Biographie

Fuhrmann, Horst

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Historiker
* 22. Juni 1926 in Kreuzburg/Oberschlesien
† 9. September 2011 in Steinebach am Wörthsee

Horst Fuhrmann wurde in dem schlesischen Kreuzburg geboren, das ein kleiner Bahnknotenpunkt war, in dem sein Vater Vorsteher des Bahnhofes war. Der Ort lag in Fuhrmanns Jugend 20 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Die Stadt prägte das Zusammenleben von Polen und Deutschen und unter ihnen der Juden beider Nationen. Seitdem er 1988 Briefe von Jacob Oeri, dem Lieblingsneffen Jacob Burckhardts, gefunden hatte, widmete er sich neben seinen sonstigen Forschungen dem Rückblick auf die Stadt seiner Jugend. Hierbei erhellte er auch das Leben des preußischen Kommerzienrats Simon Cohn, dem Kreuzburg durch eine hochherzige Stiftung sein Gymnasium verdankte, das Fuhrmann einige Jahre lang besuchte. Der Aufstieg der Nationalsozialisten beendete das friedliche Zusammenleben in der Stadt seiner Jugend. Mit großer Freude flog er am Annaberg mit Segelflugzeugen und hatte den frühen Berufs­wunsch einmal Flugzeugingenieur oder -konstrukteur zu werden. Im Alter von 16 Jahren wurde er als Luftwaffenhelfer zum Schutz von Werken in Gleiwitz an Flakgeschützen ausgebildet. Ab Ende des Jahres 1943 musste er seine Pflichtzeit im Arbeitsdienst auf einem Gut ableisten, das früher der Familie Joseph von Eichendorffs gehört hatte. Diese vergleichsweise angenehme Tätigkeit endete für ihn im Sommer 1944 mit dem Einziehen zum Wehrdienst. Wenig berichtete er später über diese Zeit, lediglich das Ende beschrieb er etwas ausführlicher. Seine militärische Einheit gehörte zu den Truppen, die im April 1945 das von sowjetrussischen Truppen eingeschlossene Berlin „entsetzen“ sollten. Dank der Einsicht des Generals Wenck in die Aussichtslosigkeit des Vorhabens wandte sich die Truppe nach Westen und so konnte Fuhrmann am 8. Mai 1945 über eine Notbrücke bei Tangermünde über die Elbe einer Gefangenschaft durch russische Truppen entkommen. Wie sich später zeigte, gehörten die nahezu gleichalten Hans Dietrich Genscher und Dieter Hildebrandt mit zu den Soldaten, die an diesem Tag an dieser Stelle der Gefangenschaft entkamen. Einem glücklichen Zufall verdankte er wenige Wochen danach die Entlassung nach Kiel und somit den weiteren Aufenthalt in der britischen Besatzungszone. Die nächste Zeit war er allein auf sich gestellt, denn er wusste nichts über den Verbleib seiner Familie, erst 1947 traf er seinen Bruder, den es nach Augsburg verschlagen hatte. Seine Eltern kamen 1949 aus einem Arbeitslager frei. In einem Vorbereitungskurs auf das Universitätsstudium suchte er Lücken seiner Schulbildung zu schließen und begann im Sommersemester 1946 in Kiel ein Jurastudium, das er nach einem Semester zugunsten eines Studiums der Geschichte und Klassischen Philologie aufgab. Bei Karl Jordan schloss er 1952 eine Dissertation über Studien zur Geschichte der mittelalterlichen Patriarchate ab, die ihn erstmals mit den falschen Dekretalen Pseudoisidors vertraut machte. Dies wurde ein Thema, das ihn dann lebenslang beschäftigte. Für seine Dissertation wurde er mit dem Fakultätspreis der Philosophischen Fakultät ausgezeichnet; die Arbeit wurde in drei Jahresbänden der hochangesehenen „Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, kanonistische Abtei­lung“ abgedruckt. Damals war die Aufnahme einer Dissertation zu einem Abdruck in dieser Fachzeitschrift eine außerordentliche Ehrung und eine Bestätigung ihres wissenschaftlichen Wertes. Trotz dieses Erfolges, der auf eine berufliche Tätigkeit in der wissenschaftlichen Lehre hinwies, legte er die erforderlichen Prüfungen im Staatsexamen für die Fächer Latein und Geschichte ab, und hielt sich damit den Weg zu einer anderen beruflichen Laufbahn offen. Im gleichen Jahr heiratete er Ingrid Winkler-Lippoldt, die ihr juristisches Studium abgeschlossen und eine Promotion beendet hatte. In einem Nachruf wurde später geschrieben, er habe das Jurastudium ohne Schaden abbrechen können, denn seine Frau habe dieses Fach zu Ende studiert. Bald wurde er durch die Monumenta Germaniae Historica (MGH) in München als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingestellt, während dieser Zeit reiste er zu Bibliotheken und Archiven in Italien. 1956 erhielt er den Auftrag die Vita Gregorii papae VII. des Paulus Bernriedensis zu bearbeiten. Diesen Forschungen widmete er sich noch nach seinem Ausscheiden bei der MGH und dem anschließenden Aufenthalt am Deutschen Historischen Institut in Rom. Ab August 1957 war er Assistent bei Karl Jordan in Kiel und betrieb seine Habilitation. Mit der Untersuchung Pseudoisidor und seine Gegner bis zum Beginn der Neuzeit. Über den Wandel des kirchlichen Rechts im Mittelalter wurde er im Wintersemester 1960/61 in Kiel habilitiert und er erhielt die Venia legendi für mittlere und neuere Geschichte. Seine Untersuchung endete mit der Kritik des Nikolaus von Kues an der Echtheit der Dekretalen und mit der Konfessionspolemik des 16. Jahrhunderts. 1972-74 wurde die inzwischen im Umfang vergrößerte und im Inhalt stark ausgeweitete Arbeit gedruckt. Im Jahre 1962 gab die Philosophische Fakultät der Universität Tübingen dem Kultusministerium Baden-Württemberg eine Liste zur Besetzung der Professur für mittlere und neuere Geschichte. An erster Stelle war der Ordinarius Karl Jordan, an zweiter Stelle der lange Zeit bei ihm tätig gewesene Privatdozent Horst Fuhrmann genannt. Entgegen damaliger Gewohnheit fragte der Kultusminister Gerhard Storz am 7.4. 1962 bei Fuhrmann an, ob er bereit sei, den Lehrstuhl zu übernehmen, was dieser natürlich bejahte. Ab dem 12. Juli war er dann Landesbeamter in Baden-Württemberg. Die Verstimmung in Kiel scheint nicht zu tief gewesen sein, denn bereits im April 1966 erteilte die Kieler Fakultät Fuhrmann einen Ruf auf einen historischen Lehrstuhl. Die Reaktion in Tübingen zeigte deutlich, wie sehr er an der Universität angesehen war: Studenten der Fakultät veranstalteten nach damaligem Brauch einen Fackelzug zur Wohnung Fuhrmanns, um ihn zum Verbleib in Tübingen zu bewegen. In den Reden aus diesem Anlass wurde Tübingen gelobt und Kiel herabgesetzt, denn dort schrumpfe der Sommer sowieso auf einen Donnerstag. Die Sprecherin der Fachschaft überreichte Frau Fuhrmann einen großen Blumenstrauß und warnte sie eindringlich vor einer Rufannahme durch ihren Gatten, denn sie habe schließlich alle Last des Umzugs zu tragen. Kleine Verbesserungen erhielt er für die Rufablehnung, doch schon 1968 wählte ihn die Generaldirektion der MGH als Nachfolger von Herbert Grund­mann zu ihrem Präsidenten. Die Verhandlungen mit dem Freistaat Bayern zogen sich hin, denn Fuhrmann wollte gern neben dem Präsidentenamt Lehre an einer Universität erbringen. Nachdem dies schließlich mit der Universität Regensburg geklärt war, trat er am 14.10. 1971 sein Amt als Präsident der MGH an. Damit hatte er eine der wissenschaftlich hochangesehenen Stellen für Historiker erreicht. In den folgenden Jahren zeigte er mit den von ihm abgeschlossenen Quellen basierten Forschungsarbeiten, dass er die an die Positionen in München und Regensburg gestellten Erwartungen musterhaft erfüllte. Es entsprach seinem Verständnis von Wissenschaft, Forschungsergebnisse in gut verständlicher Weise zu veröffentlichen. Im Jahre 1986 veranstaltete die MGH für Wissenschaftler aus aller Welt einen Fachkongress über Fälschungen im Mittelalter, dem Fuhrmann meisterhaft vorstand und zu dessen Erfolg er sehr beitrug. Nachdem er seine Verpflichtungen gegenüber der Fachwelt qualifiziert gezeigt hatte, veröffentlichte er verschiedene Sammelbände mit einzelnen Beiträgen zu speziellen Themen, die großen Anklang bei Lesern fanden und seinen Büchern große Auflagen verschafften. Es war eine würdige Fortsetzung seines Präsidentenamtes bei der MGH, dass ihn die Bayerische Akademie der Wissenschaften 1991 zu ihrem Präsidenten wählte. Während der Zeit dieser Präsidentschaft zeigte er auf Reisen in seine Heimat seiner Familie die Gegend seiner Herkunft. 2003 konnte er seiner Heimatstadt bei der Feier ihres Stadtjubiläums berichten, dass er das Original der Urkunde über die Stadtgründung im Jahre 1253 wiedergefunden hatte. Über eine weitere Reise im Jahre 2005 berichtete er in der Sitzung des Ordens Pour le Mérite in Görlitz. Eine Verbindung zu Kreuzburg hatte er schon vorher mit dem Lyriker Heinz Piontek, einem Freund aus Jugendtagen, geknüpft, beide verband Gustav Freytag, wie sie, ein Kreuzburger.

Lit.: Ulrich-Dieter Oppitz, Fuhrmann, Horst, in: Traugott Bautz (Hrsg.), Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Nordhausen, Band XLII (2021), Sp. 482-504 (mit weiteren Hinweisen).

Bild: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen.

Ulrich-Dieter Oppitz