Biographie

Fühmann, Franz

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 15. Januar 1922 in Rochlitz an der Iser
† 8. Juli 1984 in Berlin

Franz Fühmanns Vaterhaus stand im böhmischen Riesengebirge; es war die Apotheke (mit pharmazeutischem Kleinbetrieb) Rochlitz. Das sensible Kind erfuhr seine natürliche und soziale Umwelt mit wachen Sinnen und reger Phantasie, im Heranwachsen auch bald die Krisenhaftigkeit der elterlichen Ehe. Bereits vor dem Eintritt in die Volksschule des Lesens und Schreibens kundig gemacht, empfing der Junge für sein tagträumerisches Treiben vielerlei literarische Anregungen, und Dichten wurde ihm schon früh zu festen Gewohnheit, die der Vater stolz förderte. Lange bevor er es ahnen konnte, war damit sein beruflicher Weg entschieden, sowenig sich doch die folgenreichen Wendungen des Lebenswegs absehen ließen.

Nach der Volksschule wurde der begabte Fühmannsohn 1932 in die Obhut des jesuitischen Konvikts Kalksburg bei Wien gegeben. Streng geführt, errang der Ehrgeizige sehr gute Leistungen, bis die Minderung der väterlichen Finanzkraft zum Wechsel zwang. Am Reichenberger Realgymnasium aber geriet der Schüler weit unter seine Möglichkeiten und mußte ins nähere ReformrealgymnasiumHohenelbe umgesetzt werden, von wo er sich im September 1939 am liebsten gleich in den Kriegsdienst begeben hätte. Denn inzwischen war er ganz ins nationalsozialistische Fahrwasser geraten. Nach dem Notabitur 1941 mußte er sich zunächst mit dem Reichsarbeitsdienst begnügen, konnte aber noch im selben Jahr nach einer Bruchoperation in die Rolle eines Nachrichtensoldaten überwechseln. Hitlertreu bis zum letzten Kriegstag, schrieb er dennoch keine Kampfgesänge, sondern eher besinnliche oder gar düstere Verse. Erste Proben davon erschienen ab 1942, 1944/45 in der Wochenzeitung Das Reich. In sowjetischer Kriegsgefangenschaft brachten harte körperliche Arbeit und politische Umerziehung eine radikale Lebenswende. Insbesondere von der ungeheuerlichen Judenvernichtung der Nazis erschüttert, wurde er als Antifa-Schüler zum gläubigen Anhänger des stalinistisch gefaßten Marxismus, der sich auf ein politisches Wirken im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands vorbereitete, wohin er Ende 1949 entlassen wurde. In der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD), die 1948 von er SED als Auffangbecken für reumütige Nazis sowie ehemalige Beamte und Offiziere gegründet worden war, stieg er rasch zu eiern führenden Kulturfunktionär auf, dabei immer mit eigenen literarischen Arbeiten beschäftigt und publizistisch tätig. Nachdem sich die kommunistische Führung in Moskau intern ausdrücklich mit schweren Verbrechen Stalins befaßt und Anstöße zu ideologischen, vor allem kulturpolitisch relevanten Wandlungen gegeben hatte, kam es auch in der Spitze der NDPD zu Differenzen. In diesen Zusammenhängen unter Kritik geraten, schied Fühmann 1958 aus dem Apparat der Partei aus (als Mitglied erst Ende 1972).

War der Autor Fühmann in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre vorzugsweise mit Lyrik hervorgetreten und zu novellistischem Verarbeiten seiner Kriegserfahrung übergegangen, so suchte er als freier Schriftsteller endlich eigene Einblicke in das tatsächliche Leben der Gesellschaft seiner Wahl zu gewinnen. Das umfangreichste Ergebnis seiner Bemühungen wurde das BuchKabelkran und Blauer Peter (1961). Diese anschaulich genaue Darstellung seines Eindringens in die Arbeitswelt der großen Rostocker Schiffswerft brachte Fühmann laute Anerkennung, schien er doch als Verfasser einer „sozialistischen  Betriebsreportage“ beispielgebend  dem Bitterfelder Weg“ zu folgen (also der Linie Ulbrichtscher Kunstpolitik seit 1959). Franz Fühmann jedoch, längst ungemein vielseitig bemüht, ließ sich nicht auf Gewünschtes festlegen, sonderntrachtete vielmehr immer entschiedener nach der Entfaltung aller seiner literarischen Möglichkeiten. Die Folge der Kriegserzählungen, mit Kameraden (1955) begonnen, fand durch die anspruchsvolle Novelle König Ödipus(1966) ihren Abschluß, die Reihe der Kinder- und Jugendbücher, 1959 mit einem alltagsbezogenen Märchen eingeleitet, wurde durch erneuernde Nacherzählungen überlieferter Werke der Weltliteratur fortgesetzt: Reineke Fuchs (1964), Shakespeare-Märchen (1968), Das hölzerne Pferd. Die Sage vom Untergang Trojas und von den Irrfahrten des Odysseus (1968), Das Nibelungenlied neu erzählt (1971). Diese Gruppe seiner Arbeiten krönte er mit dem mythologischen Roman Prometheus (1974) und dem äußerst reichen Sprachspielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel (1978). Im späten Rückblick wertete der Autor seine Werke aus den fünfziger und sechziger Jahren radikal ab, indem er das fiktive Tagebuch Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens (1973) als seinen eigentlichen Eintritt in die Literatur bezeichnete, weil er aus der Arbeit an diesem Buch erstmals selbst gewandelt hervorgegangen sei. Neben manchem Gedicht und den besten Kriegserzählungen hat aber auch der Novellettenzyklus Das Judenauto (1961) trotz mancher Schwächen seine Gültigkeit als Auskunft über den Weg des Autors zur Entscheidung für die DDR. Freilich: das offene Diarium übertrifft den strikt geschlossenen Zyklus bei weitem durch Qualitäten wie thematische Vielfalt und gedankliche Tiefe, rigorose Selbstbefragung und stilistische Eleganz. Das Tagebuch, das übrigens erste Traumerzählungen enthält und Einblick in die Werkstatt des verdienten Nachdichters gibt, ist nicht zuletzt ein dynamischer Anlauf zur Essayistik, die für Fühmann in der Folgezeit ein Hauptfeld seiner Anstrengungen wurde. Der ersten Sammlung Erfahrungen und Widersprüche (1975) mit gewichtigen Grundsatz-Erörterungen folgten intensive Studien zu E. T. A. Hoffmann und 1982 als ein letztes vollendetes Hauptwerk der Essay Vor Feuerschlünden (Rostock) bzw.Der Sturz des Engels (Hamburg), schwer errungene, aber überzeugende Einheit von Trakl-Deutung und sozialismuskritischer Bilanz eigener Lebenserfahrung. Das letzte Jahrzehnt Franz Fühmanns stand im Zeichen eines immer weniger auszugleichenden Dissenses mit dem SED-Regime. Allmählich zum scharfsichtigen Kritiker des Realsozialismus geworden, setzte er sich mutig für politisch unterdrückte Begabungen ein und stimmte entschieden für eine Frieden schaffende Weltinnenpolitik von unten (Rede bei der Berliner Begegnung zur Friedensförderung 1981). Viele in dieser schweren Zeit entstandene, fast allen Gattungen zugehörige dichte Texte vermögen dem Leser erlebbar zu machen, welche humanen Maße und Werte dem geläuterten Franz Fühmann als unbedingt verbindlich galten: Wahrheit und Wahrhaftigkeit, kritische Selbstbefragung und Toleranz, Würde und Verzicht, einen anderen Menschen zum Mittel eigener Zwecke zu machen.

Das über zehn Jahre hin aufwendig angestrebte Opus magnum mit dem Arbeitstitel Das Bergwerk,mit dessen Ausführung erst der schon vom Tode gezeichnete Dichter begann, blieb ein Fragment, dem nur wenig von der vorbedachten metaphorischen Substanz eignet. Doch nicht nur deshalb erklärte sich Franz Fühmann in seinem Testament von 1983 für gescheitert. Bereits vordem hatte er die Überzeugung gewonnen, Schreiben sei immer ein Scheitern; und vor allem empfand er äußerst schmerzhaft, gescheitert zu sein in der Hoffnung auf eine Gesellschaft, „wie wir sie alle einmal erträumten“.

Gesammelte Werke: 9 Bände, Rostock 1977 – 1988. – Kirke und Odysseus. Ein Ballett, Rostock 1984. – Das Ohr des Dionysios. Nachgelassene Erzählungen, Rostock 1985. – Die Schatten. Ein Hörspiel, 1986. – Alkestis, Rostock 1989. – Im Berg, Texte und Dokumente aus dem Nachlaß, Rostock 1991.

Lit.: Zwischen Erzählen und Schweigen. Ein Buch des Erinnerns und Gedenkens. Franz Fühmann zum 65. Rostock 1987. – Uwe Wittstock: Franz Fühmann. München f 1988. – Hans Richter: Franz Fühmann – ein deutsches Dichterleben. Berlin 1992.

Bild: Franz Fühmann 1975 in Berlin; Aufbau-Verlag Berlin und Weimar.