Biographie

Fränkel, Hans-Joachim

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Theologe, Bischof
* 31. August 1909 in Liegnitz/Schlesien
† 21. Dezember 1996 in Marburg/Lahn

„Freiheit, Rechtsgleichheit usw. sind im Marxismus-Leninismus an das Maß der Leistung für den Sozialismus gebunden, werden also auf Grund erfüllter Bedingungen nachträglich zugesprochen. Damit aber werden Menschenwürde und die mit ihr verbundenen Freiheiten wie Grundrechte in ihrem Wesen verkannt. Sie sind das, was sie sind, nur, wenn sie als dem Menschen vorgegeben anerkannt und nicht unter das Soll einer bestimmten Gesinnung gebeugt werden. Der letzte Grund für dieses Vorgegebensein, das in der bekannten Erklärung der Vereinten Nationen naturrechtlich begründet wird, liegt in Gottes Schöpfung und Erlösung. Die Anerkennung dieses Vorgegebenseins ist ein unbewältigtes Problem in unserer Gesellschaft. Das hängt damit zusammen, dass unsere Gesellschaft sich als Einheitsgesellschaft unter dem ideologischen Führungsanspruch einer Partei formieren soll, und das in einem Volk, in welchem bereits seit der Reformation, dann aber besonders durch die seit der Aufklärung bedingte geschichtliche Entwicklung eine Mehrheit von Überzeugungen und Weltauffassungen besteht und bestehen wird. Anerkennung des Vorgegebenseins der grundlegenden Menschenrechte bedeutet die Respektierung dieser Pluralität und damit echte Toleranz, durch die zwar der ideologische Führungsanspruch der Partei nicht aufgehoben, aber begrenzt wird.“

Diese Sätze aus einem Synodal-Vortrag vom Jahr 1973 zeugen von dem Mut und von der theologischen Klarheit des Görlitzer Bischofs Hans-Joachim Fränkel. Es ist durchaus verständlich, dass er wegen dieser und ähnlicher Reden von der DDR-Regierung bekämpft, unter den Christen in der DDR aber weit über seine eigene restschlesische Landeskirche hinaus geachtet, ja bewundertwurde. Auch das Symposion, das aus Anlass seines hundertsten Geburtstages im Sommer 2009 in Görlitz und Jauernick abgehalten wurde, zeigte noch einmal sehr eindrucksvoll, dass die Erinnerung an ihn, eingeschlossen die heiteren, originellen, auch problematischen Seiten und Zeiten seines Lebens, durchaus noch lebendig ist. Gern stimmten die Beteiligten darin überein, dass es ein gutes Zusammentreffen war: Das Gedenken an den Fall der Mauer in Berlin vor zwanzig Jahren und das Gedenken an die Lebensleistung des Görlitzer Bischofs aus Anlass seines Geburtstages vor hundert Jahren.

Geboren wurde Hans-Joachim Fränkel am 31. August 1909 in Liegnitz. Sein Vater, Paul Fränkel (1875-1911), war Studienrat; die Mutter, Margarethe geb. Barth (1876-1963), Lehrerin. In Liegnitz ist Hans-Joachim auch bis zum Abitur im Jahr 1928 in die Schule gegangen. Nach dem Theologiestudium 1928 – 1932 in Breslau und Tübingen und I. Theologischem Examen 1933 absolvierte er seine Vikariatsjahre in verschiedenen Gemeinden der Bekennenden Kirche (BK), darunter auch in Kreuzburg OS. Bereits hier zeigte sich seine kirchenpolitische Grundentscheidung: Fränkel unterstellte sich nicht dem landeskirchlichen Konsistorium in Breslau, sondern dem Bruderrat der BK, der sich von der staatsverbundenen Haltung der Kirchenprovinz distanzierte. So besuchte er 1935 auch das Predigerseminar der BK in Naumburg am Queis, das unter der Leitung des Pfarrers Dr. Gerhard Gloege (1901-1970) stand. Im gleichen Jahr wurde er in Oppeln wegen staatsfeindlicher Äußerungen in einer BK-Versammlung für vier Wochen inhaftiert. In der Frage der Zusammenarbeit mit den staatlicherseits eingesetzten Kirchenausschüssen kam es 1936 zur Spaltung der schlesischen BK. Die in der Christophori-Synode versammelte BK arbeitete mit dem Konsistorium und den Kirchenausschüssen unter Leitung von Bischof D. Otto Zänker zusammen, die Naumburger Synode lehnte gerade diese Zusammenarbeit ab. Fränkel entschied sich für die Naumburger und legte vor dem Bruderrat dieser Synode das II. Theologische Examen ab. Am 17. August 1936 erhielt er durch Pfarrer Ernst Hornig (1894-1976), Präses der Naumburger Synode, die Ordination.

Inzwischen war die Gestapo auf den jungen Pfarrvikar aufmerksam geworden. 1936 kam es zu einem Sondergerichtsverfahren gegen ihn, das zwar mit einer Amnestie, aber auch mit der Entfernung aus den Gemeinden Pirschen Kreis Neumarkt und Kaltwasser Kreis Lüben endete. Fränkel ging nach Kreuzburg, 1938 nach Seidenberg. 1940 folgte die Einberufung zur Wehrmacht. In Russland verwundet, wurde er 1943 aus der Wehrmacht entlassen. Nach Schlesien zurückgekehrt, heiratete er die Braut seines gefallenen Freundes, Ruth Schonke (1912-1976). Aus der Ehe gingen die Söhne Hans-Werner, Christian und Gottfried hervor. Zum großen Schmerz der Eltern starb der Sohn Hans-Werner 1955 an Leukämie, ein Ereignis, das das Familienleben anhaltend überschattete.

Das Kriegsende erlebte die Familie in Breslau. Dort war Hans-Jochim Fränkel ab 1943 in der St. Trinitatisgemeinde als Pfarrvikar eingesetzt. Er stellte sich der BK-Notkirchenleitung unter Pfarrer, dann Bischof Ernst Hornig zur Verfügung, wurde zum Kirchenrat ernannt und 1946-1947 als Vertrauensmann für die Landeskirchen und zur Betreuung der vertriebenen schlesischen Pfarrer in die britische Zone entsandt.

Nach Görlitz zurückgekehrt arbeitete Fränkel eng mit Bischof Hornig im Konsistorium zusammen, daneben verwaltete er die Pfarrstelle Buchholz bei Rothenburg OL. 1950 erfolgte dann die Berufung zum Oberkonsistorialrat und Inhaber der Pfarrstelle Buchholz, 1953 in den Theologischen Ausschuss der APU (Altpreußischen Union).

Inzwischen war auch den zuständigen SED-Kadern klar geworden, was sie von Fränkel zu halten hatten. Seine Parteikritischen Äußerungen auf der EKD-Synode im Jahr 1958 lösten eine Diffamierungskampagne gegen ihn aus. Wie die nach dem Untergang der DDR aufgefundenen Stasi-Akten zeigen, wurde sein öffentliches und privates, besonders auch familiäres Leben von der Staatssicherheit fortlaufend bespitzelt und mit dem Ziel der Einschüchterung durch Zersetzung mit gezielten operativen Maßnahmen bedroht. 1964 übernahm Fränkel von Ernst Hornig das Bischofsamt und damit bis 1979 die Leitung der kleinen Landeskirche an der Neiße. 1965 mit dem Ehrendoktor der Theologischen Fakultät Bonn ausgezeichnet, wurde er 1969 zum Ratsvorsitzenden der EKU (Ev. Kirche der Union) – Bereich DDR gewählt, ein Amt, das Fränkel bis 1973 ausübte.

Am 7. Juni 1976 starb Ruth Fränkel nach schwerer Krankheit. Der Witwer blieb lange allein. 1979 ging Fränkel in den Ruhestand und zog nach Marburg. Von hier aus hat er am 28. Januar 1984 in zweiter Ehe Charlotte Lehmann (1920-2006) geheiratet. Nach der Wiedervereinigung, 1993, ist ihm von der Stadt Görlitz in Anerkennung seiner Haltung während der deutschen Teilung die Ehrenbürgerschaft verliehen worden. Anlässlich der Hochzeit eines Enkels war er im August 1996 zum letzten Mal in Görlitz. Am 21. Dezember 1996 ist Hans-Joachim Fränkel in Marburg gestorben. Der Trauergottesdienst in der Görlitzer Lutherkirche stand unter dem Wort Hiob 19,25: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und er wird mich hernach aus der Erde auferwecken“. Beigesetzt wurde D. Hans-Joachim Fränkel am 28. Dezember 1996 auf dem Friedhof in Görlitz-Rauschwalde.

Werke: Berichte vor der Görlitzer Provinzialsynode, fortlaufend in: Kirchl. Jb. d. EKD. – Glaubwürdigkeit durch Eigenständigkeit. Gespräch mit dem früheren Görlitzer Bischof H.-J. F., in: Kirche im Sozialismus, Berlin 1980, S. 11-16. – Interview mit H.-J. F., Marburg, in: Helmut Matthies: Zwischen Anpassung und Widerstand. Wiesbaden [1981], S. 23-33. – Der Kirchenkampf in Schlesien, in: JSKG 66, 1987, S. 169-186. – Die Evangelische Kirche von Schlesien nach 1945, in: JSKG, 67, 1988, S. 183-205. – Der Kirchenkampf in Schlesien, in: Peter Maser (Hrsg.): Der Kirchenkampf im deutschen Osten und in den deutschsprachigen Kirchen Osteuropas, Göttingen 1992, S. 49-66.

Lit. (Auswahl): Konrad Feige, Was ein Ostpfarrer alles erleben kann, in: JSKG 34 (1955), S. 165-177. – Ernst Hornig, Die Schlesische Kirche bald nach dem zweiten Weltkrieg, Teil I in: JSKG 47 (1968), S. 123-191. – Ders., Die Schlesische Kirche bald nach dem zweiten Weltkrieg, Teil II in JSKG 48 (1969), S. 102-179 –Walter Delius, Die Neuordnung der Ev. Kirche der APU in den Jahren 1945-1951, in: JBBKG 46 (1971) S. 131-146 – Gerhard Rauhut (Hg.), Die ev. Schlesier (Die Unverlierbarkeit ev. Kirchentums aus dem Osten Band 2/ Heft 4), Lübeck 1975. – Ulrich Hutter, Die ev. Kirche Schlesiens im Kirchenkampf 1933-1945. Darstellung und Quellen, in: JSKG 67 (1988) S. 117-163. – Hans-Joachim Kühne, Ev. Kirche in der schlesischen Oberlausitz, in: JSKG 70 (1991), S. 199-207; Benrath, Gustav Adolf/ Hutter-Wolandt, Ulrich/ Meyer, Dietrich/ Petry, Ludwig/ Weigelt, Horst (Hg.), Quellenbuch zur Geschichte der Ev. Kirche in Schlesien, München 1992. – Dietmar Neß, Die Neuordnung der schlesischen Kirche in der Oberlausitz 1945-1951, in: Wegmarken der Oberlausitzer Kirchengeschichte. Düsseldorf/ Görlitz 1994, S. 66-73. – Ders. (Hg.), Bischof Ernst Hornig. Rundbriefe aus der Ev. Kirche von Schlesien 1946-1950. Sigmaringen 1994. – Ders. (Hg.), Die Ev. Kirche im Görlitzer Kirchengebiet im SED-Staat. Beobachtungen, Analysen, Dokumente. Folge 1, Düsseldorf 1997 (Studien zur Schlesischen und Oberlausitzer Kirchengeschichte 2). – J. Jürgen Seidel, Die Görlitzer Kirche und ihre Anfänge 1945, in: JSKG 73 (1994), S. 125-145. – Christian-Erdmann Schott, Von der Kirchenprovinz Schlesien zur Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz. in: JSKG 74 (1995), S. 73-92. – Ders., Die Spaltung der Bekennenden Kirche Schlesiens, in: JSKG 81 (2002) 1-14 – SBZ-Handbuch 1990. – Biographisches Handbuch der SBZ/ DDR 1945-1990, 1996, S. 192. – TRE 30 (1998), S. 197-200. – Martin Greschat (Hg.), Deutsche und polnische Christen. Erfahrungen unter zwei Diktaturen, Stuttgart 1999. – J. Jürgen Seidel, Art. Fränkel, H. J. in: BBKL XXIII/2004, S. 396-398. – Andreas Neumann-Nochten, Zum 100. Geburtstag v. Bischof D. H.-J. Fränkel, in: SGF 60. Jg., 10/2009, S. 153-155.

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Christian-Erdmann Schott