Biographie

Gentz, Johann Heinrich

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Architekt
* 5. Februar 1766 in Breslau
† 3. Oktober 1811 in Berlin

Johann Heinrich Gentz war der erste unter den deutschen Architektendes Frühklassizismus, der auch den griechischen Bauten auf italienischem Boden ein wissenschaftliches Interesse zuwandte. Im Mittelpunkt einer Studienreise, die er im Jahre 1790 angetreten hatte, standen die dorischen Tempel in Paestum und Agrigent. Er skizzierte, zeichnete und beschrieb bauliche Details sowie ganze Stadtanlagen. All das ging in sein Reisetagebuch ein, das er hinterlassen hat. 1795 kehrte Gentz nach Berlin zurück und veröffentlichte in der von seinem älteren Bruder, dem Publizisten Friedrich (von) Gentz herausgegebenen „Neuen deutschen Monatschrift“ seine Briefe über Sizilien. Die Reise, über die sie berichteten, war um so bemerkenswerter, als noch eine Generation vergehen sollte, bis deutsche Architekten in Griechenland selbst Studien trieben; auch Karl Friedrich Schinkel ist nie im Lande seiner großen Vorbilder gewesen. Gentz war Schüler Gontards gewesen, durch Vater und Sohn Gilly beeinflußt worden und, als Kondukteur am Hofbauamt als außergewöhnliche Begabung aufgefallen, in den Genuß eines königlichen Stipendiums gekommen, das ihm die erwähnte Studienreise nach Italien ermöglicht hatte. 1795 wurde er Oberhofbauinspektor in Berlin, 1796 Lehrer an der Akademie der Künste und 1799 Lehrer für Stadtbaukunst an der soeben gegründeten Bauakademie zu Berlin, wo Schinkel zu seinen Schülern zählte. Die erste größere Arbeit, mit der Gentz hervortrat, war 1797 einer unter mehreren Entwürfen für ein Denkmal Friedrichs des Großen – ein Vorhaben, das damals die Berliner Baumeister wie kein zweites beschäftigte und zu dem Friedrich Gilly, mit dem Gentz übrigens verschwägert war, mit seinem Entwurf vielleicht den bedeutendsten Beitrag geleistet hat. Dann baute Gentz zwischen 1798 und 1800 am Werderschen Markt in Berlin ein Domizil für die Königliche Münze, das auch das Mineralienkabinett und die Bauakademie beherbergen sollte. Dieser Bau, der als sein Hauptwerk gilt, zeigte – was in Berlin höchst selten war – Einflüsse der französischen Revolutionsarchitektur, was mit der Tatsache im Zusammenhang stehen wird, daß Gentz auf der Rückkehr von Italien sich auch in Paris aufgehalten hatte. 1886 ist das Münzgebäude abgerissen worden, da es einem Kaufhausneubau im Wege war. (Der in unmittelbarer Nähe nach Plänen Stülers im Stile der Frührenaissance zuvor errichtete Ersatzbau mußte 1936 dem großen Erweiterungsbau der Reichsbank, dem späteren Sitz des Zentralkomitees der SED, weichen.)

Nach Vollendung der Münze begab sich Gentz, durch den Berliner Archäologen und Kunsthistoriker Aloys Hiert empfohlen, in die Dienste des Hofes zu Weimar. Herzog Karl August, der ihn bald sehr schätzte, machte ihn im Jahre 1800 zum Schloßbaumeister. Das Weimarer Schloß war 1774 zum wiederholten Male ausgebrannt; Anfang der neunziger Jahre erst hatte die finanzielle Lage der Herzogtums den Beginn des Wiederaufbaus gestattet. Mit dem großen Festsaal, dem Treppenhaus und der Falkengalerie hat Gentz unter der Oberleitung Goethes und im Zusammenwirken mit dem Bildhauer Friedrich Tieck die künstlerisch bedeutendsten Räume des erneuerten Weimarer Residenzbaues geschaffen. Es „sind die schönsten Innenräume nicht nur des Berliner, sondern des deutschen Frühklassizismus überhaupt. Das Treppenhaus mit wuchtiger dorischer Säulenstellung ganz in weißem Stuckmarmor mit feinen Stuckreliefs, der große Festsaal mit blaßgelben leicht vergoldeten Säulen in Marmorstuck, ebenfalls ganz in Weiß, die Galerie mit kassettiertem Tonnengewölbe, in der Detaillierung von größter Feinheit und vom Studium der griechischen Werke Süditaliens zeugend“. (H. Schmitz)

Neben kleineren Aufgaben in Weimar bekam Gentz 1802 auch den Bau des Theaters in Bad Lauchstädt übertragen, von dem aus die Weimarer Theaterkunst nach einer Idee Goethes tief in den mitteldeutschen Raum ausstrahlte. Doch in Berlin ist Gentz vor allem infolge des militärischen Zusammenbruchs Preußens im Jahre 1806 und der folgenden Notzeiten kaum mehr zum Zuge gekommen. 1804 war er vermutlich am Bau eines Landhauses für den Kabinettsrat Carl Friedrich Beyme an der Chaussee Berlin-Potsdam beteiligt, dem heu-„Wrangel-Schlößchen“ in Berlin-Steglitz, für den David Gilly verantwortlich gezeichnet hatte. 1810 errichtete Gentz ein Mausoleum für die in demselben Jahre im Alter von 34 Jahren verstorbene Königin Luise im westlichen Teil des Charlottenburger Schloßparks – und zwarin Zusammenarbeit mit Schinkel. 1811 vollendete Gentz einen Kopfbau zu dem aus dem Jahre 1734 stammenden Prinzessinnenpalais, Unter den Linden, der als Wohnung für die Töchter des Königs bestimmt war. Die von ihm geplante Umgestaltung des Palais kam nicht zustande; lediglich eine Verbindung zu dem östlich anschließenden Kronprinzenpalais konnte geschaffen werden

Heinrich Gentz verband gelehrte Aneigung der Antike mit deren schöpferischer Durchdringung und selbständiger Gestaltung in ihrem Geiste. Seine Arbeiten am Weimarer Schloß dokumentieren seinen künstlerischen Rang. Sein früher Tod versagte ihm die Vollendung, dieseinem Schüler und Rivalen Schinkel beschieden sein sollte.

Weitere Werke: Elementar-Zeichenwerk. Lehrbuch für die Kunst- und Gewerk-Schulen in Preußen, Berlin 1803/06.

Lit.: Alste Horn-Oncken: Johann Heinrich Gentz, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 6 (1964), S. 193 f. – Hermann Schmitz: Berliner Baumeister vom Ausgang des 18. Jahrhunderts (= Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 2), Berlin 2. Auflage 1925, Nachdruck 1980. – Berlin und die Antike, Katalog zur Ausstellung aus Anlaß des 150jährigen Bestehens des Deutschen Archäologischen Instituts in der Großen Orangerie des Schlosses Charlottenburg 1979, hrsg. von Willmuth Arenhövel, Berlin 1979. – Karl Friedrich Schinkel. Katalog zur Schinkel-Ausstellung 1980/81 im Alten Museum zu Berlin, (Ost-)Berlin 1982.

Bild: Getuschte Zeichnung von G. von Kügelgen, 1795. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin.