Biographie

Gehl, Julius

Herkunft: Posener Land, Westpreußen
Beruf: Politiker
* 4. Juli 1869 in Bromberg/Posen
† 13. Dezember 1939 in Zoppot

„Ein Verdienst an dem ruhigen Verlauf der Revolution in Danzig hatte auch der Führer der Sozialdemokratischen Partei, Julius Gehl, der durch sein besonnenes Wesen von Anfang an die Revolution in ruhige Bahnen leitete. Er hat in der politischen Entwicklung Danzigs eine hervorragende und, wie ich hinzufüge, eine verdienstvolle Rolle gespielt. Ich bin …ihm diese Anerkennung schuldig und habe ihn wegen seiner Uneigennützigkeit, Biederkeit und Gerechtigkeit geschätzt.“ Der Mann, dem diese Bewertung des Danziger Senatspräsidenten Dr. Ernst Ziehm galt, war der gebürtige Bromberger Julius Gehl, ein zu Unrecht vergessener Politiker in schwerer Zeit.

Gehl stammte aus bescheidenen Verhältnissen, vermochte sich aber autodidaktisch emporzuarbeiten. Der gelernte Maurer wuchs in den dynamischen Gründerjahren auf, die ihn zu vielfältigen geistigen Interessen anregten. Vor allem beschäftigten ihn die sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen seiner Zeit. Sein Handwerk füllte ihn nicht aus. Seine gewerkschaftliche Berufsorganisation, die „Freie Vereinigung der Maurer Deutschlands“, wurde auf ihn aufmerksam und übernahm in 1900 als Angestellten. Acht Jahre später war er gewählter Gauvorsitzender des Verbandes für Ost- und Westpreußen mit Sitz in Danzig. 1912 übernahm er das Parteisekretariat der westpreußischen Sozialdemokraten, deren Vorsitzender er von 1912 bis 1919 war. Besonderes Gewicht legte er auf die Bildungsarbeit und wurde Verleger der Danziger Volkswacht (1917-1919), die er nebenamtlich redigierte, wie auch anschließend die Danziger Volksstimme (1919-1936?).

Es waren schwere Jahre des Aufbaus der Organisationen der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften wie seiner Partei in Westpreußen. Die Bevölkerung in Danzig und Elbing war liberal und die Landbevölkerung konservativ eingestellt. Die Katholiken wählten Zentrum und die polnische Bevölkerung geschlossen ihre Kandidaten. Erst in den letzten Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde eine Steigerung der SPD-Stimmen erzielt.

In den kritischen Monaten der Revolutionswirren vermochte Gehl durch seinen persönlichen Einfluß und sein maßvolles Auftreten mäßigend zu wirken. Bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 errang die SPD mit Gehl als Spitzenkandidaten vier Mandate.

Als sich nach Bekanntwerden des Entwurfs des Versailler Friedensvertrages die Abtrennung des Hauptteils Westpreußens und des Netzedistrikts vom Deutschen Reich abzeichnete und sich Empörung und Unsicherheit unter der betroffenen deutschen Bevölkerung ausbreiteten, berief die Reichsregierung Julius Gehl zum Reichskommissar für Westpreußen und den Netzedistrikt. Die Polen versuchten in jenem unruhigen Jahr 1919 ihre Aufstandsbewegung von der Provinz Posen auf Westpreußen auszudehnen. Gehl hatte insbesondere die deutschen Grenzschutzverbände vom Eingreifen abzuhalten und auf die Einhaltung der von den Siegermächten festgelegten Demarkationslinie zu achten, da die Versailler Friedenskonferenz ihre Verletzung mit Sanktionen bedrohte. Ihm oblag es, auch für Ruhe zu sorgen und die Übergabe des Gebiets an Polen 1920 sicherzustellen.

Dieser Auftrag war gerade ausgeführt, da begann die Vorbereitung der Volksabstimmung in den westpreußischen Kreisen Marienburg, Marienwerder, Rosenberg und Stuhm. Gehl stellte sich für den Abstimmungskampf zur Verfügung. An dem überwältigenden Bekenntnis für den Verbleib bei Deutschland von 92,4 v.H. hatte er persönlichen Anteil. <p >Inzwischen begannen sich in Danzig die Bevölkerung, die Behörden und die Organisationen auf die neue Situation der „Freien Stadt“ einzustellen, losgelöst vom Reich und unter zugunsten Polens teilweise eingeschränkter Souveränität. Auch hier stand Gehl an vorderster Stelle, nicht nur als Vorsitzender seiner Partei, sondern auch als Mitglied des Staatsrates, der Verfassungsgebenden Versammlung. Nach der Wahl zum ersten Volkstag (16. Juni 1920) zog er in dieses Parlament ein, dem er bis einschließlich der 5. Session (6. April 1935) ohne Unterbrechung angehörte.

Nach der Überwindung der Revolution, der Spaltung der Arbeiterbewegung in Sozialdemokraten, Unabhängige Sozialisten und Kommunisten sowie nach der Inflation fand die Sozialdemokratie in der Freien Stadt für ihre staatstragende Arbeit eine solide Basis. Im 2. und 4. Volkstag war Gehl Vizepräsident und Präsident (1923 bis 1927 und 1930 bis 1933) und von 1925 bis 1926 sowie 1930 Senator und stellvertretender Senatspräsident.

In der schwierigen Lage der Stadt bestand nur ein geringer politischer Spielraum. Gehl bemühte sich als Regierungsmitglied um eine Verständigung mit Polen auf dem Wege direkter Verhandlungen. Dennoch kündigten sich bereits 1929 neue Spannungen zwischen Danzig und Polen an, vor allem im Bereich der wirtschaftlichen Beziehungen. Das Rückgrat der Danziger Wirtschaft war der Hafen, der immer mehr unter den Konkurrenzdruck des von Polen stark ausgebauten Gdinger Hafens geriet. Für die sozialdemokratischen Senatoren war es enttäuschend, daß Polen ihnen gegenüber nicht mehr Entgegenkommen zeigte als den rechtsgerichteten Regierungen zuvor. Die in der Auseinandersetzung zwischen Danzig und Polen von ihnen erzielte Entspannung war nur kurzfristig und im Grunde nur eine Vertagung der Danziger Frage.

1930 verlor die Sozialdemokratische Partei zahlreiche Wähler. 1933 errang die NSDAP 51 Prozent der Stimmen und bildete allein den Senat. Nach diesem Rückschlag trat Gehl in den Hintergrund und lebte nach Auflösung seiner Partei 1936 zurückgezogen in Zoppot.

Quellen: Nachlaß Karl Töpfer, Archiv der sozialen Demokratie, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn-Bad Godesberg.

Lit.: Andrzejewski, Marek: Socjaldemokratyczna Partia Wolnego Miasta Gdanska [Die Sozialdemokratische Partei der Freien Stadt Danzig] 1920-1936. Danzig 1980. Schriftenreihe der Gdanskie Towarzystwo Naukowe, Seria Monografii, Nr. 74. – Franke, R.: Das Danziger Bürgerbuch. Danzig 1927. – Jablonowski, Horst: Die Danziger Frage. In: Die deutschen Ostgebiete zur Zeit der Weimarer Republik. Köln 1966. – Matull, Wilhelm: Ostdeutschlands Arbeiterbewegung. Abriß ihrer Geschichte, Leistung und Opfer. Würzburg 1973. Ostdeutsche Beiträge aus dem Göttinger Arbeitskreis. Bd. LIII. – Rasmus, Hugo: Julius Gehl aus Bromberg. In: Westpreußen-Jahrbuch 43 (1993), S. 142-146. – Ruhnau, Rüdiger: Danzig. Geschichte einer Stadt. Würzburg 1971. – Schwarz, Max: MdR Biographisches Handbuch der Reichstage. Hannover 1975. – Ziehm, Ernst: Aus meiner politischen Arbeit in Danzig 1914-1939. Marburg 1960.

Bild: Bildarchiv des Verfassers.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Gehl

Hugo Rasmus