Biographie

Fuchs, Immanuel Lazarus

Herkunft: Posener Land
Beruf: Mathematiker
* 5. Mai 1833 in Moschin/Posen
† 26. April 1902 in Berlin

Lazarus Fuchs, der Sohn eines Lehrers, studierte in Berlin, vornehmlich bei K. Weierstraß und E. E. Kummer. Eine Preisaufgabe Kummers bearbeitete Fuchs 1857, wofür er das Accessit erhielt und erstmals in Fachkreisen bekannt wurde. Die Arbeit legte er 1858 verbessert als Dissertation vor. Die Promotionsgebühren erließ Kummer dem Doktoranden, da „ich nicht gern von dem Geld etwas nehmen möchte, an dem Hunger und Entbehrung haften“.

Fuchs lehrte an verschiedenen höheren Schulen in Berlin. 1860 wechselte er vom israelitischen zum protestantischen Glaubensbekenntnis. Nachdem er sich 1865 habilitiert hatte, wurde er 1866 a. o. Professor als Nachfolger Arndts. Zur Habilitation legte er keine eigentliche Habilitationsschrift vor, sondern fünf frühere Arbeiten, u. a. die Dissertation und Manuskripte.

Nachdem Fuchs zwei Jahre lang Vorlesungen an der Artillerie- und Ingenieurschule gehalten hatte, ging er als Ordinarius nach Greifswald (Vorgänger: L. Koenigsberger, Nachfolger: W. Thome), 1974 nach Göttingen und 1875 nach Heidelberg.

Die Zänkereien um die Besetzung von Professorenstellen an der Universität Berlin endeten für Fuchs derart, daß Weierstraß‘ Bemühen, für den ausscheidenden Kummer L. Kronecker und Fuchs zugeteilt zu erhalten, Erfolg hatte: Am 24.4.1884 teilte der Minister mit, daß Fuchs ab dem 7.4.1884 nach Berlin berufen sei. Von 1892 bis zu seinem Tod besorgte er die Herausgebergeschäfte des Journals für die reine und angew. Mathematik. Im WS 1890/91 war Fuchs zum Dekan gewählt worden, 1899/1900 bekleidete er das Amt des Rektors. Im Mathematischen Verein, einer lockeren Gruppierung mit fachlichen Vorträgen und ohne studentischen Wichs, hielt M. Hamburger am Sterbetag Fuchs‘ die Gedächtnisrede. Der in Breslau geborene Fr. Schottky wird Nachfolger von Fuchs.

Zunächst hatte sich Fuchs mit geometrischen und funktionstheoretischen Fragen befaßt. Angeregt durch Weierstraß führte Fuchs ab 1865 dessen Theorie der Differentialgleichungen (Dgln.) für algebraische Koeffizienten weiter. Zeitlich an Riemann anschließend, beschäftigte sich Fuchs mit linearen Dgln. n-ter Ordnung im Komplexen, ging aber nicht den von Riemann gebahnten Weg, sondern knüpfte in elementarerer Weise wieder direkt an die explizit gegebene Dgl. n-ter Ordnung

y(n) + p1(z) y(n-1) + … + pn(z) y = 0

an. Er studierte in erster Linie die Dgln. in der Umgebung singulärer Punkte und konnte beweisen, daß sich die partikulären Lösungen ebenso einfach verhalten wie in dem von Gauß 1812 angegebenen Fall der hypergeometrischen Gleichungen, wenn die Koeffizienten pi(z) rationale Funktionen sind. Diese Klasse homogener linearer Dgln. ist als „Fuchssche Klasse“ bekannt geworden. Wichtig für Fuchs war, die Eigenschaften der Lösungen zu ergründen und erst danach numerische Näherungen zu berechnen. Die Lösung in Form von Potenzreihen hatte zwar schon Cauchy angegeben, Fuchs bewies diese Vermutung und zeigte zusätzlich, daß die Potenzreihen absolut und gleichmäßig konvergent sind.

Den Terminus „Fundamentalsystem“ für homogene lineare Dgln. führte Fuchs 1866 ein. Um 1884 arbeitete er auch über nichtlineare Dgln. höheren als ersten Grades. In der Nachfolge von Kummer und Fuchs entstand eine eigene „Berliner Schule“, indem Fuchs‘ Schüler (vornehmlich G. Frobenius und Fr. Schottky) die grundlegenden Fuchsschen Arbeiten ausbauten. Und heute besteht die Theorie der Dgln. im Komplexen im wesentlichen aus der Theorie der Gleichungen Fuchsschen Typs. Zwei Wirkungen hatten die Arbeiten von Fuchs und seiner in derselben Richtung wirkenden Schüler: Viele Probleme der mathematischen Physik wurden hier als Spezialfälle erfaßt, und es wurde der Boden bereitet für die von Poincaré und Klein geschaffene Theorie der „automorphen“ Funktionen.

Weitere Schüler, die über das Fuchssche Spezialgebiet arbeiteten, sind sein Verehrer L. Heffter, sein Schwiegersohn L. Schlesinger sowie Thome und P. Günther. Verdienste erwarb sich Fuchs auch dadurch, daß er der Tochter eines russischen Generals, Sonja Kowalewsky, zur Promotion verhalf. Ein anderer Schüler, E. J. Wilczynski, begründete eine „amerikanische Schule“ der Theorie der Dgln. Vorlesungen hielt Fuchs über Differential- und Integralrechnung, Theorie der Abelschen Funktionen, Reihenlehre und natürlich über lineare Dgln. nebst Anwendungen auf physikalische Probleme. Bei den Vorlesungen „führte er im behaglichen Tempo den Anfänger in die Schwierigkeiten ein, warb für die Sache und regte zur die Weiterarbeit an“ (Heffter).

Fuchs hat der Mathematik von der Mitte des 19. Jahrhunderts an eine „neue Provinz“, eine „neue Ära“ erschlossen, deren Richtung jahrzehntelang von anderen weitergeführt wurde, obwohl auch Kritik an seiner zu engen „Schule“ auftauchte. Da er „unentschlossen, ängstlich, zaudernd, schwankend, dabei aber humorvoll und von aufopfernder Güte war“, trat Fuchs stets hinter anderen, nach Prestige trachtenden Männern zurück. Er erblickte wahren Lohn nicht in Ehrungen, sondern in der Freude an der Arbeit: „Dieser Lohn ist invariabel und keine Funktion des Wohlwollens der Mitmenschen“, schrieb er einmal.

Werke: Fuchs, R. und Schlesinger, L. (Herausg.): Lazarus Fuchs. Gesammelte mathematische Werke. Bd. 1-3. Berlin 1904/09; Fuchs, L.: „De superficierum lineis curvaturae“ (Doktorvater: Kummer, Zweitgutachter: Ohm). Dissertation 1858. Als Verbesserung der eingereichten Arbeit auf Kummers Preisaufgabe nach der Auffindung noch nicht bekannter Krümmungslinien von Flächen; Fuchs, L.: Über die Perioden, welche aus den Wurzeln der Gleichung wn = l gebildet sind, wenn n eine zusammengesetzte Zahl (d.h. keine Primzahl) ist. In: Journal f.d.r.u.a. Math. 1863(61).

Lit.: Biermann, K.-R.: Die Mathematik und ihre Dozenten an der Universität Berlin. Berlin 1974; Dieudonné, J. (Herausg.): Abrege d‘histoire des mathematiques 1700-1900, II. Paris 1978; Hamburger, M., in: Archiv der Mathematik und Physik, 3. R., 2. Bd., 1902, S. 177-186; Heffter, L.: I. L. Fuchs zum 100. Geburtstag am 5. Mai 1933. Sem. Ber. der Berl. Math. Ges. 1950-51, 5-11; Stepanow, W. W.: Lehrbuch der Differentialgleichungen. Berlin 1956; Wallenberg, L., in: Naturwiss. Rundschau 17, 1902, S. 293-296.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Lazarus_Fuchs

Karl Röttel