Biographie

Drygalski, Erich von

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Geophysiker, Geograph, Polarforscher
* 9. Februar 1865 in Königsberg i.Pr.
† 10. Januar 1949 in München

Nach einem reich erfüllten Leben verstarb in seinem 84. Lebensjahr der in der ganzen Welt hoch angesehene Geograph, Forscher und Hochschullehrer Erich von Drygalski. In der Tradition Carl Ritters (1779-1859) und der seines Schülers Ferdinand Freiherr von Richthofen (1833-1905) stehend, hatte er der Geographie wesentliche Impulse verliehen. Als Erforscher der Polarwelt beider Hemisphären leistete er Pionierarbeit, wurde ihm internationale Anerkennung zuteil.

Erich von Drygalski entstammte einer ostpreußischen Intellektuellenfamilie. Der Vater Fridolin (1829-1904), Sohn des Obergrenzkontrolleurs und Steueraufsehers Leopold Chr. von Drygalski in Theerwisch (Ostpreußen), hatte in Königsberg Philologie studiert. Mit 41 Jahren wurde ihm die Leitung des Kneiphöfischen Stadtgymnasiums übertragen, einer Bildungsstätte, die in Königsberg hohes Ansehen genoß. Die Mutter Lydia, geb. Siegfried (1838-1913), Tochter eines ostpreußischen Rittergutsbesitzers in Kirschnehmen, Kreis Fischhausen, brachte das bodenständige, bäuerliche Blut in die Familie. Der Sohn Erich Dagobert sollte in späteren Jahren (1907) ebenfalls die Tochter eines Gutsbesitzers heiraten: Clara, geb. Wallach (1883-1958) in Mittweide, Kreis Lübben (Lausitz), eine Cousine mütterlicherseits. Die robuste Gesundheit und die geistige Spannkraft, die von Drygalski, dem Vater von vier Töchtern, bis ins hohe Alter erhalten blieb, waren also ostpreußisches Erbe. Dieses prägte seine starke Persönlichkeit, die eigenwillig und nicht unbedingt konziliant, auch nicht immer tolerant, stets aber offen, geradlinig und zuverlässig war.

In Königsberg aufgewachsen, bezog von Drygalski bereits mit 17 Jahren die heimatliche Universität, um Mathematik und Physik zu studieren. Die schicksalhafte Begegnung mit dem Geographen von Richthofen in Bonn bestimmte nicht nur sein weiteres Studium, sondern sein ganzes Leben. Er folgte seinem Lehrer nach Leipzig und Berlin. 1887 schloß er sein Studium mit einer geophysikalischen Doktorarbeit ab. Von 1888 bis 1891 arbeitete er als Assistent am Geodätischen Institut in Potsdam. 1891 und 1892/93 wurde ihm die Leitung einer Vor- und Hauptexpedition der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin nach Westgrönland und 1901 bis 1903 die erste deutsche Südpolar-Expedition mit dem Forschungsschiff “Gauß” übertragen. Die Grönlandexpedition hat Drygalskis internationalen Ruf begründet, die Südpolarexpedition hat ihn gefestigt und den Forscher zu einer der ersten Weltautoritäten auf dem Gebiet der Polarforschung werden lassen. Mögen anderen Polarforschern, beispielsweise Amundsen 1911 und R. Scott 1912, spektakulärere und glanzvollere Erfolge beschieden gewesen sein (das widerspiegelte auch die Ausstellung “Arktis und Antarktis” 1998 in Bonn), die deutsche antarktische Gauß-Expedition 1901 bis 1903 nahm unter den gleichgerichteten Unternehmungen der Zeit anerkanntermaßen den wissenschaftlich höchsten Rang ein. Die Expeditionen Drygalskis haben einen außerordentlichen Einfluß auf die gesamte spätere Polarforschung ausgeübt. Der wissenschaftliche Ertrag (zwanzig Text- und drei Atlasbände, Leipzig und Berlin 1906-1931) hat die Forschung bis in die Gegenwart befruchtet. Erst 1957 wurde die 1902 von Drygalski entdeckte und nach ihm benannte Drygalski-Insel, eine Eisinsel in der Davis-See, von einer sowjetischen Expedition genauer untersucht. Die von ihm entwickelte Theorie des strömenden Eises hat bis heute Gültigkeit.

Der Habilitation in Berlin 1898 folgte ein Jahr später die Ernennung zum außerordentlichen Professor und 1906 der Ruf als Ordinarius nach München. Dort wirkte Drygalski bis zu seiner Emeritierung 1935. Neben der Polarforschung zeigte er reges Interesse an der Neugestaltung der Länderkunde und– vor allem in späteren Jahren– an der Politischen Geographie. Zahllose Reisen in Europa, nach Asien und Nordamerika boten vielfältige Anregungen. Drygalski hat 84 Doktoranden zur Promotion geführt. Die heute zur Leerformel verkommene Bezeichnung “Doktorvater” hat er glaubwürdig vorgelebt. Ein gastfreies Haus und der persönliche Verkehr mit seinen Schülern schufen eine Atmosphäre des Vertrauens. Die Studenten sprachen nicht vom “Chef” oder “Meister”, sondern vom “Vater”; eine Bezeichnung, die im Zeitalter der anonymen Massenuniversität unvorstellbar ist. In der Zeit vor den Weltkriegen drückte sich darin aber auch Liebe und tiefe Verehrung für ihren akademischen Lehrer aus. Bis zu seinem Tode stand Drygalski mit vielen seiner Schüler in regem brieflichen Gedankenaustausch, erteilte klugen Rat und gewährte tatkräftige Hilfe. Es spricht nicht nur für die ungemein vielseitigen und tiefgreifenden Anregungen, die er gab, daß seine Schüler die unterschiedlichsten Themen der Geographie behandelten, sondern auch für ein Höchstmaß an Freiheit, die er jedem einzelnen einräumte, sich dem Thema eigener Wahl zuzuwenden. Drygalski erlag nicht der Versuchung, durch einen elitären Schülerkreis seine eigenen wissenschaftlichen Anschauungen zu bekräftigen oder weiter auszubauen; kein einziger beschäftigte sich mit seinem engeren Forschungsgebiet. Er hat nicht ein einziges Dissertationsthema “vergeben”. Die ihm zu seinem 60. Geburtstag 1925 gewidmete Festschrift trägt den bezeichnenden Titel Freie Wege der vergleichenden Erdkunde.

Ehrungen wurden Drygalski in großer Zahl zuteil. Genannt seien hier nur die von der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin verliehenen Auszeichnungen: 1898 Silberne Karl Ritter-Medaille, 1904 Goldene Gustav Nachtigal-Medaille, 1928 Goldene Karl Ritter-Medaille, 1933 Ferdinand von Richthofen-Medaille. Zur Feier des 75jährigen Bestehens der Geographischen Gesellschaft München, die er 29 Jahre lang als Vorsitzender geleitet hatte, wurde im Jahre 1944 die “Erich von Drygalski-Medaille”  gestiftet. Als Dekan  und als Rektor der  Universität (1921), in der Akademie der Wissenschaften, in der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, im Deutschen Geographentag, im Deutschen Museum etc. hat Drygalski bleibende Spuren hinterlassen. In seiner letzten, posthum erschienenen Veröffentlichung in der Geographischen Rundschau weist er noch einmal auf sein wichtigstes und größtes Anliegen: “Geographie auf den Schulen und Hochschulen”. Seine Freunde trauerten nicht nur um den großen Forscher und Gelehrten, mehr noch um den Menschen, den “äußerlich so einfachen und bescheidenen, innerlich aber so vornehmen und reichen, so gütigen und oft launig-humorvollen Mann” (E. Fels).

Lit.: Für die Zeit von 1885-1924 findet sich ein Schriftenverzeichnis in der Drygalski-Festschrift “Freie Wege vergleichender Erdkunde”, hg. v. L. Distel und E. Fels, München 1925, S. 374-386. – In der Zeitschrift für Geopolitik (12, 1935, S. 127-132) ist die Zeit von 1925-1934 erfaßt. – Die Veröffentlichungen von 1935 bis zum Tode 1949 hat Edwin Fels im Anhang zu seinem Nachruf in der Zeitschrift “Die Erde”, Bd. I, 1949/50, S. 69-72, zusammengestellt.

Biographische Daten und Nachrufe sind zu finden in: Wer ist’s, Bd. IX (1928), S. 322. – Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 19416, Sp. 333. – N. Creutzburg, in: Erdkunde, Bd. 3 (1949), S. 65-68. – O. Jessen, in: Jb. d. Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1949/50, S. 133-136. – W. Meinardus, in: Petermanns Geogr. Mitt. 93 (1949), S. 177-180. – S. Passarge, in: Mitt. d. Geogr. Ges. in München, 35 (1949/50), S. 105-107. – W. L. G. Joerg, in: The Geographical Review, Vol. XL (1950), S. 489-491. – E. Scharfenorth, in: Das Ostpreußenblatt, 5. Jan. 1953. – E. Fels, in: Neue Dt. Biographie, Bd. 4 (1959), S. 143 f. – Westermann Lexikon der Geographie, Bd. 1 (1986), S. 854. – W. Krämer (Hg.), Die Entdeckung und Erforschung der Erde, Leipzig 1976, S. 230. – Bosls Bayerische Biographie, 1983, S. 155. – D. Henze: Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde, Bd. 2, (1983), S. 100. – C. Lüdecke, in: Mitt. d. Geogr. Ges. in München, 78 (1993), S. 69-79, und in deren Dissertation (München 1993): Die Deutsche Polarforschung seit der Jahrhundertwende und der Einfluß Erich von Drygalskis, Bremen 1995. – Zum Vater Fridolin, vgl. Lehnerdt, in: Altpreußische Biographie, hg. v. Chr. Krollmann, Marburg/L., Bd. 1 (1974), S. 152.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_von_Drygalski

Guntram Philipp