Biographie

Franke, Hermann

Herkunft: Ostbrandenburg, Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Komponist, Musikpädagoge, Chorleiter
* 9. Februar 1834 in Neusalz/ Oder
† 1. Januar 1919 in Sorau/ Niederlausitz

Es gibt zahlreiche Komponistinnen nun Komponisten, welche durch regionale und zeitgebundene Erfolge in das Karteiwesen der Musik gelangten und unbeachtet weitergeführt werden. Ihre Rezep­tions­geschichte besteht im Fortschreiben des wenigen, bereits Vorliegenden. Zu diesem Kreis gehört auch Hermann Franke, der lexikalisch noch im 21. Jahrhundert erfasst ist. Sein genaues Todesdatum ist nicht überliefert.

Hermann Franke verbrachte die Schulzeit wohl in seinem Geburtsort Neusalz/Oder. Er studierte dann bei Adolf Bernhard Marx in Berlin, dessen Kompositionsunterricht, mu­sikjourna­listisches und musikmethodisches Schrifttum ihm den Weg zu eigenem breitem Wirken wies. Nach kurzer Zeit als Kantor in Crossen/Oder kam er 23-jährig in die Kreis­stadt Sorau. Sorau war als Reichsgräflich Promnitzsche Residenzstadt durch den Musik­theoretiker und Kantor Wolfgang Caspar Printz und das Wirken von Georg Philipp Telemann als Hofkapellmeister des Grafen Erdmann von Prom­nitz eine Stadt mit musi­kalischer Vergangenheit. 200 Ouvertüren im französischen Stil hatte Tele­mann in Sorau komponiert, auch hatte er als Begleiter des Grafen Erdmann bei Reisen nach Krakau und in die oberschlesischen Besitzungen polnische und hana­kische Volksmusik kennenge­lernt, Eindrücke, die er in sein Schaffen immer wieder wirkungsvoll aufnahm.

Franke war in Sorau als Klavierlehrer, Kirchenmusiker sowie Gesangslehrer am Gymna­sium und an der höheren Töchterschu­le tätig. 1869 wurde er Kantor der Hauptkirche St. Marien, wo er über Jahrzehnte den Gemischten Chor und den Evangelischen Kirchen­chor leitete und auch größere oratorische Werke aufführte. Außerdem war er Dirigent des Bürger-Gesangvereins.

Schon mit den ersten Kompositionen knüpfte er an seine praktischen Tätigkeiten an. Es entstanden erste instruktive Klavierstücke, die in dem bekannten Breslauer Verlag C.F. Hientzsch erschienen. Die 6 Kinderstücke op. 2 hatte er dem berühmten Klavierpädago­gen Louis Köhler (Braunschweig 1820-1886 Königsberg) „hochach­tungsvoll zu­geeignet“, der mit seinen Klavierstücken für den Unterricht Franke wohl Vorbild war und einen größeren Teil seiner früheren Kompositionen ausmachen: 6 Klavierstücke für die Jugend op. 3, Märchenbuch – 8 leichte Stücke op. 12, Zum Vorspielen – 20 kleine charakter. Tonbilder op. 16, 3 Sonatinen op. 28, Tanzkränzchen – 6 leichte Tanzweisen op. 37 u.a. Manche Stücke fanden Aufnahme in Sammelwerke. Lokalgeschichtlich interessant ist der Druck der Klavierstücke Der Abschied op. 24 und Schön‘ Ellen op. 25 in einem Sorauer Verlag namens Linke.

Auch seine Tätigkeit als Gesangslehrer am Gymnasium zeigt sich in entsprechenden Sammlungen, wie Zur Hausmusik. Liederalbum für die Jugend mit 50 Liedern nach Hoffmann von Fallersleben und anderen norddeutschen Dichtern des Auf­schwungs wie Ernst Moritz Arndt, Klaus Groth, Hans Ferdinand Maßmann. Noch umfangreicher war die Sammlung Das Kirchenjahr – 52 Sprüche und Motetten zum Gebrauche von Kir­chen- und Schulchören op. 74 (Vieweg Bln.-Lichter­felde). Größeren Anteil am Schaffen hatten weltliche Chöre, entsprechend seiner Tätigkeit mehr Männerchöre. Erwähnt seien ca. 35 Klavierlieder, teils mit zwei Stimmen (je Zehn Gesänge op. 30, op. 70).

Franke betätigte sich auch als Rezensent, nicht nur für die Sorauer Zeitung. 1867 er­schien sein Handbuch der Musik in dem schlesischen Großverlag Flemming in Glogau, das als vorzüg­lichstes der kleineren Musiklexika gerühmt wurde; zu nennen ist noch Vor­trag des Liturgischen Gesanges, ein Handbuch für evangelische Geistliche (Lpz. 1891).

Für seine großen Verdienste um das Musikleben der Stadt Sorau als deren Musikauto­rität über viele Jahre und seine überregio­nale Bekanntheit als Komponist, einige Werke erhielten Preise, wurde er 1883 zum Kgl. Musikdirektor ernannt.

Ein Meisterwerk ist die Sonate g-moll op. 69 für Violoncello und Klavier (Hientzsch/ Breslau), die durch weitere Auflagen bei Ries & Erler /Berlin bekannt wurde. Es ist ein Werk, das im musikalischen Schwung und in Erzählfreudigkeit den Mendels­sohnschen Cellosonaten nicht nachsteht, mit seinem östlichen Kolorit eigene Wege auf­zeigt und mit tänzerischer Gebärde auch auf die Cellosonate g-moll von Chopin ver­weist. Man würde dieser Sonate, die den Komponisten Hermann Franke staunens­wert artikuliert, gerne öfter im Konzertsaal begegnen. Zu überprüfen wäre, ob sich weitere Werke solcher Qualität in seinem Schaffen finden. Bezüglich der Kammermusik wäre noch das Klaviertrio C-Dur op. 27 zu erwähnen, ein elegantes Werk, mehr Gesell­schaftsmusik als Hausmusik, das im Variationssatz das deutsche Volkslied Wenn ich ein Vöglein wär … mit einer polnischen Mazurka verbindet; verdienstvoll die Einspielung des Malinconia-Ensembles Stuttgart (Label Cornetto).

Frankes Oratorium Isaaks Opferung op. 75 für Soli, gemischten Chor, Gemeindegesang, Orgel und Harmonium hatte zu seiner Zeit gewisse Bekanntheit erreicht. Das Werk ent­stand aus dem Bestreben, den Gemeindegesang stärker in den Gottesdienst einzubezie­hen und das sentimentale Kirchenlied zu verdrängen, im Sinne jener evangelischen Kir­chenmusikbewegung, die u. a. von dem Theologen Friedrich Zimmer (1855-1919) an­geregt und in dessen in der Königsberger Zeit veröffentlichter Denk­schrift über die Ein­führung von Oratorien mit Gemeindegesang (1885) verdeutlicht wurde. Es war auch eine Gegenbewegung zur Dominanz der „Oratorien im Frack“. In Zimmers 14bändiger Sammlung von Kirchenoratorien und Kantaten, die 1886 bis 1896 bei Breitkopf & Här­tel Leipzig prominente Drucklegung erfuhr, erschien auch Frankes Werk. Weitere Kom­ponisten der Reihe waren u. a. der Königsberger Domorganist Konstanz Bernecker (Darkmehnen 1844-1906 Königsberg), der Theorieprofessor Reinhold Succo (Görlitz 1837-Breslau 1897) sowie der Königsberger Musikdirektor Robert Schwalm (Erfurt 1845-1912 Königsberg).

Frankes Oratorium Isaaks Opferung op. 75 entstand wohl auf Veranlassung von Zim­mer, aus dessen Feder die Textvorlage stammt. Die Zueignung „Dem Andenken an mei­nen Sohn Felix Franke“ weist auf ein tragisches Geschehen, das sinn­fällig die Thematik des Werkes widerspiegelt. Dies erklärt auch das Ende von Frankes heiterem, unbe­schwerten Komponieren. Er wandte sich dann mit mehreren Motetten-Zyklen aus­schließlich geistlicher Chormusik zu. Erkennbar ist, dass er in den 1890er Jahren das Komponie­ren einstellte, wohl auch in Folge der schnell fortschreitenden Entwicklung der Spätro­mantik, die seine postmendelssohnsche Stilistik zurückfallen ließ.

Franke hatte mit seinen Kompositionen, belegt sind ca. 100 gedruckte Opera, zu seiner Zeit durchaus Erfolg; ein großer Bestand hat sich in der Berliner Staatsbibliothek erhal­ten. Das abgelegene Sorau mit seinen kleinen Verhältnissen führte zu Beschränkungen im Wirken und kompositorischen Schaffen, bei großer Arbeitsbelastung und wirkte sich nicht nur im Bezug zur schlesischen Metropole Breslau, sondern auch in den Ent­fernungen zu den anderen Musikzentren Berlin und Sachsens nachteilig aus, trotz seiner Beziehungen zu Verlegern an verschiedenen Orten oder zu Kollegen, wie z.B. die Wid­mung „Herrn Dr. W. Rust in Hochachtung“ seiner Motetten op. 71 von 1884 an den Leipziger Thomaskantor oder Briefe an den Herausgeber der Schweizerischen Musik­zeitung Arnold Niggli belegen. Besonders das Fehlen einer Lehrstelle mit Schüler­schaft an einem Großstadtkonservatorium wirkte sich negativ auf eine Rezeption aus.

Ein Wesenszug ist uns durch den Dichter Christian Morgenstern überliefert, der seit 1890 in Sorau aufs Gymnasium ging und über Franke als wichtige Bezugsperson berich­tete. In einer für ihn schwierigen Zeit konnte er von seinem Musiklehrer Zuwen­dung erfahren und mit ihm Spaziergänge machen, in vertraulichem, generationenübergreifen­dem Gespräch – sozusagen zwischen abgeklärter und aufbrechender Künstlerschaft. Aus dieser Begegnung spricht Frankes Hinwendung und Gesprächsfähigkeit zur nachkom­menden Generation; dies belegen ja auch seine zahlreichen Kompositionen für die Ju­gend. Franke hatte Morgenstern nicht aus den Augen verloren – eine letzte Reminiszenz war Das Königskind op. 91 für Männerchor (erschienen 1907) nach Morgenstern.

Lit.: Div. Musiklexika. – Max Hesses Deutscher Musiker-Kalender 1900, Leipzig 15. Jg., S. 441. – Franz Pazdirek, Universal-Handbuch der Musikliteratur usw., 1904-1910, Werkverz. S. 508-511. – Emil Engelmann, Geschichte der Stadt Sorau, Sorau 1936, S. 39. – Bernward Speer, Hermann Franke, in Schlesisches Musiklexikon, hrsg. Lothar Hoffmann-Erbrecht, Augsburg 2002, S. 171f. – Helmut Scheunchen, Hermann Franke Klaviertrio op. 27 in Beiheft CD Malinconia – Werke für Klaviertrio. – Malinconia-Ensemble Stuttgart, Label Cornetto Stuttgart 2006. – Udo W. Acker, Chri­stian Morgenstern und Sorau, in: Schlesischer Kulturspiegel 45. Jg. 2010, H. 1, S. 21f.

Friederike Scheunchen