Biographie

Ekkert, Woldemar

Herkunft: Rußland (Wolga- u. Schwarzmeer)
Beruf: Schriftsteller, Literaturhistoriker
* 29. November 1910 in Köppental an der Wolga/Rußland

Einer der profiliertesten geistig kulturellen Vertreter der 2,2 Millionen Rußlanddeutschen, Woldemar Ekkert, der sich unermüdlich für die volle Rehabilitierung der Rußlanddeutschen einsetzte, wurde im Wolgadeutschen Dorf Köppental an der Wolga geboren. Er besuchte das Pädagogische Technikum in Seelmann (neben Engels, der Hauptstadt, Marxstadt und Balzer, die vierte Stadt der Wolgadeutschen Republik) und war anschließend drei Jahre Lehrer.

Von 1932-35 studierte er an der Staatlichen Deutschen Lehrerschule in Odesa und blieb dann als Sprach- und Literaturlehrer bei den Schwarzmeerdeutschen am Pädagogischen Technikum in Chortitza und an der Lehrerhochschule in Krementschug am Dnjepr in der Südwestukraine.

Im Krieg wurde er zwangsumgesiedelt. Es gelang ihm aber, sich als Russischlehrer an der Pädagogischen Fachschule in Kansk und in einer Mittelschule im Nordural durchzuschlagen, bis er 1947 in Krasnojarsk am Jenissej in Mittelsibirien landete, wo er zunächst als Deutsch- und Russischlehrer an einer Mittelschule tätig war, dann Lehrstuhlleiter an der Lehrerhochschule wurde und seit 1965 als Dozent an der dortigen Kalmin-Hochschule für Nichteisenmetalle wirkte.

Diese Tausende von Kilometern, die Woldemar Ekkert auf seinem Lebensweg von dem Vaterhaus an der Wolga über Lernen und Lehren im Gebiet der Schwarzmeerdeutschen in der Ukraine über den Ural bis nach Krasnojarsk in Mittelsibirien zurücklegen mußte, sind auch ein Sinnbild des unendlich langen und harten Schicksalweges, den fast die gesamte zwangsumgesiedelte rußlanddeutsche Bevölkerung durch die Schrecken des Zweiten Weltkrieges in eine überviele Tausende von Kilometern gestreute Verbannung zurücklegenmußte.

Seine ersten Gedichte, Kurzgeschichten und Reportagen, hatte Woldemar Ekkert schon Ende der 20er Jahre in der damals noch reichhaltigen rußlanddeutschen Presse veröffentlichen können. Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Zwangsumsiedlung und dem „Sonder-Statut“ der Rußlanddeutschen bis Dezember 1955, veröffentlichte Woldemar Ekkert erst 1977 einen eigenen Band „Blätter, vom Leben beschrieben“ in Alma Ata, in Kasachstan in Zentralasien. In einer Auflage von 3.000 Exemplaren erschienen so seine deutschen Gedichte und Übersetzungen aus dem Russischen, Erzählungen und Literaturkritik. Etwas bunt für einen schmalen Band, aber typisch für das vielseitige Interesse Woldemar Ekkerts. Wenn auch seine Lyrik noch stark der Tradition verhaftet ist, in einer Art volkstümlichen Romantikverständnis mit viel Gemüt und optimistischem Exotismus („Mein Moskau“, „Morgen am Jenissej“), so hat sie sicherlich Woldemar Ekkert für Lyrik und literarisches Bemühen schlechthin sensibilisiert und ihm mit dazu verholfen, sehr einfühlsame Kritiken und Betrachtungen über die rußlanddeutschen Autoren zu verfassen.

Immer bemüht, den rußlanddeutschen Beitrag am Fortschritt des gesamtrussischen Geistesleben nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, hat Woldemar Ekkert gleich zu Beginn von Glasnost und Perestrojka schon im Band l, 1986 des in Buchstärke zweimal jährlich  erscheinenden rußlanddeutschen Literaturalmanachs „Heimatliche Weiten“ (Moskau, 6 000 Exemplare) in seinem groß und übersichtlich angelegten Essay „im Dienste der Heimat“ versucht, „den Beitrag der Rußlanddeutschen zum ruhmreichen Werdegang der russischen Literatur“ in Augenschein zu nehmen. Woldemar Ekkert hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes eine gigantische Aufgabe gestellt, bedenkt man, daß er sämtliche weit zerstreut liegenden Siedlungsgebiete der Rußlanddeutschen vom Baltikum bis an die Wolga, vom Schwarzen Meer über den Kaukasus, Aserbaidschan, Westsibirien und Mittelsibirien bis nach Moskau und Petersburg/Leningrad berücksichtigen wollte. Er fand eine „Notlösung“, indem er sämtliche ihm bekannte und zugängliche Autoren und deren Werke alphabetisch kommentiert auflistete und so eine Art Kernstück eines Lexikons der rußlanddeutschen Autoren, von der Einwanderung zur Zeit Katharina der Großen bis zu Gorbatschows Reformbestrebungen schuf. Dabei gelang es ihm, den trockenen Ton eines Nachschlagwerkes durch viele eigenwillige persönlichere Bemerkungen aufzulockern. Woldemar Ekkert erwies sich hier als ein vielseitig belesener und gründlicher Kenner der Literatur aller deutschen Siedlungsgebiete des ehemaligen russischen Zarenreiches, von der schon mit 16 Jahren verstorbenen Zeitgenossin Goethes, Elisabeth Kuhlmann aus dem Baltikum, die von Goethe sehr geschätzt wurde, bis zu Werner Bergengruen 1892 in Riga geboren, dann nach Deutschland ausgewandert und 1964 in der Bundesrepublik verstorben. Hier, bei diesem bis dahin nur als reaktionär verfemten Autor, weil er 1919 in der baltischen Landwehr auf Seiten der Weißen kämpfte, wagte Woldemar Ekkert eine differenziertere Betrachtung von dessen Hauptwerken „Der Großtyrann und das Gericht“, „Am Himmel wie auf Erden“ und „Dies irae“ („Tag des Zornes“). Ekkert rehabilitierte gewissermaßen in der rußlanddeutschen Presse Bergengruen als einen letztlich doch „progressiven“ Konservativen, als einen Kämpfer gegen Tyrannei und Diktatur, Faschismus und Totalitarismus, der zudem als bedeutender Übersetzer russischer Klassik und als Autor vieler Prosawerke, die Rußland und das Baltikum zum Thema haben, von dauerndem Interesse für das Russische und sowjetische Geistesleben bleibt.

Außerdem kommt noch hinzu, daß die Rußlanddeutschen ein streng eingerahmtes durch weltliche und kirchliche Vorschriften geregeltes Geistesleben führen mußten, und Woldemar Ekkert sich so genötigt sah, ihr Schrifttum demgemäß viel weiter aufzufassen, da auch andere schriftliche Denkmäler als „rein“ schöngeistige Literatur ihr Geistesleben wiederspiegeln.

Der dadurch entbrannte Streit mit dem bekanntesten zeitgenössischen Historiker der Rußlanddeutschen, Lew Malinowski, der Literatur mehr schöngeistig sah und als Historiker auch andere Periodisierungsvorschläge brachte als der Literaturhistoriker Ekkert, hielt das rußlanddeutsche Geistesleben zwei Jahre lang, 1987 und 1988, in Atem, da eine ganze Reihe anderer rußlanddeutscher Kulturschaffender öffentlich Pro- oder Kontrastellungen bezogen. Woldemar Ekkert erwies sich so als ein frischer Wind der rußlanddeutschen Glasnost in der Literaturkritik, denkt man zusätzlich, daß Woldemar Ekkert nun 80 Jahre alt und als Dozent für deutsche Sprache und Literatur in Krasnojarsk am Jenissej im fernen Mittelsibirien, fast 4 000 km, östlich von Moskau, immer wieder auch ablehnende Bescheide erhielt, wenn er sich an die großen Bibliotheken in Moskau, Leningrad, Kiew, Odessa, Saratow, Engels und andere Städte wendet, weil dort die Kataloge unvollständig waren, wie er in einem freimütigen Beitrag im „Neuen Leben“, dem Zentralorgan der Rußlanddeutschen aus Moskau, der Nummer 36/1987 kritisierte, so kann man nur seine nie erlahmende Energie und Ausdauer bewundern, nicht aufzugeben und weiterzumachen.

Ingmar Brantsch