Biographie

Engelmann, Paul

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schriftsteller, Philosoph, Architekt, Möbeldesigner
* 14. Juni 1891 in Olmütz
† 5. Februar 1965 in Tel Aviv

Paul Engelmann entstammt einer jüdischen Familie in Olmütz, die dem kulturellen Leben der ehemaligen mährischen Hauptstadt eine Reihe bedeutender Persönlichkeiten schenkte. Der Vater war Kaufmann, die Mutter Ernestine kam aus einer Gelehrtenfamilie, zu der Männer wie Gideon und Adolf Brecher und Moritz Steinschneider gehörten. In ihrem Haus am Mauritzplatz sammelte Ernestine einen Kreis von Intellektuellen, meist Juden. Darunter waren der Schriftsteller und Dramatiker Max Zweig, der Musiker Fritz Zweig, der Philosoph Friedrich Pater (neben Johannes Österreicher und Paul Engelmann einer der „Drei mährischen Weltbürger“, wie sie Allan Janik nennt), der Musiker und Komponist Egon Kornauth und die Familienangehörigen Peter Engelmann und Anny Engelmann. Peter Engelmann ist als Maler, Karikaturist und Dichter, Anny als Kinderbuchillustratorin bekannt.

Als Kind schwer lungenkrank, erhielt Paul Engelmann meist Privatunterricht, da er oft in Sanatorien war und nur vier Klassen de Gymnasium in Olmütz besuchen konnte. 1911 erhielt er am deutschen k. k. Gymnasium in Olmütz die Matura und be­gann an der Technischen Hochschule in Wien mit dem Studium, das ihn aber nicht befriedigte. Schon 1911 veröffentlichte er in der Fackel sein erstes Gedicht über ein von Adolf Loos entworfenes Haus am Michaelerplatz in Wien.

Der Architekt Adolf Loos und Karl Kraus, der Herausgeber der Fackel, wurden für seinen weiteren Weg bedeutsam, denn Engelmann wurde einer der ersten Loos-Schüler an dessen 1912 gegründeten Bauschule und für Karl Kraus arbeitete Engelmann auch als Privatsekretär. Er sammelte unter anderem für Kraus Zeitungsausschnitte, die dieser dann in seinem Antikriegsdrama Die letzten Tage der Menschheit verwendete. Durch Loos wurde Engelmann auch mit Ludwig Wittgenstein bekannt. Weil Engelmann wegen seiner Lungenkrankheit während des Ersten Weltkrieges nicht Wehrdienst leisten musste, ging er zurück nach Olmütz, wo Wittgenstein an der Artillerie-Offiziersschule lehrte. Die Gespräche zwischen Engelmann und Wittgenstein über Ästhetik. Literatur, Kunst und Musik haben beide Männer gegenseitig entscheidend beeinflusst, vor allem den Tractus logico-Philosophicus Wittgensteins. Das erst nach dem Tod Engelmanns 1967 englisch herausgegebene Buch, das seine Freunde Slimson Stein und Josef Schäfer englisch zusammenstellten Paul Engelmann. Letters from Ludwig Wittgenstein. With a Memoir belegt dies. Brian McGuiness gab es 1970 unter dem Titel Paul Engelmann. Ludwig Wittgenstein. Briefe und Begegnungen deutsch heraus.

1925 gab die Schwester Wittgensteins, Margaret Stonborough Engelmann den Auftrag, in Wien ein Haus zu bauen. Die Überarbeitung der von Engelmann entworfenen Baupläne durch Wittgenstein, wodurch der Bau später als Wittgenstein-Haus bekannt wurde, führte zu einem Abbruch der persönlichen Kontakte, doch beschäftigte sich Engelmann weiterhin bis zu seinem Tod mit Wittgenstein.

Obwohl Engelmann bis nach Kriegsende ständig zwischen Wien und Olmütz pendelte, war er mehr mit Olmütz und seinen jüdischen Strömungen als mit Wien verbunden. In dieser Zeit entstanden seine Gedichte der Sammlung Buch der Erinnerung und die dramatische Ode Orpheus. Wie in vielen jüdischen Gemeinden Mährens nahmen auch in Olmütz nach dem Ersten Weltkrieg die Sympathien für den Zionismus zu. Engelmann war Führer einer zionistischen Jugendgruppe Blau-Weiß und setzte sich kritisch mit der Frage auseinander: „Zionismus oder Assimilation“, was er nicht nur im Jahre der Balfour-Deklaration 1917 und danach, sondern bis zu seinem Tode 1965 tat. Er brachte in Vorträgen, offenen Briefen und Artikeln in Zeitungen seine Kritik am Zionismus bzw. an der zionistischen Politik klar zum Ausdruck, betonte aber auch die Chance eine Gesellschafterneuerung des Judentums. 1917 schickte er sogar einen Friedensplan an verschiedene Politiker.

Nach dem Krieg schuf er als Architekt und Innenarchitekt in Umbauten und Nebenbauten verschiedene Modelle sozialkritischen Bauens: In Olmütz z.B. für das Haus Müller und Seidler, für die Villa der Familie Groß in Libenitz oder die Villa Guttmann des jüdischen Barons in Mährisch-Ostrau. Neben seinem beruflichen Engagement war er aber auch mit seinem Plan beschäftigt, graphisch eine systematische Darstellung der Psychologie zu erreichen, was ihm aber erst lange nach seiner Auswanderung 1934 in den Kriegsjahren seit 1943 gelang, als er sein Werk Psychologie graphisch dargestellt zu Ende führte.

In einem Brief an Wittgenstein deutete Engelmann bereits 1925 seinen Plan an, nach Palästina auszuwandern, was dann im Jahre 1934 erfolgte. Er tat dies als Einziger seine Familie, deren Angehörige meist Opfer der Nationalsozialisten wurden. Seine Schwester Anny wurde am 30. Juni 1942 ins Lager Theresienstadt deportiert, von dort bald weiter nach Malyj Trostinec bei Minsk, wo sie am 14. Juli des gleichen Jahres erschossen wurde. Sein Bruder Peter, der das Pseudonym Peter Eng führte, ging zwar nach dem Anschluss Österreichs mit seiner Frau nach Palästina, kehrte aber nach Olmütz zurück, wo sich beide nach dem Einmarsch der Wehrmacht am 16. März 1939 das Leben nahmen.

In Palästina nahm Engelmann als Architekt Aspekte der Landschaft des Heiligen Landes und seiner Baukultur und Elemente des Terassenbaus, der Lichtverhältnisse und des Klimas in sein Schaffen auf. Dabei entwickelte er seine bei Loos erworbenen Kenntnisse des Raumplanes weiter. Zeugnis dafür sind von ihm entworfene Häuser in Haifa, Ramat-Gan, Tel Aviv sowie der Presse-Klub und das King David-Hotel in Jerusalem oder ein Thronsaal für König Abdallah von Jordanien.

In der neuen Heimat, in der es viele Emigranten aus Böhmen und Mähren gab, hielt Engelmann enge Kontakte mit seinen Landsleuten bei den regelmäßig stattfindenden Philosophischen Abenden. Er gab mit Teilnehmern dieser Abende eine eigene Schriftenreihe Gedanken heraus und veröffentlichte in verschiedenen Zeitschriften seine Ansichten zur politischen und gesellschaftlichen Lage des Landes. „All diese Schriften atmen den Geist von Adolf Loos, Karl Kraus und Ludwig Wittgenstein.“ So urteilt Judith Bakacsy, die Engelmann im Lexikon deutschmährischer Autoren vorstellte.

Seinen drei Vorbildern widmete Engelmann auch Vorträge, Lesungen und Broschüren der Schriftenreihe Gedanken. Er gab in Israel eine Anthologie deutscher Lyrik heraus und übersetzte aus dem Hebräischen ins Deutsche. Der Prager Samuel Hugo Bergmann, der Gründer der Jüdischen Bibliothek in Jerusalem, hat den Nachlass Engelmanns für die Jewish National und University Library vermittelt.

Lit.: Eine ausführliche Bibliographie der Schriften und Beiträge Engelmanns und eine kommentierte Sekundärliteratur bietet Judith Bakacsy in der Loseblatt-Sammlung Lexikon deutschmähriger Literatur, Olmütz 2002, S. 1-6.

Bild: Universität Innsbruck.

Rudolf Grulich, 2017