester Entschluß, die Wahl nicht anzunehmen (wie er es abgelehnt hatte, die Nachfolge des 1832 gestorbenen Sailer in Regensburg anzutreten), wurde durch den ausdrücklichen Wunsch Papst Gregors XVI., ihn auf dem Breslauer Stuhl zu sehen, ins Wanken gebracht; in tiefer Resignation folgte er dem Ruf an die Oder. Im Sinne eines Bündnisses von Kirche und Staat gegen die Mächte der Revolution nahm König Friedrich Wilhelm IV. den Treueid in eigener Person ab, während er bisher vor dem jeweiligen Oberpräsidenten abgelegt worden war, worin Diepenbrock (wie auch der Kölner Erzbischof Geissel) eine Bevorzugung des Staatseides vor den kirchlichen Pflichten hatte sehen wollen. Auch sonst verzichtete der König auf eine Reihe von Staatskirchenrechten. Nach der Aufklärungszeit sollte Diepenbrock, dem eine höchst eindrucksvolle Erscheinung und die Macht des gesprochenen Wortes zu Gebote standen, Breslau, „diese größte abendländische Diözese zum Mittelpunkte des kirchlichen Wiederaufbaues im Osten“ machen (F. Schnabel).

Ein wichtiger Punkt der oberhirtlichen Tätigkeit Diepenbrocks war die Bekämpfung der sogenannten deutsch-katholischen Gemeinden, einer Sektenbildung, die sich auch des Schutzes und der Förderung der Behörden erfreute. Bei dem äußerlichen Erfolg dieses Kampfes, der sich schließlich einstellte, ließ es Diepenbrock nicht bewenden; er bemühte sich im folgenden um eine Hebung des kirchlichen Lebens in der Erzdiözese und eine Vertiefung des religiösen Sinnes der ihm unterstellten Geistlichen sowie der ihm anvertrauten Gläubigen. Der Heranbildung des Klerus dienten die Begründung des Knabenkonvikts, die Ausgestaltung und Sicherung des theologischen Konvikts sowie die Förderung der katholisch-theologischen Fakultät an der Schlesischen Friedrich-Wilhelm-Universität, in der auf seine Initiative hin seit längerem vakante Lehrstühle wieder besetzt wurden. In das Leben der Gläubigen, auf das er mit wirkungsvollen Hirtenbriefen Einfluß nahm und das durch das seinerzeit begünstigte katholische Vereinswesen und die Neugründung klösterlicher Niederlassungen gefördert wurde, griff er durch die Einführung von Volksmissionen ein, die vielfach den Vorwurf der Störung des interkonfessionellen Friedens hervorriefen, den Diepenbrock aber energisch abwehrte.

Die besondere Aufmerksamkeit des Fürstbischofs beanspruchte Oberschlesien. Zunächst war es der Kampf gegen den dort verbreiteten übermäßigen Branntweingenuß, dann die Hilfe angesichts der Hungersnot des Jahres 1847 und der Typhuskatastrophe von Februar 1848, zu der noch ein Oderhochwasser kam. Diepenbrock wie auch König Friedrich Wilhelm IV. drängte es, in das Katastrophengebiet zu reisen. Doch das Domkapitel in Breslau wie die Berater des Königs wußten ihr Erscheinen dort zu verhindern. In der Umgebung des Königs fürchtete man, an die Stelle der helfenden Tat könne die bloße Geste treten. Ein Plan zur Errichtung eines Waisenhauses und die Absicht, Notstandsarbeiten einzuleiten, gingen freilich in den Wirren der Revolution unter.

Im Revolutionsjahr 1848, das der Eigenschaft des Breslauer Fürstbischofs als Landesherr im österreichischen Bistumsanteil ein Ende machte, wuchs Diepenbrock sogar eine offen politsche Rolle zu. Allenthalben mahnte er zu Mäßigung und zur Achtung des Eigentums und des Lebens der Mitbürger. Als Im November 1848 die preußische Nationalversammlung den Beschluß gefaßt hatte, die Zahlung von Steuern zu verweigern, und der Breslauer Magistrat sowie sogar der Oberpräsident dem beigetreten waren, erklärte Diepenbrock in einem Hirtenwort vom 18. November 1848 vor „Gottes Angesicht und vor aller Welt“ an seine Diözesanen, „daß, da Seine Majestät der König nicht aufgehört hat, unser rechtmäßiger König, d.h. unsere von Gott gesetzte Obrigkeit zu sein, die Pflicht des Gehorsams gegen ihn und insbesondere die Pflicht der Fortentrichtung der gesetzlichen Steuern an die dazu bestellten königlichen Behörden für jeden katholischen Christen eine unzweifelhafte Gewissenspflicht ist.“

Dieses Wort wurde seitens des Königs und des Staatsministeriums mit größter Dankbarkeit aufgenommen und fand auch sonst eine starke, weit über Schlesien hinausgehende Resonanz. Es wurde vom Staatsministerium im Druck verbreitet, den Soldaten vorgelesen und von vielen evangelischen Geistlichen von der Kanzel verkündet. Diepenbrock stand schon vordemtief im politischen Leben; er war – freilich gegen alle Neigung –für den Wahlkreis Oppeln in die Frankfurter Nationalversammlung eingezogen. Der ihm freundschaftlich zugetane König wußte ihm das zu danken. Begegnungen in Berlin und auf Schloß Erdmannsdorf im Hirschberger Tal, in jenen Jahren häufig Sommersitz der königlichen Familie, sowie ein eingehender Briefwechsel hatten ein tiefes Einverständnis zwischen beiden Männern ergeben. Am 15. Mai 1848 hatte der König Diepenbrock geschrieben, die Anzeige von dessen Wahl erfüllte ihn „mit ungemeiner Befriedigung“. Es sei „ein wohltuendes Gefühl, einen Herrn wie Sie an einem Orte zu wissen, wo die höchsten Interessen Teutschlands entschieden werden sollen. Darum danke ich Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie der guten Sache ein so schweres Opfer bringen und nach Frankfurt gehen werden. Das lohne Ihnen Gott, und zwar zunächst mit einem Einfluß und Erfolg, den gewiß Gottes Segen allein schenken kann!!!“

Es hätte der im Grunde unpolitischen und jedem Kampf abgeneigten Natur Diepenbrocks widersprochen, wenn er in der Nationalversammlung führend hervorgetreten wäre. Immerhin brachte er dort die Gründung des „Katholischen Vereins“ zur Vertretung katholischer Belange zuwege, an dessen Spitze Joseph Maria von Radowitz und August Reichensperger traten. Eine schwere Erkrankung zwang Diepenbrock dann dazu, im August 1848 sein Mandat niederzulegen. Ein letztes Mal trat er kirchenpolitisch im Frühjahr 1849 auf der Wiener Konferenz der österreichischen Bischöfe auf, wo er sich nachdrücklich gegen den in der Monarchie von Aufklärungszeiten her weiterwirkenden Josephinismus wendete. Sein Interesse an Österreich, das unter der Wirkung des modernen Nationalgedankens in Italien in die Defensive geraten war, beleuchtet ein durch Anton Graf von Stolberg-Werningerode, einem Angehörigen der Kamarilla um Friedrich Wilhem IV., überlieferter Ausspruch, der im Zusammenhang mit der Gefahr eines preußisch-österreichischen Krieges im Herbst 1850 steht. Diepenbrock habe gesagt, so Stolberg, daß er als Christ, als Deutscher, als Bischof und als Preuße beteiligt sei, den Frieden zu wünschen. „Aber auch als Preuße bin ich dabei betheiligt, daß die ehrenreichen Preußischen Waffen keinen Sieg erfechten, über die sich Mazzini und Consorten freuen, die schon jetzt wie die Aasgeier frohlockend krächzen, hoffend, daß sie am Ende den Hauptteil haben würden an der Carée, wenn der Preußische Adler Edelwild erlegt haben würde. … Wer in Deutschland, wer in Preußen könnte solche Siege wünschen, wenn er ein deutsches Herz hat?“

Wenig mehr als zwei Jahre später erlag Diepenbrock, der 1849 auf Wunsch des Königs zum apostolischen Vikar für die preußische Armee ernannt und 1850 Kardinal geworden war, der Krankheit, die sich in Frankfurt zuerst nachhaltig bemerkbar gemacht und sich schließlich zu einem schmerzhaften Unterleibsleiden ausgewachsen hatte. Im Dom zu Breslau fand er seine letzte Ruhe.

Weitere Werke: Gesammelte Predigten, Regensburg 1841-43,21849. – Sämtliche Hirtenbriefe, Münster i.W. 1853.

Lit.: Franz Schnabel: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 4: Die religiösen Kräfte, Freiburg i. Br. 21951. – Franz Xaver Seppelt: Melchior von Diepenbrock; in: Schlesische Lebensbilder, Bd. 1, Breslau 1922. – Allgemeine Deutsche Biographie 5 (1877), S. 130-138 [Reinkens]. – Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 651 f. [J. Gloßner-Gitschner]. – Heinz Gollwitzer: Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz, München 21987. – Erich Kleineidam: Die katholisch-theologische Fakultät der Universität Breslau 1811-1945, Köln 1961.

Bild: Diepenbrock nach einem Stahlstich von Christian Mayer.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Melchior_von_Diepenbrock

Peter Mast