Biographie

Gerhard, Friedrich Wilhelm Eduard

Herkunft: Posener Land
Beruf: Archäologe
* 29. November 1795 in Posen
† 12. Mai 1867 in Berlin

Die Familiengeschichte des Eduard Gerhard ist typisch für die preußischen Ostprovinzen. Die Wurzeln der Familie lagen in Schlesien; mit der zweiten Teilung Polen-Litauens eröffneten sich für sie Karrieremöglichkeiten im Posener Land. Viele Beamter und Verwalter kamen damals mit dem Provinzialminister Otto v. Voß (1755-1823) von Schlesien und Südpreußen ins Posener Land. Auch Eduard Gerhards Vater gehörte zu ihnen.

Johann David Gerhard (1768/69-1829) war der Sohn des 1. Pfarrers an der Elisabethkirche und Inspektor der Kirchen und Schulen in Breslau, David Gottfried Gerhard (1734-1809). Ebenso wie sein Vater hatte er in Halle an der Saale studiert, nur eben Rechtswissenschaften. Nach dem Studium trat er in den Staatsdienst ein und wurde 1790 Auskulator, dann Referendar in Breslau und seit 14. Dezember 1791 am Berliner Kammergericht. Nach erfolgreich bestandenem Assessorexamen (28. Mai 1793) kehrte er nach Breslau zurück.

In seiner Studienzeit in Halle hatte er Maria Sophie Nösselt (1778-1857), Tochter des dortigen Theologieprofessors Johann August Nösselt (1734-1807) und der Dorothea Conerus kennengelernt und geheiratet.

Um sein Einkommen zu vergrößern, ging er im Sommer 1797 in die neue preußische Provinz Südpreußen, wo er seit dem 1. Mai 1794 als Regierungsrat in der Verwaltung in Posen tätig war. Sein Dienst hier galt als vorbildlich und junge Beamte wurden angewiesen, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen.

Im folgenden Jahr wurde Sophie Gerhard schwanger und am 29. November 1795 wurde in Posen ihr Sohn Friedrich Wilhelm Eduard Gerhard geboren. Keine zwei Jahre später verließ die Familie bereits wieder das Posener Land. Am 12. Juli 1797 wurde der Vater nach Brieg (Brzeg) in Schlesien versetzt. Hier wird Eduard Gerhard dann die Schule besucht haben.

Im Juni 1809 kehrte die Familie an ihren Ursprung, nach Breslau, zurück, wo der Vater als Geheimer Justizrat am Oberlandgericht tätig wurde.

Im Jahr 1812 begann Eduard Gerhard das Studium der Theologie an der Breslauer Universität. Bereits nach kurzer Zeit wechselte er zur Klassischen Philologie und ging 1814 an die erst vier Jahre zuvor gegründete Berliner Universität. Der nicht viel ältere Professor der klassischen Literatur August Boeckh (1785-1867) wurde hier sein Lehrer und Förderer.

Bereits im Juli 1814 promovierte Gerhard – als erster Doctor rite promotus – über den hellenistischen Schriftsteller und Leiter der berühmten Bibliothek von Alexandria, Apollonios von Rhodos.

Gerhard kehrte anschließend nach Breslau zurück und habilitierte sich dort im Jahr 1816. Da es in Schlesien keine beruflichen Chancen gab, übernahm er Ende 1816 eine Stelle als Gymnasiallehrer am Maria-Magdalena-Gymnasium in seiner Geburtsstadt Posen, doch wegen einer Augenerkrankung musste er diese Anstellung bereits 1818 wieder aufgeben.

1820/21 reiste Gerhard zum ersten Mal zu einer Gesundungs- und Bildungsfahrt nach Italien, zu der ihm seine Ärzte geraten haben. Seine Studien zur systematischen Erforschung der antiken Denkmäler fanden die Aufmerksamkeit des preußischen Ministeriums, das seinen zweiten dortigen Aufenthalt (1822 bis 1826) unterstützte. Er beschäftigte sich vor allem mit archäologischen Studien und der Topographie der Stadt Rom. An dem Buch Beschreibung der Stadt Rom des Althistorikers Barthold Georg Niebuhr (1776-1831) beteiligte er sich mit einem Beitrag.

Auch Gerhards dritter Italienaufenthalt von 1828 bis 1832 wurde wieder vom preußischen Staat unterstützt. Mit der Unterstützung des preußischen Kronprinzen und seiner Berufskollegen gründete er in Rom 1829 das spätere Deutsche Archäologische Institut als Istituto di Corrispondenza Archeologica. Gerhard und sein Kreis von internationalen Altertumsfreunden nannten sich gern hyperboräische-römische Gesellschaft. In diesem Arbeitskreis widmete sich Gerhard nun der Erforschung der antiken Vasenmalerei.

Nach seiner Rückkehr nach Berlin (1832) erhielt er 1833 eine Anstellung als Archäologe am königlichen Museum zu Berlin. Hier war er ab 1836 Kustos der Vasen- und Terrakottensammlung. Seit 1855 fungierte er hier als Direktor der Sammlung der Skulpturen und Gipsabdrücke.

Die Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften nahm ihn 1835 als ordentliches Mitglied auf und die Berliner Universität ernannte ihn 1844 zum ordentlichen Professor. Er prägte hier die nächste Generation von deutschen Archäologen.

Nach dem Vorbild französischer und englischer Zeitschriften gründete Gerhard 1843 die Archäologische Zeitung, die 1886 durch das Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts ersetzt wurde. Gerhards Anhänger feierten ihn als „Begründer der Archäologie als einer wissenschaftlichen Disziplin“.

Die Göttinger und die Bayerische Akademie der Wissenschaften (1841) ernannten ihn zu ihrem auswärtigen Mitglied.

Gerhard hatte 1842 in Frankfurt am Main Emilie Rieß v. Scheurnschloß, Tochter des kurhessischen Geheimen Rates und Bundestagsgesandten Franz Rieß v. Scheurn geheiratet. Angaben über Kinder aus dieser Verbindung ließen sich nicht finden.

Eduard Gerhard starb am 12. Mai 1867 in Berlin und wurde auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg beigesetzt. Seine Grabstätte besteht bis heute als Ehrengrab des Landes Berlin.

Lit.: Wilfried Gerke, Posener biographisches Lexikon, Lüneburg 1975. – Otto Jahn, Eduard Gerhard. Ein Lebensabriß. Reimer, Berlin 1868. – Friedrich Matz, Gerhard, Friedrich Wilhelm Eduard, in: Neue Deutsche Biographie. Band 6, Berlin 1964, S. 276 f. – Veit Stürmer, Eduard Gerhard, in: Annette M. Baertschi, Colin G. King (Hrsg.), Die modernen Väter der Antike. (= Transformationen der Antike Bd. 3), Berlin 2009, S. 145-164. – Wolfhart Unte, Eduard Gerhard (1795-1867), in: Schlesische Lebensbilder, Bd. 7, Stuttgart 2000. Nachdruck in: ders., Heroen und Epigonen. Scripta Mercaturae, St. Katharinen 2003, S. 163-169. – Ludwig von Urlichs, Gerhard, Friedrich Wilhelm Eduard, in: Allgemeine Deutsche Biographie. Band 8, Leipzig 1878, S. 760-766. – Wrede, Henning (Hrsg.), Dem Archäologen Eduard Gerhard 1795-1867 zu seinem 200. Geburtstag. Berlin 1997.

Bild: Porträt aus Otto Jahn, Eduard Gerhard. Ein Lebensabriß.

Martin Sprungala