Biographie

Freytag, Gustav

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller, Journalist, Kulturhistoriker
* 13. Juli 1816 in Kreuzburg/Oberschlesien
† 30. April 1895 in Wiesbaden

Gustav Freytag stammte aus einer großbürgerlichen Familie, sein Vater war von Beruf Arzt und wirkte fast vier Jahrzehnte als Bürgermeister von Kreuzburg, seine Mutter war die Tochter eines lutherischen Pfarrers. Nach dem Schulbesuch in seiner Heimatstadt wechselte Gustav Freytag 1829 auf das Gymnasium in Oels, wo er 1835 das Abitur ablegte. Danach nahm er das Studium der deutschen Philologie in Breslau auf, wechselte 1836 nach Berlin, wo er – ein Schüler von Karl Lachmann – 1838 mit einer Arbeit über die Anfänge der dramatischen Poesie bei den Germanen (De initiis scencicae poesis apud Germanos) promoviert wurde. 1839 habilitierte er sich in Breslau über Roswitha von Gandersheim (De Hrosvitha poetria. Adjecta est comedia Abraham inscripta). Bis 1847 lehrte er in Breslau als Privatdozent, beendete seine akademische Karriere jedoch, als sich ihm keine Aussicht auf eine Professur bot.

Seit Anfang der 1840er Jahre hatte Freytag sich wiederholt als Lyriker und Dramatiker versucht, wobei ihm das 1840 entstandene Lustspiel Die Brautfahrt oder Kunz von der Rosen über Kaiser Maximilian erste überregionale Anerkennung eingetragen hatte. Doch erst 1847 feierte Gustav Freytag, der in dieser Zeit neben Theaterstücken auch Gedichte schrieb, mit dem Schauspiel Die Valentine einen so durchschlagenden Erfolg, dass er sich ganz der schriftstellerischen Laufbahn zuzuwenden getraute. Im gleichen Jahr heiratete er Emilie, geschiedene Gräfin Dyhrn, geborene Scholz (1811-1875). Er verließ Breslau und lebte die kommenden Jahre in Dresden und (seit 1848) in Leipzig, wo er Umgang unter anderem mit Ludwig Tieck, dem Schauspieler Eduard Devrient, dem Verleger Salomon Hirzel, dem Althistoriker Theodor Mommsen und dem jungen Heinrich von Treitschke pflegte. Sein Auskommen fand Frey­tag seit 1848, zusammen mit dem Literaturhistoriker Julian Schmidt (geb. 1818 in Marienwerder, gest. 1886 in Berlin), als Herausgeber der periodischen Zeitschrift Die Grenzboten. Unter Freytag und Schmidt entwickelte sich die Zeitschrift zum führenden Sprachrohr des nationalliberalen Bürgertums und zum wichtigsten Organ des literarischen Realismus. Gustav Freytag trug durch engagierte und anschauungsreiche journalistische Essays über aktuelle politische und soziale Themen wie über historische Ereignisse maßgeblich zu dieser nationalliberalen Profilierung – und sehr viel weniger zu den literaturtheoretischen Diskussionen in dieser Zeitung – bei. Angesichts seiner journalistischen Tätigkeit erschien es Freytag angeraten, Leipzig in den politisch unruhigen Zeiten nach dem Scheitern der Nationalversammlung zu verlassen. 1851 ließ er sich in Siebleben bei Gotha nieder, wo er sich durch seine Freundschaft zu Herzog Ernst August von Sachsen-Coburg und Gotha sicher fühlte.

In den folgenden Jahren etablierte sich Gustav Freytag als erfolgreicher Schriftsteller. Anfang Dezember 1852 kam in Breslau Die Journalisten zur Uraufführung. Das Lustspiel wurde zu einem anhaltenden Erfolg und blieb über Jahrzehnte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Dauergast auf den Spielplänen deutscher Theater. Das Stück galt der Literaturkritik lange als eine der besten deutschen Komödien überhaupt. Es handelt von zwei befreundeten Journalisten, Bolz und dem Juden Schmock, die Fragen der Wahrheit, der Moral und der Verantwortung von Journalisten verhandeln. Freytags Lustspiel löst sich allerdings nicht aus seinem engen zeitgeschichtlichen Kontext heraus, vielmehr geht es dem Autor letztlich nur darum, konservative und liberale Positionen zusammenzuführen, um die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Lösung der na­tio­nalen Einheit aufzuzeigen. Noch erfolgreicher war der 1855 in drei Bänden erschienene Roman Soll und Haben. Auch dieser Entwicklungsroman griff die aktuellen politischen Fragen Deutschlands auf und entwarf ein großes Gesellschaftspanorama. Ein idealisiertes (groß-)bürgerliches Lebensmuster wird sowohl adligen als auch jüdischen Verhaltensweisen gegenüber gestellt und als moralisch überlegene soziopolitische Existenzform für ein zu einigendes Deutschland vorgeführt.

Dieser Roman, der Freytag zu Lebzeiten endgültig Ruhm und vor allem Reichtum einbrachte (im Todesjahr erschien die 43. Auflage), wurde nach 1945 gegen seinen Autor verwendet. Insbesondere die Figur des jüdischen Kaufmanns Veitel Itzig – des ‚bösen‘ Antagonisten zum guten ‚Deutschen‘ Anton Wohlfahrt – trug ihm den Vorwurf des Antisemitismus ein, der sich schnell verfestigte und sogar die von Rainer Werner Fassbinder geplante Verfilmung scheitern ließ. Dieser Vorwurf nährt sich letztendlich aus einer grundlegenden Schwäche des Erzählers Freytag, der nämlich seine Hauptfiguren fast immer als Stereotypen anlegt. Dennoch tat Freytag schon zu Lebzeiten viel, jedem Verdacht eines Antisemitismus mit Schriften – etwas gegen Richard Wagner – oder öffentlichen Aktionen – so als einer von 75 prominenten Unterzeichnern einer Warnung vor der Petition des Hofpredigers Adolf Stoecker – sichtbar entgegen zu treten.

Gustav Freytag blieb Zeit seines Lebens ein Liberaler, der den Ideen von 1848 ebenso anhing wie er als Bewunderer Preußens eine kleindeutsche Lösung unter Führung der Hohenzollern unterstützte. 1867-1870 saß er als Abgeordneter der Nationalliberalen Partei sogar im Reichstag. Freytag war dabei ein deutscher Großbürger, geprägt durch das kleinstädtische Milieu seiner Kindheit, der an eine kulturelle Überlegenheit ‚des‘ Deutschen glaubte und das deutsche Bürgertum als Keimzelle und Stabilisator eines geeinten Deutschlands betrachtete. Seine anderen großen literarischen Werke machen das noch deutlicher als Soll und Haben. Zwischen 1859 und 1867 erschienen fünf Bände Bilder aus der deutschen Vergangenheit, das anhand ausgewählter Quellentexte eine Bildungs- wie Kulturgeschichte der Deutschen entwirft. Mit diesem eher historischen Werk korrespondiert der letzte große Roman Die Ahnen, 1872-1880 in sechs Bänden vorgelegt. Freytag verfolgt hier die Schicksale einer deutschen Familie von der germanischen Frühzeit bis in seine Gegenwart, in der die deutsche Geschichte mit dem Hause Hohenzollern auf ihren Höhepunkt geführt zu sein scheint. Danach versiegte die literarische Produktivität.

Nach dem Tod seiner ersten Frau hatte Gustav Freytag zunächst ihre Haushälterin Marie Kunigunde Dietrich (1846-1895) geehelicht, von der er sich aber 1890 scheiden ließ, um im Jahr darauf in dritter Ehe Anna Strakosch (1852-1911) zu heiraten. Seit 1876 lebte er wegen seiner angegriffenen Gesundheit die Winter über immer in Wiesbaden. Als er dort 1895 verstarb, verlor das deutsche Bürgertum einen Autor, der dessen „Führerschaft auf dem Gebiet idealer und praktischer Interessen“ (Bilder aus der deutschen Vergangenheit) im Wilhelminischen Kaiserreich wie kaum ein anderer im Einklang mit einer tiefen nationalliberalen Überzeugung literarisch deklariert hat. Daraus erklärt sich der zeitgenössische Erfolg des Schriftstellers Gustav Freytag, dadurch beschränkt sich aber auch die literaturgeschichtliche Bedeutung seines umfangreichen Werks.

Werke: Die Brautfahrt oder Kunz von der Rosen. Lustspiel in 5 Akten, Berlin 1840. – Der Gelehrte. Trauerspiel in 1 Akt, Berlin 1844. – In Breslau. Gedichte, Breslau 1845. – Deutsche Geister. Festspiel, Breslau 1845. – Die Valentine. Schauspiel in 5 Acten, Berlin 1846. – Graf Waldemar. Schauspiel in 5 Akten, Dresden 1847. – Dramatische Werke. 3 Bde., Leipzig 1848-1850. – Die Journalisten. Lustspiel in 4 Akten, Leipzig 1854. – Soll und Haben. Roman in sechs Büchern. 3 Bde., Leipzig 1855. – Die Fabier. Trauerspiel in 5 Acten, Leipzig 1859. – Bilder aus der deutschen Vergangenheit. 5 Bde., Leipzig 1859-1867. – Neue Bilder aus dem Leben des deutschen Volkes, Leipzig 1862. – Die Technik des Dramas, Leipzig 1863 (12. Aufl. Leipzig 1912. Neubearb. Berlin 2012). – Die verlorene Handschrift. Roman in fünf Büchern. 3 Teile, Leipzig 1864-1865 (Bd. 1–2, 80. Aufl. Leipzig 1922). – Karl Mathy. Geschichte seines Lebens, Leipzig 1870. – Die Ahnen. Roman. 6 Bde., Leipzig 1872-1880. – Wolf Graf von Baudissin, Leipzig 1880. – Doktor Luther. Eine Schilderung, Leipzig 1883. – Gesammelte Werke. 22 Bde., Leipzig 1886-1888. – Gesammelte Aufsätze. 2 Bde., Leipzig 1888. – Eduard Tempeltey (Hrsg.), Gustav Freytag und Herzog Ernst von Coburg im Briefwechsel 1853 bis 1893, Leipzig 1804. – Hermance Strakosch-Freytag u.a. (Hrsg.), Gustav Freytag-Briefe an seine Gattin, Berlin 1912. – Hans F. Helmoldt (Hrsg.), Gustav Freytags Briefe an Albrecht von Stosch, Stuttgart 1913. – Georg Witzmann (Hrsg.), Herzog Ernst II. und Gustav Freytag. Ergänzende Briefe auf Grund der Briefe Freytags an seine Gattin und Albrecht von Stosch, in: Mitteilungen der Vereinigung für Gothaische Geschichte und Altertumsforschung 1914, S. 5-23. – Margret Giller, Jürgen Matoni (Hrsg.) Gustav Freytags Briefe an die Verlegerfamilie Hirzel. 3 Bde., Berlin 1990-1995, Heidelberg 2000.

Lit.: Otto Mayrhofer, Gustav Freytag und das Junge Deutschland, Marburg 1907 (ND New York [u.a.] 1968). – Roland Freymond, Der Einfluss von Charles Dickens auf Gustav Freytag. Mit besonderer Berücksichtigung der Romane ‚David Copperfield‘ und ‚Soll und Haben‘, Prag 1912 (ND Hildesheim 1973). – Georg Droescher, Gustav Freytag in seinen Lustspielen. Weida i.Th. 1919. – Claus Holz, Flucht aus der Wirklichkeit. „Die Ahnen“ von Gustav Freytag. Untersuchungen zum realistischen historischen Roman der Gründerzeit. 1872-1880, Frankfurt a.M. [u.a.] 1983. – Jürgen Matoni/ Margarete Galler, Gustav-Freytag-Bibliographie, Dülmen 1990. – Martin Gubser, Literarischer Antisemitismus. Untersuchungen zu Gustav Freytag und anderen bürgerlichen Schriftsstellern des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1998. – Hartmut Scheible, Gustav Freytag als Germanist, in: Frank Fürbeth u.a. (Hrsg.), Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien in Europa. 150 Jahre Erste Germanistenversammlung in Frankfurt am Main (1846-1996), Tübingen 1999, S. 241-258. – Benedict Schofield, Privat lives and collective destinies. Class, nation and the folk in the works of Gustav Freytag (1816-1895), London 2012. – Rafał Biskup (Hrsg.), Gustav Freytag (1816-1895). Leben – Werk – Grenze, Leipzig 2015. – Günter Bauerfeind, Reinhard Ponick, Wie die Götter, zweigeteilt! Gustav Freytag in Siebleben. Zum 120. Todestag 2015, 200. Geburtstag 2016, Arnstadt 2015. – Bernt Ture von zur Mühlen, Gustav Freytag. Biographie, Göttingen 2016. – Hans-Werner Hahn, Dirk Oschmann (Hrsg.), Gustav Freytag (1816-1895). Literat – Publizist – Historiker, Köln [u.a.] 2016.

Bild: Kulturwerk Schlesien.

Axel Walter, 2017