Biographie

Engelmann, Johannes August

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
* 25. Juni 1832 in Mitau
† 4. September 1912 in Dorpat

Johannes Engelmann war der Sohn eines Lehrers und erhielt seine Schulbildung in seiner Heimatstadt Mitau in Kurland, das neben Estland und Livland eine der drei „deutschen“ oder „russischen“ Ostseeprovinzen des Russischen Reiches bildete (heute ist das Territorium dieser Provinzen auf Lettland und Estland verteilt). Im Jahre 1851 nahm der junge Kurländer in St. Petersburg das Jurastudium auf, das er 1855 mit dem Erwerb des Grades eines „Kandidaten der Rechtswissenschaft“ abschloss. Danach arbeitete er wissenschaftlich weiter und konnte 1859 seine Magisterdissertation verteidigen. Ebenso wie seine Kandidatenarbeit, in der er das mittelalterliche Rechtsbuch des russischen Stadtstaates Pleskau/Pskov untersucht hatte, wurde auch seine Magisterdissertation über den Landerwerb nach russischem Recht mit einem bedeutenden Preis ausgezeichnet. Beide Arbeiten erschienen als Monographien in russischer Sprache.

Damit wurde es möglich, dass Engelmann 1860 einen Ruf auf den vakanten Lehrstuhl für russisches Recht an der Universität Dorpat erhielt. Anfangs trug er dort den Titel eines außerordentlichen Professors, doch wurde er bereits 1861 mit dem Ziel, ihn in Dorpat zu halten, zum ordentlichen Professor ernannt. In der Folgezeit wählte man ihn wiederholt zum Dekan seiner Fakultät. Nachdem er die übliche Zeit bis zur Pensionierung deutlich überschritten hatte, wurde er im Jahre 1900 auf eigenen Wunsch aus dem Dienst entlassen.

Im späteren 19. Jahrhundert forcierte die St. Petersburger Bürokratie in den Ostseeprovinzen eine Russifizierungspolitik, die sich primär gegen die Deutschbalten richtete, aber auch die eigenständige Entwicklung der Esten und Letten bedrohte. Im Zuge dieser Politik wurde auch die deutsche Universität Dorpat russifiziert, wobei die Juristische Fakultät besonders früh betroffen war. Seitdem man Engelmann 1887 dazu aufgefordert hatte, seine Vorlesungen hinfort in russischer Sprache zu halten, wehrte er sich gegen diese Entwicklung. Als Rechtskundigem und aufgrund seiner perfekten Kenntnis der russischen Sprache kam ihm beim verbreiteten Widerstand gegen die Russifizierung der Universität eine führende Rolle zu. Der Widerstand blieb jedoch vergeblich. Bezeichnend ist, dass die bisherige deutsche Alma mater im Februar 1893 unter Verwendung eines alten russischen Toponyms für Dorpat in „Universität Jur’ev“ umbenannt wurde.

Wegen seines Auftretens gegen die Russifizierung war Engelmann zeitweilig von der Entlassung aus der Universität bedroht. Für die Behauptung seiner Position war bedeutsam, dass er mit seinen zahlreichen russisch- und deutschsprachigen Publikationen einen sehr wesentlichen Beitrag zur Erforschung und Interpretation des russischen Rechts geleistet hatte. Neben fachlichen Spezialarbeiten ist auch sein Lehrbuch des russischen Zivilprozesses zu nennen, das in russischer Sprache in drei Auflagen erschien, zuletzt 1912 im Umfang von 645 Seiten. Festgehalten sei, dass ihn der russische Rechtshistoriker Michail D´jakonov einmal als „Hauptbaumeister“ des Gebäudes der russischen Rechtswissenschaft bezeichnet hat. In nicht ganz wenigen Veröffentlichungen griff Engelmann außerdem Themen der allgemeinen russischen Geschichte auf. Durch seine deutschsprachigen Bücher, Rezensionen und Lexikonartikel machte er das russische Recht auch in Deutschland bekannt.

Aufschlussreich für Engelmanns Auffassungen ist u.a. seine Monographie über Das Staatsrecht des Kaiserthums Rußland von 1889, in der die Grundsätze und Institutionen des russischen Staatsrechts nicht ohne Kritik dargestellt werden. Im Schlussteil dieses Buches wird das öffentliche Sonderrecht von Est-, Liv- und Kurland behandelt. Hier würdigt Engelmann die Tradition der baltischen Selbstverwaltung und weist negative Folgen der St. Petersburger Russifizierungspolitik für die Rechtsentwicklung in den Provinzen nach. Damit steht er seinem Freund und Kollegen Carl Schirren sehr nahe, der aufgrund seiner stärkeren Radikalität bereits 1869 Dorpat hatte verlassen müssen und nach Deutschland übergesiedelt war (vgl. OGT 2001/2002, S. 130-132). Als deutschbaltischer Pa-triot hob Engelmann die kulturelle Bedeutung der Provinzen für das Russische Reich hervor. Dem Wohle dieses Staates fühlte er sich wie die meisten Deutschbalten trotz der genannten Fehlentwicklung verpflichtet. So erklärt es sich, dass er 1912 ein Dankschreiben an den Rektor der Universität „Jur´ev“ für Glückwünsche zu seinem 80. Geburtstag mit den Worten schloss, er wünsche von Herzen, die Universität möge „zum Nutzen der Wissenschaft, unseres Gebiets und ganz Russlands“ blühen.

Werke (Auswahl): Peter der Große. Seine Jugend und das Wesen sei­ner Reformen, Dorpat 1872. – Die Leibeigenschaft in Rußland. Eine rechtshistorische Studie, Dorpat/Leipzig 1884. – Das Staatsrecht des Kaiserthums Rußland (Marquardsens Handbuch des öffentlichen Rechts, Bd. IV), Freiburg i. Br. 1889. – Kurs russkago graždanskago sudoproizvodstva (Kurs des russischen Zivilprozesses), Jur´ev 1912.

Weitere Quellen: Eesti Ajalooarhiiv (Estnisches Historisches Archiv), Tartu, Bestand 402-3-2001 und 2002 (Universitätsakten Johannes Engelmann).

Lit,: Michail D´jakonov, Ėngel´man, Ivan Egorovič (Engelmann, Johannes), in: Biografičeskij slovar´ professorov i prepodavatelej im­pe­ratorskago Jur´evskago, byvšego Derptskago universiteta, Bd. I, Jur´ ev 1902, S. 596-599. – Wilhelm Lenz (Hrsg.), Deutschbaltisches bio­graphisches Lexikon 1710-1960, Köln/Wien 1970, S. 195. – Roderich von Engelhardt, Die Deutsche Universität Dorpat in ihrer geistesgeschichtlichen Bedeutung, Reval 1933, Register.

Bild: Universitätsbibliothek Tartu

Norbert Angermann