Biographie

Ditters von Dittersdorf, Carl

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Komponist, Musikschriftsteller, Verwaltungsbeamter
* 2. November 1739 in Wien
† 24. Oktober 1799 in Neuhof bei Prag

Unter den allgemein bekannten Komponisten der Wiener Klassiker ist Ditters von Dittersdorf derjenige, der zwar in der österreichischen Hauptstadt am 2. November 1739 (in der Michaelskirche) getauft und in Wien aufgewachsen ist, aber den größten Teil seines Lebens außerhalb des österreichischen Kernlandes, davon 27einhalb Jahre in Schlesien, gewirkt hat. Carl bzw. Johannes Carl Ditters, so sein Taufname, erhielt in Wien eine gediegene Ausbildung als Violinspieler und Komponist, spielte in verschiedenen Wiener Orchestern (in der Kapelle des Prinzen Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen, der des Hoftheaters sowie bei der Kirchenmusik in der Hofkapelle) und reiste mit Willibald Gluck 1763 nach Bologna. Bis in die späten achtziger Jahre galt Ditters als ein großer Violinvirtuose. In der Nachfolge Michael Haydns leitete er von 1765(?) bis 1769 als Kapellmeister die Musikveranstaltungen des Fürstbischofs Baron Adam Patachich in Großwardein (damals Ungarn, heute Rumänien).

Im Herbst 1769 wurde Ditters von Dittersdorf auf einer Virtuosenreise zunächst als Gast und Leiter der Hofmusik des Breslauer Fürstbischofs Graf Schaffgotsch im Schloß Johannisberg bei Jauernig in Österreichisch-Schlesien aufgenommen. Um ihn in Jauernig zu halten, wurde ihm 1770 zusätzlich die Forstmeisterstelle im Fürstentum Neisse in Schlesien, soweit es bei Österreich verblieben war, angeboten, die er annahm. Graf Schaffgotsch war von Friedrich II. von Preußen aus Breslau verbannt worden und durfte nur im österreichischen Anteil seines Bistums residieren. Die Bestätigung als Hofkapellmeister wurde Carl Ditters, wie er damals noch hieß, vom Breslauer Domkapitel unter Aufzählung seiner Pflichten erteilt (Brief im Troppauer Landesarchiv). Nach seiner Erhebung in den vererbbaren Adelsstand durch Kaiserin Maria Theresia am 5. Juni 1773 wurde Carl Ditters von Dittersdorf auch Amtshauptmann von Freiwaldau, wo er im Schloß mehrere Jahre wohnte, zusätzlich Vizepräsident des Landrechts und 1790 Berghauptmann von Zuckmantel, wo das Berghüttenwesen allerdings seinen wirtschaftlichen Höhepunkt bereits überschritten hatte.Landeshauptmann von Österreich-Schlesien zu werden, gelang ihm nicht, obwohl er es selbst sehr gewünscht hatte. In Rechtsangelegenheiten war er auch für die zuständige Verwaltungsstelle des Landrechts in Brünn tätig, ferner als Orgelsachverständiger im kaiserlichen Anteil Oberschlesiens.

Wiederholt (1772/73, Ende 1773, 1784) war Dittersdorf in Wien, wo er sich 1786/87 über ein volles Jahr lang aufhielt. Dort wurden große Werke von ihm mit großem Publikumszuspruch – oft unter seiner Leitung – uraufgeführt, so die beiden italienischen Oratorien Esther (19. Oktober 1773) und Giob (9. April 1786) und 1786/87 die deutschen Opern bzw. SingspieleDer Apotheker und der Doctor, seine populärste Oper (spätestens seit 1800 unter dem auch heute bei Aufführungen verwendeten Titel Doktor und Apotheker),Betrug durch Aberglauben,Die Liebe im Narrenhaus und in gewissem Sinne auch seine zwölf Sinfonien nach OvidsMetamorphosen. Dittersdorf wußte über das Musikleben in Wien bis in Details hinein gut Bescheid, wie aus seinen Briefen hervorgeht. Mit seinen sechs Quartetten (Quadros), von Artaria in Wien 1788 gedruckt, wollte Dittersdorf mit den Werken in dieser Gattung von Joseph Haydn, mit dem er befreundet war, von Wolfgang Amadeus Mozart und von (dem damals Aufsehen erregenden) Ignaz Pleyel konkurrieren. Seine frühen italienischen und späteren deutschen Opern sind außer in Großwardein und Schloß Johannisberg in Brünn (zwei Opern), Breslau (wenigstens zwei Opern) und Oels (acht Opern), wenn es möglich war, unter seiner eigenen Leitung uraufgeführt worden. Seine Singspiele waren sehr beliebt und für ein paar Jahre erfolgreicher als die von Wolfgang Amadeus Mozart. Joseph Haydn in Eisenstadt und Eszterháza sowie Goethe in Weimar haben seine Opern gern in den Spielplan aufgenommen. Um 1800 galt Dittersdorf als der “Begründer oder Vater der deutschen komischen Oper”. In Schlesien war er im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts der führende Komponist, von dem wichtige Anregungen ausgingen und der dort auch Schüler ausbildete; der bekannteste von ihnen ist der in Wien und in anderen Städten überaus erfolgreiche Wenzel Müller mit seinen Singspielen.

1774 lehnte Dittersdorf die Voranfrage ab, ob er kaiserlicher Hofkapellmeister in Wien werden wolle; 1786 bewarb er sich allerdings von Wien aus am 24. November – wegen sehr ärgerlicher Schwierigkeiten mit dem vom Kaiser eingesetzten Administrator über die österreichischen Gebiete des Fürstbistums Breslau, Baron von Kaschnitz –, nach dem Tode Friedrichs II. bei dem neuen preußischen König Friedrich Wilhelm II. brieflich um den Berliner Hofkapellmeisterposten, den er aber nicht erhielt. Dittersdorf hat sich unter den Schlesiern nach eigenen Bekundungen wohl gefühlt. In Jauernig (tschechisch Javorník, heute in Tschechien) besaß er ein Palais mit einem ansehnlichen Grundstück, das heute – sehr gut renoviert – ein Dittersdorf-Museum und eine Musikschule beherbergt. Nach dem Tode seines Dienstherren Fürstbischof Graf Schaffgotsch im Jahre 1795 zog Dittersdorf erst im Mai 1798 auf Einladung des Freiherrn von Stillfried, der Güter in Schlesien besaß und später sein Schwiegersohn wurde, nach Roth-Lhotta bei Neuhaus in Südböhmen und starb dort. Sein Grab wird auch heute noch gepflegt.

Carl Ditters von Dittersdorf gehört zu den volksbekannten Komponisten der Wiener Klassik, von dem einige Werke bis heute aufgeführt werden. Die Schallplattenindustrie legt gern Schallaufnahmen ausgewählter Kompositionen vor (Streichquartette, Sinfonien, Konzerte, Oratorien und Kirchenmusikwerke). Im Gegensatz zu Haydn, Mozart und Beethoven, die allein für die Musik tätig waren, wirkte Dittersdorf mit größerem Erfolg auch in höheren Verwaltungsämtern, die ihm insgesamt viele Jahre ein gutes Einkommen gewährten, deren Verpflichtungen ihn aber teilweise daran hinderten, in den neunziger Jahren seine periodisch-reihende Kompositionstechnik mit eingestreuten gegensätzlichen Abschnitten unter Ausnahme seiner moderat angepaßten zeitgemäßen Instrumentenbehandlung weiter zu entwickeln. Er traf den musikalischen Geschmack der sechziger bis zum Anfang der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts in besonderer Weise, und seine Kompositionen wurden deswegen zu jener Zeit bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts sehr geschätzt. Erst mit Richard Wagner wurde sein Personalstil als zu leicht befunden. Im 20. Jahrhundert wurde Ditters von Dittersdorf gern als Schnellschreiber und mit seinen Kompositionen als wenig aussagekräftig empfunden. Er vermochte schnell zu arbeiten, konnte aber auch an ausgewählten Werken, so an seinem Oratorium Esther, an den zwölf Sinfonien nach OvidsMetamorphosen und an seinen sechs Streichquartetten längere Zeit feilen. Das bisherige Urteil über Dittersdorf ist heute revisionsbedürftig; dazu ist eine bessere Kenntnis seiner Biographie und seiner Werke erforderlich.

Werke: (Ein gedrucktes Werkverzeichnis brachte Carl Krebs aus Anlaß des Dittersdorf-Jubiläumsjahres 1900 in Berlin [Nachdruck New York 1972] heraus, das allerdings stark ergänzungsbedürftig ist. Oldrich Pulkert in Prag beabsichtigt, ein neues Werkverzeichnis herauszugeben.) Neun Orchester-Messen, zwei Requien, vermutlich wenigstens 34 kleinere Kirchenmusikwerke, acht lat. Cantaten und zwei deutsche Cantaten (1765 und 1773). Opern: In Großwardein: zwei Drame giocose (1768), ein Intermezzo (1768); in Johannisberg und davon eine in Roßwald: 13 ital. Operetti (1770-1776), eine ital. Oper (Wien 1787 ohne Erfolg), 17 deutsche komische Opern <Singspiele> (1786-1798), zwei ital. Opern (1798, verschollen). Die letzte komische Oper (Opera buffa) nach einem Text von Bretzner mit dem Titel “Die Opera buffa” (1798), Part. in der Österr. Nat.-Bibl. Wien, ist niemals aufgeführt worden. Zirka 120 echte und eine etliche Anzahl zweifelhafter bzw. unterschobener Sinfonien, fünf konzertante Sinfonien, ein Concertino, Cassationen und Divertimenti, sieben Streichtrios, sechs Streichquartette, zwölf Streichquintette, 16 Duette für Violine und Baß, zwölf (?) Klav.-Sonaten.

Schriften: Lebensbeschreibung. Seinem Sohne in die Feder diktiert, Leipzig 1801 (vierte Neuausgabe München 1967), davon mehrere Nachdrucke und Übersetzungen ins Englische und Tschechische. – Zwei Aufsätze in der Allgemeinen musikalischen Zeitung (Leipzig) im 1. Band 1798/99. – Die Autobiographie ist aufschlußreich und ist bisher in der Literatur zugrunde gelegt worden; sie ist aber ergänzungsbedürftig.

Große Neuausgaben: Orch.-Werke hrg. von Liebeskind (Leipzig. 1899), sechs Sinf. in: B.S. Brook, The Symphony 1720-1780, New York 1985 Ser. B Bd. 1; Requiem hrg. von R. Walter, Bad Schwalbach (1989). – Einzelausgaben in folgenden Musikverlagen: Bärenreiter Kassel u.a., Breitkopf & Härtel Leipzig bzw. Wiesbaden, Doblinger Wien, Ed. gravis Bad Schwalbach, Ed. Musica Budapest, Hofmeister Leipzig bzw. Hofheim, Möseler Wolfenbüttel, Musica rara London, Nagels-Musik-Archiv, Peters Leipzig bzw. Frankfurt a.M., Schott Mainz, Sikorski Hamburg, Yorks Ed. London u.a.

Lit.: Eine umfangreiche Zusammenstellung der Bibliographie enthalten die drei Ausstellungskataloge: Carl Ditters von Dittersdorf 1739-1799 mit folgenden Untertiteln: 1. Mozarts Rivale in der Oper, hrg. von H. Unverricht und W. Bein, Würzburg: Bergstadtverlag 1989; 2. Der schlesische Opernkomponist, hrg. von H. Unverricht in Verbindung mit O. Landmann, ebenda 1991; 3. Sein Wirken in Österreich-Schlesien und seine letzten Jahre in Böhmen, hrg. von H. Unverricht in Zusammenarbeit mit P. Koukal und W. Bein, ebenda 1993. – Art. in allen einschlägigen Musiklexika. – J. Th. Hermes: Analyse de XII. Metamorphoses tirées d’Ovide, & mises en musique par Mr. Charles Ditters de Dittersdorf, Breslau 1786; davon dt. Übersetzung von G. Thouret (mit Anmerkungen): Analyse der zwölf Metamorphosen-Symphonien von Karl von Dittersdorf, Berlin 1899. – (I.E.F.C.Th. Arnold): Karl von Dittersdorf. Seine kurze Biographie und ästhetische Darstellung seiner Werke…, Erfurt 1810 (auch aufgenommen in die “Gallerie der berühmtesten Tonkünstler des 18. und 19. Jh.”, reprogr. Nachdruck Knut-Buren 1984 Nr. 3). – K. Holl: Carl Ditters von Dittersdorfs Opern für das wiederhergestellte Johannisberger Theater, Diss. Bonn 1913, Druck Heidelberg 1913. – L. Riedinger: Karl von Dittersdorf als Opernkomponist. Eine stilkritische Untersuchung, in: Studien zur Musikwissenschaft 2 (1914), S. 212-349. – G. Rigler: Die Kammermusik Dittersdorfs, in: Beethoven-Zentenarfeier Wien 26. bis 31. März 1927, Wien 1927 und zugleich in den Studien zur Musikwissenschaft 14 (1927), S. 179-212 und XI-XIII. – J. Thamm: Die erste Johannesberger Oper Dittersdorfs Il viaggiatore americano in Johannesberg, in: Der Oberschlesier 21 (1939), S. 577-583. – R. Zuber: Karl Ditters von Dittersdorf, Sumperk 1970. – M.H. Grave: First-Movement Form as a Measure of Dittersdorf’s Symphonic Development, mschrftl. Diss. New York 1977. – P.J. Horsley: Dittersdorf and the Finale in Late-eighteenth-Century German Comic Opera, Diss. Cornell Univ. USA 1988. – H. Unverricht: Carl Ditters von Ditterdorfs musikalisches Wirken in Schlesien. Eine Brücke zwischen Wien und Berlin, in: Oberschlesisches JB. 5 (1989), S. 139-160. – Sh. Tsai: The Viennese Singspiele of Karl Ditters von Dittersdorf, Diss. Univ. of Kansas (USA) 1990 (printed Ann Arbor 1992). – Carl Ditters von Dittersdorf. Leben-Umwelt-Werk. Internationale Fachkonferenz in der Katholischen Universität Eichstätt vom 21.-23. September 1989, hrg. von H. Unverricht, Tutzing 1997 (Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft 11). – H. Unverricht: Carl Ditters von Dittersdorf als Quartettkomponist. Ein Konkurrent Haydns, Mozarts und Pleyels?, in: Haydn-Studien 7 (1998), S. 315-327.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Ditters_von_Dittersdorf

Hubert Unverricht