Biographie

Eulenburg und Hertefeld, Philipp Fürst zu, Graf von Sandels

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Diplomat, Politiker
* 12. Februar 1847 in Königsberg i.Pr.
† 17. September 1921 in Liebenberg, Templin/Uckermark

Philipp von Eulenburg hat weder Begabung und Neigung zum Soldatenberuf oder zum Staatsbeamten und Diplomaten gehabt, noch auch, obwohl musikalisch und dichterisch talentiert, die Kraft zu einem eigenständigen Künstlertum bewiesen. Ihm ist aber auch die Politik fremd geblieben, ja er hat gegen sie eine tiefe Abneigung gehegt. Bismarck hat in einem Brief an seinen Sohn Herbert, seinerzeit Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, bemerkt, Eulenburg, den er in seiner Liebenswürdigkeit gern habe, sei ”auf politischem Gebiet ohne Augenmaß für das, was wichtig oder unwichtig ist”. Und doch hat er in der Geschichte des deutschen Kaiserreiches zeitweilig eine einflußreiche politische Rolle gespielt.

Eulenburgs Vater, ebenfalls Philipp mit Namen, war Offizier aus einem der ältesten ostpreußischen Adelsgeschlechter, seine Mutter, Alexandrine, eine geborene Freiin von Rothkirch und Panthen aus Schön-Ellguth bei Breslau. Die zunächst außerordentlich bescheidenen finanziellen Verhältnisse – man war auf das Gehalt des Vaters als Rittmeister und dann als Major angewiesen – verbesserten sich grundlegend, als die Mutter 1867 den Grundbesitz Liebenberg in der Uckermark und Hertefeld an der holländischen Grenze erbte. Seit 1859 besuchte Eulenburg das Französische Gymnasium zu Berlin und (nach einer Zeit des Privatunterrichts in Nauen b. Berlin) seit 1863 das Vitzthumsche Gymnasium zu Dresden. Bei Kriegsausbruch 1866, der ihn zum Verlassen Dresdens nötigte, legte er das Fähnrichsexamen ab und trat in das Gardedukorps ein. Nach dem Besuch der Kriegsschule in Kassel wurde Eulenburg Ende 1867 als Leutnant nach Potsdam kommandiert. Doch schied er 1869 wieder aus dem Offiziersdienst aus und kehrte auf die Schulbank zurück, um in Weilburg an der Lahn das Abitur nachzuholen. Es blieb für Eulenburg beim Abschied vom Soldatenleben, auch wenn er im Verbande seines Regiments am Deutsch-Französischen Krieg teilnahm und für die Führung eines Pferdetransports nach Paris das Eiserne Kreuz erhielt.

Nach dem Willen des Vaters, der sich für den Sohn die Offizierslaufbahn gewünscht hatte, sollte Eulenburg nun Jurist und Diplomat werden. Seit dem Wintersemester 1872 studierte er an der Universität Leipzig und sodann in Straßburg die Rechte. 1875 bestand er in Kassel das Referendarexamen und wurde zur selben Zeit an der Universität Gießen zum Dr. jur. promoviert. Noch vor Abschluß seiner Referendarzeit am Kreisgericht Neuruppin verheiratete er sich am 20. November 1875 mit der schwedischen Gräfin Augusta Sandels.

Zunächst arbeitete Eulenburg in der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, bald auf diplomatischen Posten (Stockholm und Dresden), um im Herbst 1880 seine diplomatische Prüfung abzulegen. Anfang 1881 ging er als Dritter Sekretär an die Deutsche Botschaft in Paris. Doch bereits am 1. Juli 1881 folgte auf eigenen Wunsch die Berufung als Legationssekretär an die Gesandtschaft in München. Im Aufstieg auf der Karriereleiter hatten ihm – nicht zuletzt infolge des Todes seiner kleinen zuckerkranken Tochter Astrid – die Kräfte versagt. In München und Starnberg rang seine zarte gefühlsbetonte Natur in nordischen Balladen und Skaldengesängen nach Ausdruck; es entstanden die DramenMargot und Der Seestern, deren Aufführung in München und Berlin 1885 und 1887 einiges Aufsehen erregte. Eulenburg pflegte Beziehungen zum Wagner-Kreis; in den Bayreuther Blättern erschien aus seiner Feder ein Aufsatz über den Grafen Gobineau, mit dem ihn eine Bekanntschaft verbunden hatte.

Doch gerade, als er vor den Anforderungen einer diplomatischen Karriere zurückscheute, bescherte ihn eine persönliche Begegnung einen Zugang zu Einfluß und Macht, wie er auch seiner künftigen dienstlichen Stellung (bis 1888 Sekretär in München, 1888 bis 1890 Gesandter in Oldenburg, 1890 in Stuttgart und seit Frühjahr 1891 in München sowie 1894 bis 1903 Botschafter in Wien) in keiner Weise entsprach: Er wurde im April 1886 mit dem Prinzen Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm II. bekannt und faßte zu diesem sofort eine schwärmerische Zuneigung. Es entstand eine Freundschaft, die ”in einer Stimmung gegenseitiger Überschätzung… die richtige Beurteilung der Wirklichkeit von vornherein auf beiden Seiten erschwerte” (W. Bußmann). Eulenburgs Einfluß auf den hohen Herrn war um so stärker, als er dank seiner Beziehungen zu Friedrich von Holstein, der ”grauen Eminenz” im Auswärtigen Amt, aus dessen berühmtem Informationsnetz schöpfen konnte. So hat man von einem ”System Holstein-Eulenburg-Wilhelm II.” sprechen können, das bereits am Sturz Bismarcks seinen Anteil hatte und sich ”als stärker [erwies] denn die über ein Vierteljahrhundert lang angesammelte Macht des freilich rasch alternden Reichsgründers.” (J. G. G. Röhl)

Wo lagen die Triebkräfte Eulenburgs? Persönlicher Ehrgeiz fehlte ihm. Ihn beherrschte die Furcht, die katholischen Höfe in Wien und München sowie die Zentrumspartei könnten mit Hilfe der Kurie, Rußlands und Frankreichs in dem Bestreben, dem protestantischen Kaisertum ein Ende zu machen, eine Revision der Entscheidung von 1866 erstreben. Dessen ungeachtet ist Eulenburg aber in seiner Wiener Zeit zu Kaiser Franz Joseph und dem Thronfolger Franz Ferdinand in ein enges Verhältnis getreten. Das Zentrum schied seiner Meinung nach als Bündnispartner der Reichsleitung aus, die auch in Bayern auf eine Regierung angewiesen sei, die sich auf die nationalliberalen Kräfte im Lande stützte. Überhaupt mußte nach seiner Vorstellung das Reich gemäßigt konservativ, d.h. unter Konzessionen an den ”Liberalismus des deutschen Spießers”, regiert werden, da sich ein Volk von dem Bewußtseinsstand des deutschen etwas anderes auf die Dauer nicht gefallen lassen würde. Aus dieser Überzeugung erklärt sich Eulenburgs Frontstellung gegen Bismarck, der es nach dem Scheitern des sogenannten Kartells aus den Konservativen, der Reichspartei und den Nationalliberalen zur parlamentarischen Unterstützung seiner Politik noch einmal mit dem Zentrum versuchen wollte (Unterredung mit dem Zentrumsführer Ludwig Windthorst vom 12. März 1890).

Zum anderen wollte Eulenburg in seiner ”grenzenlosen Liebe” zum Kaiser ihm, der doch ein ”persönliches Regiment” zu führen beabsichtigte, dabei helfen, das durch den Abgang Bismarcks entstandene Vakuum zu füllen, und ihn in der Betätigung seines ”elementaren Charakterzuges” unterstützen, ”das Königtum durch sich selbst zu bestätigen” (nach einem Brief Eulenburgs an Holstein vom 2. Dezember 1894). Dazu gehörten auch Warnungen vor Fehlern und Fehlentwicklungen, denen freilich der weiche Eulenburg gegenüber dem nach Selbstbestätigung dürstenden Kaiser nicht den nötigen Nachdruck zu geben vermochte. Er machte sich als Begleiter des Monarchen auf seinen Nordlandreisen, bei denen er als Vertreter des Auswärtigen Amtes eine amtliche Funktion ausübte, sowie als Gastgeber seines Herrn in Liebenberg gleichwohl um die Aufrechterhaltung einer geregelten Regierungstätigkeit verdient. Eulenburgs Erfolge waren personalpolitischer Art. Am bedeutungsvollsten ist dabei seine Förderung des mit ihm seit der Pariser Zeit befreundeten Bernhard von Bülow gewesen, in dem er den geeigneten Kandidaten für die Kanzlerschaft ausgemacht zu haben meinte, insofern als er ihm eine geschickte Behandlung des Kaisers und dessen Zügelung zutraute. Tatsächlich löste Bülow auf Eulenburgs Verwendung hin 1897 den Freiherrn von Marschall in der Leitung des Auswärtigen Amtes ab und wurde 1901 nach dem Abgang des alten Fürsten Hohenlohe Reichskanzler.

Damit fällt der Blick auf den Freundeskreis Eulenburgs, zu dem neben Bülow Kuno von Moltke, seit Frühjahr 1893 Flügeladjutant des Kaisers, und Axel von Varnbüler, der seit April 1894 aufgrund einer Verwendung Eulenburgs württembergischer Gesandter und Bundesratsbevollmächtigter in Berlin war, gehörten und dem in einem gewissen Sinne auch der Kaiser zugerechnet werden muß. Dieser Kreis ist zumindest homoerotisch geprägt gewesen. Die Baronin Spitzemberg, die Schwester Varnbülers, notierte in ihrem Tagebuch, sie werde mit ”diesem Clan … nicht warm”: ”Die gegenseitige Verhimmelung und der Mangel an Ernst in vielem ist mir unangenehm…” Hier wurde das Bedürfnis des Kaisers nach ”Weihrauch” befriedigt, wie Hugo Graf Lerchenfeld, der bayerische Gesandte und Bundesratsbevollmächtigte in Berlin, in seinen Erinnerungen schreibt, ein Bewunderer Bismarcks, dessen Abberufung Eulenburg betrieben hatte, ohne freilich durchzudringen. Sicher hat Eulenburg nicht ”in geradezu schamloser Weise den Kaiser umschmeichelt”, wie Lerchenfeld bemerkt, aber er und sein Kreis haben doch tatsächlich ”wesentlich dazu beigetragen …, das Selbstbewußtsein Wilhelms II. noch zu steigern und in ihm die Vorstellung zu erwecken, ein großer Mann zu sein.”

Hier setzten seit 1906 Presseangriffe Maximilian Hardens an, die Eulenburg, der 1903 aus gesundheitlichen Gründen aus dem diplomatischen Dienst geschieden war, vernichten sollten. Doch dürfte das dabei präsentierte Material nicht, wie lange Zeit angenommen wurde, von Holstein stammen, der sich in seiner nunmehrigen Gegnerschaft zum Regiment des Kaisers und seiner ”Kamarilla” von Eulenburg abgewendet und mit Harden zusammengefunden hatte. In seiner Zukunft warf Harden dem Freunde des Kaisers vor, auf diesen einen verderblichen Einfluß auszuüben, was um so schwerer wog, als er ihm homosexueller Verfehlungen bezichtigte. Damit wurde der Eindruck erweckt, der Kaiser sei jahrelang politischen Einflüssen sittlich minderwertiger Männer ausgesetzt gewesen. Davor wich Wilhelm II., noch ehe Eulenburg Gelegenheit hatte, sich von diesen Vorwürfen zu reinigen, zurück; er gab zu erkennen, daß derjenige, den er 1901 zum Fürsten erhoben hatte, nicht mehr in seiner Gnade stand, und suchte so Schaden von der Krone und seiner Person abzuhalten, was freilich kaum gelang. Eulenburg indessen strengte gegen Harden einen Beleidigungsprozeß an, in dessen Verlauf er unter Eid Hardens Behauptung, er habe sich homosexueller Verfehlungen schuldig gemacht, bestritt. Daraufhin beschuldigte Harden den Fürsten des Meineids, was zu einem Strafprozeß führte, der aber, da Eulenburg gesundheitlich zusammenbrach, niemals zu Ende geführt werden konnte.

”Bei allem Abscheu gegen die an Hexenjagd erinnernde Homosexuellenverfolgung Maximilian Hardens und bei allem Mitgefühl für die Tragödie eines Mannes, der mit seiner Familie aus der allerhöchsten Höhe in den Abgrund gestützt wurde”, so schreibt John C. G. Röhl, ”wird man dem politischen Motiv hinter der Hardenschen Kampagne gegen die Eulenburg- ‚Kamarilla‘ eine gewisse Berechtigung zugestehen müssen.” Es ging um unkontrollierte Einflüsse, solche ”unverantwortlicher Ratgeber” auf einen lediglich konstitutionell beschränkten Monarchen, noch dazu einen wie Kaiser Wilhelm II., der beeindruckbar war und zu impulsivem Handeln neigte. Davon war das öffentliche Interesse berührt. Freilich war Eulenburgs Einfluß begrenzt. Nachdem 1894 der Kaiser entschlossen schien, die Kräfte des ”Umsturzes” mit einem Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie, also nicht auf dem Boden des gemeinen Rechts, zu bekämpfen und, falls die dieser Absicht entsprechende Vorlage im Reichstag scheitern sollte, zum Mittel eines Staatsstreichs zu greifen, schreckte er schließlich doch davor zurück. Reichskanzler Caprivi, der einem Verfassungskonflikt widerstrebte, wurde nicht durch Botho von Eulenburg ersetzt, einen Vetter Eulenburgs, den dieser dem Kaiser empfohlen hatte. Angesichts der im Reichstag herrschenden Stimmung sowie dank der Unterstützung durch die Bundesstaaten konnte Caprivi, an dessen Stelle Fürst Hohenlohe trat, noch ”im Falle”, wie man zutreffend gesagt hat, eine kaiserliche Konfliktpolitik verhindern. Der Spielraum der kaiserlichen Gewalt, in deren Kompetenz die Personalangelegenheiten fielen, wurde durch das Eigengewicht der übrigen Faktoren der Reichsverfassung de facto eingeengt. Damit war einem ”persönlichen Regiment” des Kaisers jenseits der verfassungsmäßigen Ordnung schon im Ansatz ein Riegel vorgeschoben.

Quellen: John C. G. Röhl (Hrsg.): Philipp von Eulenburgs Politische Korrespondenz, 3 Bde., Boppard a. Rh. 1976-1983. – Fürst Philipp zu Eulenburg: Mit dem Kaiser als Staatsmann und Freund auf Nordlandreisen, aus dem Nachlaß hrsg. von Augusta Fürstin zu Eulenburg, 2 Bde., Dresden 1931.

Lit.: Fritz Hartung: Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierungen im konstitutionellen Preußen 1848-1918. In: ders. Volk und Staat in der deutschen Geschichte, Leipzig 1940. – John C. G. Röhl: Graf Philipp zu Eulenburg – des Kaisers bester Freund, in: ders., Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik, München 1987 (zuerst in der Politischen Korrespondenz; s.o.). – Helmuth Rogge: Holstein und Harden. Politisch-publizistisches Zusammenspiel zweier Außenseiter des Wilhelminischen Reiches, München 1959. – Neue Deutsche Biographie, Bd. 4, Berlin 1959, S. 681-683 (W. Bußmann mit weiterer Lit.).

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_zu_Eulenburg

Peter Mast