Biographie

Fessler, Ignaz Aurel

Herkunft: Rußland (Wolga- u. Schwarzmeer)
Beruf: Historiker, Superintendent, Bischof
* 18. Mai 1756 in Zurndorf/Westungarn
† 15. Dezember 1839 in St. Petersburg

Ein Mönch und Priester, der zum lutherischen Bischof wird – nicht im 16. Jahrhundert, sondern im 18. Jahrhundert. Dies ist die sehr kurze Zusammenfassung des Lebensweges von Ignaz Aurelius Feßler. Diese beiden Eckpunkte verdeutlichen die Spannungen und Wandlungen eines sehr ereignisreichen Lebens; sie deuten aber auch an, welchen Fronten er sich gegenübersah im Laufe seines langen Lebens.

Am 18. Mai 1756 im damals ungarischen Zurndorf geboren, wuchs Feßler zweisprachig auf. Die Familien seiner Eltern stammten aus Oberdeutschland. Sein Herz schlug zeitlebens für den ungarischen Patriotismus, ohne daß es ihn hinderte, sich dem Volk zugehörig zu fühlen, bei dem er sich gerade aufhielt und mit dem er lebte, seien es nun Österreicher, Deutsche oder Russen. Er kannte noch keinen Nationalismus.

Sowohl in Zurndorf als auch in den weiteren Lebensorten seiner Jugend (schon 1756 siedelte die Familie nach Preßburg [ung. Pozsony/slow. Bratislava] und 1766 nach Raab [ung. Győr]) hatte vor allem seine Mutter Anna Maria, geb. Kneidinger, Kontakt mit lutherischen Gemeinden. Zu deren Veranstaltungen nahm sie auch ihren Sohn mit, der dadurch schon früh Erfahrungen über die Grenzen seiner eigenen Konfession hinaus machte.

In Raab, wo der Vater in den Diensten des Weihbischofs stand, besuchte er ab 1766 das Jesuitengymnasium und wechselte 1770 im Rahmen des damals beliebten Kindertausches für eine Zeit nach Preßburg. Vergeblich versuchte er 1772 in Raab dem Jesuitenorden beizutreten; wegen seiner Jugend wurde das Gesuch abgelehnt. U. a. führte dies dazu, daß er 1773, beeinflußt von seinem Cousin Georg Kneidinger, Philosophielektor im Ofener (Budaer) Kloster der Kapuziner, diesem Orden unter dem neuen Namen Innocentius beitrat.

Eigene Erfahrungen und der Einfluß des reformierten Freimaurers Freiherr Joseph Podmaniczky (1756-1823) erschütterten seinen noch ganz aus der Kindheit gespeisten Glauben an die römisch-katholische Kirche und vor allem an den Ordensstand. Hochgebildet fand er Halt bei der Lektüre Senecas und versuchte, durch die Aufnahme in den Priesterstand und die mögliche Übernahme eines Pfarramtes dem Kloster zu entkommen. 1776 erhielt er in Großwardein (ung. Nagyvárad) die vier niederen Weihen. Intensivem Studium folgte am 29. Mai 1779 die Primiz. Feßler wurde Priester zu einem Zeitpunkt, als er – wie er selbst schreibt – „im Unglauben erstarret“ war. Es folgten Aufenthalte in verschiedenen Klöstern.

Auf seine direkten Beschwerden hin versuchte Kaiser Josef II. 1784, durch Untersuchungen und strenge Auflagen einerseits die Bildung des Klerus zu erhöhen und andererseits Mißstände in den Klöstern abzuschaffen. Etwaigen Nachsetzungen durch seinen Orden entzog er den Mönch, indem er ihn zum Lektor für orientalische Sprachen und Altes Testament in Lemberg berief, wo Feßler auch seine schriftstellerische Tätigkeit begann. Für den Unterricht erschienen seine „Anthologia hebraica“ (1786) und die „Institutiones linguarum orientalis“ (1787). Seit dem 1. Mai 1784 war Feßler Mitglied der Freimaurerloge „Phoenix zur runden Tafel“ in Lemberg. Die Beschäftigung mit der Philosophie führte zu literarischer Beschäftigung. In historischen Romanen wollte er seine weltanschaulichen Ansichten kundtun. Sein erster Roman sollte „Marc Aurel“ werden. Ein in Vorbereitung darauf verfaßtes Trauerspiel „Sidney“ führte allerdings dazu, daß er Lemberg verlassen mußte und nach Breslau floh. Eine Hauslehrerstelle bei Wilhelm von Schönaich-Carolath gab ihm ein Auskommen. Diese Verbindung brachte ihn mit der herrnhutischen Brüdergemeine zusammen. 1791 trat Feßler in Beuthen an der Oder zur lutherischen Konfession über. Damit war eine von ihm immer wieder angestrebte Rückkehr nach Ungarn endgültig aussichtslos geworden.

1796 siedelte er nach Berlin, wo er maßgeblich an der Gründung der Berliner Mittwochsgesellschaft beteiligt war und gemeinsam mit Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) den Auftrag erhielt, die Statuten der Freimaurerloge „Royal York zur Freundschaft“ neu zu formulieren und zu modernisieren. Streitigkeiten und seine geringe Bereitschaft zu Kompromissen führten allerdings 1802 zu seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Freimaurerbund. Als die polnischen Gebiete an Preußen fielen, wurde er für diese nun preußischen Provinzen in Berlin von 1798 bis 1807 „Rechtskonsulent in geistlichen und Schulangelegenheiten Neu-Ost- und Südpreußens“. In diese Zeit fällt auch das Scheitern seiner Ehe mit der Tochter des Beuthener Stadtrichters Henrici – sie dauerte von 1792 bis 1802 und wurde nie vollzogen – und die Heirat mit seiner zweiten Frau Caroline Marie Wegeli (1773-1823) am 22. November 1802.

Immer war er mit Schreiben beschäftigt und im Gespräch mit den Geistesgrößen seiner Zeit. Im Wechsel entstanden philosophische oder theologische Abhandlungen sowie historische Romane, die er aber nicht als Romane verstanden wissen wollte, sondern als Geschichtsschreibung, der jeweils die Durchdringung der in den Personen inneliegenden Ideen zugrundeliegt. Seine Hoffnung, in Deutschland, am besten in Berlin, eine Professur zu erlangen, erfüllte sich nicht. 1809 nahm er deshalb einen Ruf als Professor für orientalische Sprachen an die Alexander-Newsky-Akademie in St. Petersburg an. Durch sein lutherisches Bekenntnis waren Auseinandersetzungen innerhalb der orthodoxen Einrichtung vorprogrammiert; sie führten zu einem baldigen Verlust seiner Anstellung. Feßler zog nach Wolsk, vor allem um in Ruhe an seinem großen Werk, der „Geschichte der Ungern und ihrer Landsassen“ zu arbeiten – der letzte, 10. Band erschien in Leipzig 1825. Gleichzeitig war er Aufseher einer philanthropischen Erziehungsanstalt. 1815 band er sich enger an die Brüdergemeine und zog mit seiner Familie in ihre Kolonie Sarepta an der Wolga, wo er 1816 inneren religiösen Frieden und eine Höchstschätzung der Bibel fand; seit Jahrzehnten nahm er erstmals wieder an einem Abendmahl teil.

Als Kaiser Alexander I. (1777-1825) für die evangelischen Konfessionen Rußlands eine gemeinsame Organisation schaffen wollte, wurde Feßler 1819 Superintendent und Bischof (im November 1719 in Borgo in apostolischer Sukzession geweiht) von Saratov. Sein Gebiet umfaßte schließlich zehn umliegende Gouvernements und hatte eine Größe von über 1,1 Mio. Quadratkilometer. Von nun an galt seine ganze Aufmerksamkeit dem Aufbau und der Festigung einer evangelischen Kirche in Rußland.

1823 starb seine zweite Frau und Feßler heiratete ein weiteres Mal: die Witwe Amalia Mauvillon, geb. von Reimers (* 1789). Schon 1824 zog er ein Resümee über sein Leben, obwohl dieses noch 15 Jahre dauern sollte. Hochbetagt, auf ein überaus bewegtes Leben zurückblickend, starb er am 15. Dezember 1839 in St. Petersburg, wohin er schon 1827 gerufen worden war, um an der Neuordnung der evangelischen Kirche in Rußland mitzuarbeiten.

Feßlers Verdienste um die Organisation der russischen lutherischen Kirche sind gar nicht hoch genug einzuschätzen, sein Einfluß auf das europäische Geistesleben war jedoch eher mittelbar. Er war zu seiner Zeit ein mit allen geistigen Strömungen vertrauter Mann, auch wurde er von allen diesen Strömungen wahrgenommen. Besonders das literarische Deutschland las ihn. Seine Geschichte der Ungarn, die er, der ein glühender ungarischer Patriot gewesen ist, auf Deutsch verfaßte, wurde für viele zum Schlüssel für ein authentischeres Verständnis des östlichen Mitteleuropas, besonders der Gebiete des ungarischen Reiches.

Lit.: ADB 6, 723-726. – RE 4 (1855), 375-377. – Peter F. Barton, Ignatius Aurelius Feßler: vom Barockkatholizismus zur Erweckungsbewegung, Wien/Köln 1969.

Werke (Auswahl): Anthologia hebraica e sacris hebraeorum libris depromta adjecta versione latina et annotationibus, Leopoli 1787. – Institutiones linguarum orientalium, Hebraicae, Chaldaicae, Syriacae et Arabicae, cum Chrestomathia Arabica J. G. Eichornii. Pars prior. Vratislaviae, 1787. Pars posterior: Institutiones linguae Chaldaicae et Arabicae complectens. Leopoli 1789. – Die Geschichte der Ungern und ihrer Landsassen, 10 Bde., Leipzig 1815-1825. – Sämmtliche Schriften über die Freimaurerei, 3 Bde., Freyberg 1804. – Fesslers Ansichten von Religion und Kirchenthum, Berlin 1805. – Dr. Fesslers Rückblicke auf seine siebzigjährige Pilgerschaft: ein Nachlaß an seine Freunde und an seine Feinde, Breslau 1824. – Dr. Fesslers Resultate seines Denkens und Erfahrens als Anhang zu seinen Rückblicken auf seine 70 jährige Pilgerschaft, Breslau 1826. – Hist.Romane: Marc. Aurel, 4 Bde., Breslau. 1790-1792. – Aristides und Themistocles, 2 Bde., Berlin 1792. – Mathias Corvinus, 2 Bde., Breslau 1793-94. – Attila, Breslau 1794. – Alexander der Eroberer, Berlin 1797. – Theresia, 2 Bde., Breslau 1806. – Abälard und Heloisa, 2 Bde., Berlin 1807. – Bonaventura’s mystische Nächte, Berlin 1807. – Alonso, 2 Bde., Leipzig 1808. – Der Groß-Hof- und Staats-Epopt Lotario, Berlin 1808. – Die drey großen Könige der Hungarn aus dem Árpádischen Stamm, Breslau 1808. – Der Nachtwächter Benedict, Berlin 1809. – Die alten und die neuen Spanier, 2 Bde., Berlin 1810.

Bild: Porträt von János Rombaum, 1821.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Ignaz_Aurelius_Fe%C3%9Fler

Markus Hein