Heinz Galinski wurde am 28. November 1912 in Marienburg geboren. In der westpreußischen Provinzstadt führten die Eltern, Albert und Renate Galinski, ein kleines Textilgeschäft. In der Schmiedegasse 5 wuchs Heinz Galinski auf, besuchte das humanistische Gymnasium, die jüdische Religionsschule und die Synagoge seiner Heimatstadt.
Sein Vater, der aus dem Ersten Weltkrieg schwer verwundet zurückkehrte, engagierte sich als Vorsitzender im örtlichen „Krankenpflege- und Beerdigungsverein Chewra“, im „Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten“ und in anderen lokalen Vereinen, die das Leben einer nur 170 Mitglieder umfassenden jüdischen Gemeinde prägte.
Heinz Galinski erinnert sich an Marienburg, „wo ich eine ruhige Kindheit und Jugend erlebte. Zu den ersten schwer begreiflichen Ereignissen meiner jungen Jahre gehörte es, daß mich Menschen, mit denen ich befreundet war, meine Mitschüler aus dem Gymnasium, plötzlich und über Nacht als einen Ausgestoßenen zu behandeln anfingen, irrational, grundlos, nur meines Judentums wegen.“
In Elbing absolvierte Heinz Galinski eine kaufmännische Lehre, arbeitete anschließend als Textilverkäufer in Rathenow/Havel. Schon in Elbing „spürte ich noch stärker, noch konkreter, daß manches im Begriff war, sich in negativem Sinne zu verwandeln. Es war kein Zweifel mehr möglich: uns jüdischen Menschen blies der Wind stärker ins Gesicht, obwohl die Willkür- und Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus noch nicht begonnen hatte.“
Die seit 1933 begonnene „Arisierung“ der Unternehmen zog nicht nur den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich. Die zunehmenden antisemitischen Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung wurden zur konkreten Bedrohung.
In der Hoffnung auf die Anonymität der Großstadt zogen Heinz Galinski und die spätere Ehefrau Gisela nach Berlin, wo auch bereits seine Eltern lebten. Fassungslos erlebte er hier die Zerstörung der Großen Synagoge in der Fasanenstraße, die am 9. November 1938 in Flammen aufging. „Eine Welt brach für mich zusammen.“
Seit 1940 wurde Heinz Galinski zur Zwangsarbeit in Berliner Rüstungsfirmen gezwungen, im Februar 1943 gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Ehefrau nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Nach der „Selektion“ an der berüchtigten „Rampe“ werden Gisela und Renate Galinski in Auschwitz ermordet. „Als ich von ihnen Abschied nahm für immer, war mein Vater … im Polizeigewahrsam auf der Polizeistation des Jüdischen Krankenhauses in Berlin, wo er kurz danach verstarb.“
Die Orte des unbeschreiblichen Terrors und Grauens prägten die Leidensstationen – „eine Zeit, die sich mit Worten nicht umschreiben läßt“: Zwangsarbeit für die IG-Farben im Lager Buna-Auschwitz-Monowitz, „Todesmarsch“ in das KZ Mittelbau-Dora, Verschleppung in das KZ Bergen-Belsen, aus dem Heinz Galinski am 15. April 1945 von britischen Truppen befreit wurde.
In die zerstörte Hauptstadt im August 1945 zurückgekehrt, wurde Heinz Galinski als stellvertretender Leiter des Hauptausschusses für die Opfer des Faschismus, Abteilung Nürnberger Gesetze, beim Groß-Berliner Magistrat angestellt, beteiligte sich an der Gründung der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN). Gleichzeitig engagierte er sich in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. „Viele vertraten damals die Auffassung, daß das jüdische Leben in Deutschland durch die Ereignisse der letzten Jahre unwiderruflich sein Ende gefunden habe. Ich hatte Verständnis für diese Meinung, konnte sie aber nicht teilen.“
Galt es zunächst, elementare Hilfe für die Überlebenden der Schoa zu sichern, so war es das vordringlichste Ziel Galinskis, die Jüdische Gemeinde Berlins, zu deren Vorsitzender er am 1. April 1949 gewählt wurde, neu aufzubauen: „Ich habe immer den Standpunkt vertreten, daß die Wannseekonferenz nicht das letzte Wort sein kann im Leben der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Ich habe mich daher mit einigen anderen mitbeteiligt am Wiederaufbau …“.
1957 erfolgte bereits die Grundsteinlegung für das Jüdische Gemeindehaus in der Fasanenstraße. Errichtet am Standort jener Synagoge, die Heinz Galinski in der Pogromnacht von 1938 brennen sah.
Auch als Vorsitzender des „Zentralrates der Juden in Deutschland“ (1954-1963 und 1988-1992) nahm Heinz Galinski zu tagespolitischen Fragen Stellung, mahnte gegen das Vergessen und warnte vor neuen antisemitischen Tendenzen. „Doch mit schärferen Gesetzen allein ist eine Renaissance des Nationalsozialismus nicht zu verhindern. Politiker, Eltern, Pädagogen, Journalisten und alle, die auf die Meinungsbildung junger Menschen Einfluß haben, stehen vor der schweren Aufgabe, demokratisches Bewußtsein zu fördern und zu stärken.“
Heinz Galinski, vielfach ausgezeichnet, seit 1987 Ehrenbürger der Stadt Berlin, starb am 19. Juli 1992 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof an der Heerstraße beigesetzt. Auf seine Grabstätte wurden 1998 zwei Sprengstoffanschläge von bisher unbekannten Tätern unternommen. „Ich weiß, ich bin kein Bequemer. Aber bin ich denn deshalb ein Unbequemer, weil ich mit Selbstverständlichkeit meine Rechte und erst recht meine Pflichten als Bürger dieses Landes in Anspruch nehme?… Bin ich deshalb ein Unbequemer, weil ich mich so energisch gegen all diejenigen wende, die aus der Vergangenheit nichts gelernt haben und auch nichts lernen wollen?“.
Lit.: Wolfgang Benz, Deutsche Juden im 20. Jahrhundert. Eine Geschichte in Portraits, 2011. – Juliane Berndt, Ich weiß, ich bin kein Bequemer. Heinz Galinski-Mahner, Streiter, Stimme der Überlebenden, 2012. – Ernst Cramer, In memoriam Heinz Galinski, in: Jahresbericht, hrsg. vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Berlin 1992, S. 3. – Heinz Galinski, An der Schwelle zum Inferno, in: Rolf Italiander (Hrsg.), Wir erlebten das Ende der Weimarer Republik. Zeitgenossen berichten, 1982, S. 103-104. – Heinz Galinski, Neubeginn jüdischen Lebens in Berlin, in: Michael Brenner, Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945-1950, 1995, S. 147. – Heinz Galinski, Die Ehrung bedeutet vor allem Verpflichtung. Rede Heinz Galinskis vor dem Berliner Abgeordnetenhaus am 26. November 1987, in: Andreas Nachama/Julius H. Schoeps (Hrsg.), Aufbau nach dem Untergang. Deutsch-jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz Galinski, 1992, S. 79-84. – Ruth Galinski, Woher der Hass? in: Ulrich Eckhardt/Andreas Nachama (Hrsg.) Jüdische Berliner. Leben nach der Schoa. 14 Gespräche, 2003, S. 83-96. – Andreas Nachama, Der Mann in der Fasanenstraße, in: Julius H. Schoeps, Aufbau nach dem Untergang, a. a. O., S. 27-52. – Klaus Schütz, Heinz Galinski (1912-1992), Ein Berliner unter dem Davidsschild, 2004. – Wolfgang Wippermann, Steinerne Zeugen. Stätten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Mit einer Rede des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, am 20. Januar 1982, 1982.
Bild: Archiv der Kulturstiftung.
Dirk Urland