Biographie

Eichendorff, Joseph Karl Benedikt Freiherr von

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Dichter
* 10. März 1788 in Lubowitz/Schlesien
† 26. November 1857 in Neisse/Schlesien

Der Abend

Schweigt der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewußt,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.

Dieses Gedicht von Eichendorff erschien 1826 zum ersten Mal. Es war in die Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ eingebaut, und über diese Novelle schrieb in Eichendorffs Todesjahr einer der Großmeister der deutschen Prosa im 19. Jahrhundert, Theodor Fontane: „Ich kann mich hier nicht lang und breit darüber auslassen, was mir jene einzig dastehende Arbeit des liebenswürdigen Schlesiers so lieb und wert macht: der Taugenichts ist after all nicht mehr und nicht weniger als eine Verkörperung des deutschen Geistes, die liebenswürdige Type nicht eines Standes bloß, sondern einer ganzen Nation.“

Sich mit Eichendorff, dem großen Dichter aus Ober Schlesien, zu beschäftigen, ohne seine Verse erklingen zu lassen, ist kaum denkbar. Diese Verse, die auch durch die Vertonungen von Schumann bis Hugo Wolf bekannt geworden sind, dazu die Erzählungen, sind es auch heute noch, die Eichendorff leben lassen. Am deutlichsten lebt er in und für die Literatur. Seit den frühen Widmungsgedichten seines Freundes von Loeben haben zahllose deutsche Autoren die Welt Eichendorffs evoziert, die Stimmung seiner Dichtungen nachzugestalten versucht. Und immer wieder trat dabei auch die Gestalt des Dichters als Ansprechpartner in Erscheinung. Am kongenialsten geschah dies wohl bei Johannes Bobrowski, einem östlichen Nachbarn des Oberschlesiers. 1970 erscheint Bobrowskis Gedicht Eichendorff:

Eine Zeit der Brunnen
war und der Gärten –
der Wald
ist wie ein Abgrund gekommen
vor ihm her ging der Efeu
die Erde in ihrer Tiefe
donnert von Strömen – ein Ruf
müßte aufstehen – das Horn
tönt und ich wend mich im Schlaf

Als ich erwachte ich fand
einen Weg um den Bergsturz ein Busch
war dort ich fing einen Vogel
er sang nicht so bin ich im Schlaf
so werd ich erwachen
zuletzt
so werd ich erwachen.

In Bobrowskis Gedicht ist die Stimmung Eichendorffscher Lyrik ebenso vorhanden wie die gesamte Sammlung romantischer Stichworte. Und für das lyrische Ich ist das alles gegenwärtig und wirklich.

Nicht nur Werner Bergengruen, der Baltendeutsche, wußte es: „Eichendorffs Welt ist stilisiert. Es hat sie nirgends und nie gegeben, aber es gibt sie überall und zu jeder Zeit.“ Alle Nachgeborenen haben sich an die Echtheit dieser Eichendorff-Welt gewöhnt. So ist es verständlich, daß man das tatsächliche Leben des Dichters kaum wahrnahm und immer vermutete, daß Parallelen zwischen poetischen Gestalten und Stimmungen unmittelbar auf die Biographie des Autors verweisen.

Im Leben des wohl bis heute populärsten deutschen Romantikers hat es eine erstaunliche Auf- und Abwärtsbewegung gegeben. Die Kindheit und Jugend waren ein einziges Emporstreben. Die Studienjahre brachten eine unwiederbringliche Einheit von gesellschaftlichen, dichterischen und politischen Wunscherfüllungen. Die Zeit der Familiensorgen und der beruflichen Kränkungen und Enttäuschungen führte weit weg von dem poetischen Leben. Die Jahre nach 1844, als Eichendorff als freier Schriftsteller tätig war, sind dem wissenschaftlichen Forscher gewidmet, lassen aber in ihrem Suchen nach Ordnung und Zusammenhang in Kunstbestrebungen und Geschichte ein Zurückblicken auf die eigene Jugend, eine Analyse der selbst erlebten Wirklichkeit erkennen.

Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff stammt aus einem alten Adelsgeschlecht, das seit dem 17. Jahrhundert in Schlesien anzutreffen war. Er wurde auf Schloß Lubowitz bei Ratibor in Oberschlesien geboren, wo eine vielsprachige menschliche Gemeinschaft zusammenlebte. Da die Familie Eichendorff in sehr bescheidenen Verhältnissen leben mußte und die Spekulationen des Vaters zum finanziellen Ruin und Verlust der Besitzungen führten, standen Joseph und sein Bruder Wilhelm allen gesellschaftlichen Schichten in ihrer Geburtsheimat nahe, beherrschten Sprache und Gewohnheiten der Nachbarn. Der Dichter sammelte während seiner Studienzeit u.a. polnische Märchen und Sagen. Reisen erweiterten den Bildungshorizont der beiden Eichendorff-Brüder früh. Das Verständnis für andere, für Minderheiten, ist bei ihnen immer erkennbar. 1792 führt die erste Reise nach Prag. Dann besucht der Dichter das Katholische Gymnasium in Breslau, wo er in Schulaufführungen sein Interesse für das Theater geweckt sieht. Ab 1804 beginnen die Studien der beiden Brüder in Halle und Heidelberg. 1805 gibt es eine Harzreise und eine Fahrt nach Hamburg. Das Studium in Heidelberg bringt ein erstes Vorbild in greifbare Nähe: Joseph von Görres. Und Iffland und Goethe werden nach Wanderungen zu Theateraufführungen gesehen. Es gibt kaum eine Persönlichkeit der Zeit, die Eichendorff nicht kennengelernt hätte. Und an den Zeitereignissen nimmt er aktiv Anteil: In den Befreiungskriegen bringt er es zum „wirklichen Lieutenant“. Dafür ist ein kurzlebiger subalterner Expedienten-Posten in Berlin Entlohnung. Und über Breslau, Danzig, Berlin und wieder Breslau führen die Stationen des Beamten. Mal war er im Kriegsministerium, mal „Katholischer Rat“, dann wieder im Außenministerium. Bei den notwendigen Examina wurde ihm immer wieder „eine gute Beurteilungskraft“ bestätigt. Aber der Regierungsrat, Oberpräsidialrat, der Geheime Regierungsrat scheidet ohne Lob und Ehrung aus dem Dienst. Krankheitshalber, heißt es. Nach seiner Entlassung aus dem Dienst lebt er wieder auf. Seinen einzigen Orden erhält er im Namen der Wissenschaft 1853. Den bayerischen Maximiliansorden hatten auch Humboldt, Liebig, Uhland erhalten.

1803 ist Eichendorffs erstes Gedicht in den „Schlesischen Provinzialblättern“ erschienen. Dann kam lange nichts mehr. Otto Heinrich Graf von Loeben, der Freund aus der Heidelberger Zeit, hat ihm geholfen. Als Florens trat Eichendorff in Almanachen auf. 1813 erscheint sein Lied („Das zerbrochene Ringlein“), das zum Volkslied wird. Und durch Fouqués Mithilfe wird er bekannt, als 1815 sein Roman „Ahnung und Gegenwart“ erscheint. Ein Bild seiner Familien-Umgebung scheint stimmungsgemäß erfaßt zu sein. Porträts haben naturechte Vorbilder. Aber die Bekanntheit des „liebenswürdigen Dichters“ ist von geringer Reichweite. Immerhin erscheinen seine gesammelten Gedichte erst 1837. Und sein „Marmorbild“ wird 1819 bagatellisiert. Das Verschleierte, von dem Hofmannsthal sprach, das Schweben zwischen Traum und Wirklichkeit, ist nicht leicht nachvollziehbar. Und der „Ur-Taugenichts“ („Der neue Troubadour. Zwei Kapitel aus dem Leben eines Taugenichts“) wartet von 1817 bis 1826 auf seine Vollendung. Dann aber wird er zum Modell für alle südlichen Sehnsüchte, für das Träumen vom freien Künstlertum, für die Diskrepanz zwischen Philistertum und Nonkonformismus. Jetzt war Eichendorff endgültig ein Arrivierter. Aber er bescheidet sich mit einer mustergültigen Ehe mit Luise von Larisch (ab 1815), mit Studien über „Der deutsche Roman des 18. Jh. in seinem Verhältnis zum Christentum“ (1851), „Zur Geschichte des Dramas“ (1845) und nach „Zur Geschichte der neueren romantischen Poesie in Deutschland“ (1846) mit einer „Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands“. So suchte er die Notwendigkeit und die Brauchbarkeit von Literatur im Zeitalter poetischer Entsagung zu beweisen. Und mit seinen Übersetzungen aus Calderón war er bestrebt, Besseres zu leisten als mit seinen eigenen Dramenversuchen („Der letzte Held von Marienburg“, 1830; „Die Freier“, 1833). Eichendorff hat von 1800 bis 1812 Tagebuch geführt. So wissen wir viel über seine Kindheit. Später zensierte er sich selbst. So bleiben seine Werke: der Wald, die rauschenden Bäche, die Marmorbilder, das Bild einer Welt, die durch Schönheit lebendig wirkt. „Wenn ein Mensch immerzu etwas Schönes denkt, sieht er schließlich aus wie sein Gedanke“ (Max Kommerell). Das kann von Eichendorff gesagt werden. Und weil „alles, was so eindeutig festzuliegen schien, zugleich auch anders ist“, weil der Taugenichts, die Gedichte sich von immer neuen Seiten offenbaren, lebt Eichendorff in uns, finden wir in diesem Meister des Konjunktivs Kunst-Welten, die uns noch immer von großer Bedeutung sein können.

Werke: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Begründet von Wilhelm Kosen und August Sauer. Fortgeführt und herausgegeben von Hermann Kunisch 1908ff.; Werke. Mit Anmerkungen von Ansgar Hillach und Klaus-Dieter Krabiel, 1970ff.; Werke, hg. von Wolfdietrich Rasch, 1971; Helga Döhn: Der Nachlaß Josephs von Eichendorff, 1971.

Lit.: Hermann von Eichendorff: Joseph Freiherr von Eichendorff. Sein Leben und seine Schriften, 1864; Wolfgang Frühwald: Eichendorff-Chronik, 1977 (gründlichste Biographie); Gertrud Pulicar: Eichendorff und Wien, Diss. Wien, 1944; Oskar Seidlin: Versuche über Eichendorff, 1964; Paul Stöcklein: Joseph von Eichendorff in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 1963. Bibliographien: Karl Freiherr von Eichendorff: Ein Jahrhundert Eichendorff-Literatur, 1927; Wolfgang Krön: Eichendorff-Bibliographie, in: Eichendorff heute, hg. von Paul Stöcklein, 1966; Klaus Dieter Krabiel: Joseph von Eichendorff. Kommentierte Studienbibliographie, 1971.